wie im Rheinischen Recht, die unverheirathete Person, welche mit einer verheiratheten eine Ehe eingeht. Indessen scheint für diesen Fall doch der Thatbestand des Verbrechens insofern anders bestimmt zu sein, als es ausdrücklich erfordert wird, daß die unverheirathete Person das Bestehen der anderen Ehe gekannt habe, während für den Bigamus dieß nicht ausgesprochen ist. Daraus könnte die Folgerung abgeleitet werden, daß es für den Letzteren auf den Vorsatz gar nicht ankomme, sondern auch das aus Irrthum oder Fahrlässigkeit begangene Verbrechen an ihm bestraft werde, was freilich eine principielle Abweichung von der Be- stimmung sowohl der Karolina (Art. 121.) wie des Allgemeinen Land- rechts (II. 20. §. 1066