Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XII. Verbr. u. Verg. gegen d. Sittlichk.
stehe." w) Dem stimmte auch das Ministerium für die Gesetz-Revision bei, x) wogegen die Staatsraths-Kommission nach wiederholter Berathung zu der Auffassung des Entwurfs von 1830. zurückkehrte. y) Der Ent- wurf von 1847. bestimmt daher:
§. 172. "Wer in einer nichtigen Ehe lebt, und obgleich er weiß, daß die Nichtigkeit dieser Ehe noch nicht rechtskräftig feststeht, dennoch eine neue Ehe schließt, ist mit Gefängniß von drei Monaten bis zu Einem Jahre oder mit Strafarbeit bis zu Einem Jahre zu bestrafen. Eben diese Strafe ist auf denjenigen anzuwenden, welcher sich mit der in einer solchen nichtigen Ehe lebenden Person verheirathet."
Gegen diese Vorschrift erklärte sich aber wieder die vorberathende Abtheilung des vereinigten ständischen Ausschusses, und beantragte, den Paragraphen ganz wegfallen zu lassen, -- "indem nicht ersichtlich sei, weshalb eine Strafmilderung dem angedeihen solle, welcher einen Rechts- grund habe, auf Nichtigkeit einer in formeller Gültigkeit bestehenden Ehe zu klagen. Wolle der Staat die Ehe schützen, so müsse er sie schützen, bis ihre äußere Existenz durch Richtersprüche vernichtet worden; ehe dieß geschehen, sei eine gleiche Verpflichtung vorhanden für den- jenigen, welcher mit der Nichtigkeitsklage obsiegen, so wie für den, welcher mit ihr unterliegen werde, das Verhältniß zu achten, welchem der Staat sein Anerkenntniß und seinen Schutz gegeben." z) -- Dem Antrage der Abtheilung schloß sich der Ausschuß einstimmig an, und auch das Strafgesetzbuch hat die damals abgelehnte Vorschrift nicht wieder aufgenommen. Es ist daher anzunehmen, daß die Gesetzgebung die mildere Ansicht, wie sie in den Entwürfen von 1830. und 1847. ausgesprochen war, aufgegeben hat, und es für den Thatbestand und die Bestrafung der Bigamie ohne Einfluß sein läßt, ob die erste Ehe gültig war oder nicht. Das folgt auch aus dem Schlußsatz des Pa- ragraphen; denn wenn die Verjährung des Verbrechens unter anderen erst beginnt, wenn die erste Ehe für nichtig erklärt worden ist, so setzt dieß voraus, daß die Nichtigkeit dieser Ehe das Verbrechen nicht aus- schließt. -- Mit dieser Auffassung, nach welcher unter "Auflösung der Ehe" auch die Nichtigkeitserklärung zu verstehen ist, hat sich die Kom- mission der zweiten Kammer einverstanden erklärt. a)
II. Wegen Bigamie wird nicht allein der Ehegatte bestraft, welcher vor Auflösung der ersten Ehe eine andere eingeht, sondern auch, anders
w)Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission. II. S. 246. Vgl. Entwurf von 1847. §. 381.
x)Revision von 1845. II. S. 168.
y)Verhandlungen der Staatsraths-Kommission von 1846. S. 88.
z)Verhandlungen. III. S. 459.
a)Kommissionsbericht zu §. 128. (139.).
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XII. Verbr. u. Verg. gegen d. Sittlichk.
ſtehe.“ w) Dem ſtimmte auch das Miniſterium für die Geſetz-Reviſion bei, x) wogegen die Staatsraths-Kommiſſion nach wiederholter Berathung zu der Auffaſſung des Entwurfs von 1830. zurückkehrte. y) Der Ent- wurf von 1847. beſtimmt daher:
§. 172. „Wer in einer nichtigen Ehe lebt, und obgleich er weiß, daß die Nichtigkeit dieſer Ehe noch nicht rechtskräftig feſtſteht, dennoch eine neue Ehe ſchließt, iſt mit Gefängniß von drei Monaten bis zu Einem Jahre oder mit Strafarbeit bis zu Einem Jahre zu beſtrafen. Eben dieſe Strafe iſt auf denjenigen anzuwenden, welcher ſich mit der in einer ſolchen nichtigen Ehe lebenden Perſon verheirathet.“
Gegen dieſe Vorſchrift erklärte ſich aber wieder die vorberathende Abtheilung des vereinigten ſtändiſchen Ausſchuſſes, und beantragte, den Paragraphen ganz wegfallen zu laſſen, — „indem nicht erſichtlich ſei, weshalb eine Strafmilderung dem angedeihen ſolle, welcher einen Rechts- grund habe, auf Nichtigkeit einer in formeller Gültigkeit beſtehenden Ehe zu klagen. Wolle der Staat die Ehe ſchützen, ſo müſſe er ſie ſchützen, bis ihre äußere Exiſtenz durch Richterſprüche vernichtet worden; ehe dieß geſchehen, ſei eine gleiche Verpflichtung vorhanden für den- jenigen, welcher mit der Nichtigkeitsklage obſiegen, ſo wie für den, welcher mit ihr unterliegen werde, das Verhältniß zu achten, welchem der Staat ſein Anerkenntniß und ſeinen Schutz gegeben.“ z) — Dem Antrage der Abtheilung ſchloß ſich der Ausſchuß einſtimmig an, und auch das Strafgeſetzbuch hat die damals abgelehnte Vorſchrift nicht wieder aufgenommen. Es iſt daher anzunehmen, daß die Geſetzgebung die mildere Anſicht, wie ſie in den Entwürfen von 1830. und 1847. ausgeſprochen war, aufgegeben hat, und es für den Thatbeſtand und die Beſtrafung der Bigamie ohne Einfluß ſein läßt, ob die erſte Ehe gültig war oder nicht. Das folgt auch aus dem Schlußſatz des Pa- ragraphen; denn wenn die Verjährung des Verbrechens unter anderen erſt beginnt, wenn die erſte Ehe für nichtig erklärt worden iſt, ſo ſetzt dieß voraus, daß die Nichtigkeit dieſer Ehe das Verbrechen nicht aus- ſchließt. — Mit dieſer Auffaſſung, nach welcher unter „Auflöſung der Ehe“ auch die Nichtigkeitserklärung zu verſtehen iſt, hat ſich die Kom- miſſion der zweiten Kammer einverſtanden erklärt. a)
II. Wegen Bigamie wird nicht allein der Ehegatte beſtraft, welcher vor Auflöſung der erſten Ehe eine andere eingeht, ſondern auch, anders
w)Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II. S. 246. Vgl. Entwurf von 1847. §. 381.
x)Reviſion von 1845. II. S. 168.
y)Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 88.
z)Verhandlungen. III. S. 459.
a)Kommiſſionsbericht zu §. 128. (139.).
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Miniſterium für die Geſetz-Reviſion
bei, x) wogegen die Staatsraths-Kommiſſion nach wiederholter Berathung
zu der Auffaſſung des Entwurfs von 1830. zurückkehrte. y) Der Ent-
wurf von 1847. beſtimmt daher:
§. 172. „Wer in einer nichtigen Ehe lebt, und obgleich er weiß,
daß die Nichtigkeit dieſer Ehe noch nicht rechtskräftig feſtſteht, dennoch
eine neue Ehe ſchließt, iſt mit Gefängniß von drei Monaten bis zu
Einem Jahre oder mit Strafarbeit bis zu Einem Jahre zu beſtrafen.
Eben dieſe Strafe iſt auf denjenigen anzuwenden, welcher ſich mit der
in einer ſolchen nichtigen Ehe lebenden Perſon verheirathet.“
Gegen dieſe Vorſchrift erklärte ſich aber wieder die vorberathende
Abtheilung des vereinigten ſtändiſchen Ausſchuſſes, und beantragte, den
Paragraphen ganz wegfallen zu laſſen, — „indem nicht erſichtlich ſei,
weshalb eine Strafmilderung dem angedeihen ſolle, welcher einen Rechts-
grund habe, auf Nichtigkeit einer in formeller Gültigkeit beſtehenden
Ehe zu klagen. Wolle der Staat die Ehe ſchützen, ſo müſſe er ſie
ſchützen, bis ihre äußere Exiſtenz durch Richterſprüche vernichtet worden;
ehe dieß geſchehen, ſei eine gleiche Verpflichtung vorhanden für den-
jenigen, welcher mit der Nichtigkeitsklage obſiegen, ſo wie für den,
welcher mit ihr unterliegen werde, das Verhältniß zu achten, welchem
der Staat ſein Anerkenntniß und ſeinen Schutz gegeben.“ z) — Dem
Antrage der Abtheilung ſchloß ſich der Ausſchuß einſtimmig an, und
auch das Strafgeſetzbuch hat die damals abgelehnte Vorſchrift nicht
wieder aufgenommen. Es iſt daher anzunehmen, daß die Geſetzgebung
die mildere Anſicht, wie ſie in den Entwürfen von 1830. und 1847.
ausgeſprochen war, aufgegeben hat, und es für den Thatbeſtand und
die Beſtrafung der Bigamie ohne Einfluß ſein läßt, ob die erſte Ehe
gültig war oder nicht. Das folgt auch aus dem Schlußſatz des Pa-
ragraphen; denn wenn die Verjährung des Verbrechens unter anderen
erſt beginnt, wenn die erſte Ehe für nichtig erklärt worden iſt, ſo ſetzt
dieß voraus, daß die Nichtigkeit dieſer Ehe das Verbrechen nicht aus-
ſchließt. — Mit dieſer Auffaſſung, nach welcher unter „Auflöſung der
Ehe“ auch die Nichtigkeitserklärung zu verſtehen iſt, hat ſich die Kom-
miſſion der zweiten Kammer einverſtanden erklärt. a)
II. Wegen Bigamie wird nicht allein der Ehegatte beſtraft, welcher
vor Auflöſung der erſten Ehe eine andere eingeht, ſondern auch, anders
w) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II.
S. 246. Vgl. Entwurf von 1847. §. 381.
x) Reviſion von 1845. II. S. 168.
y) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 88.
z) Verhandlungen. III. S. 459.
a) Kommiſſionsbericht zu §. 128. (139.).
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/314>, abgerufen am 17.06.2024.
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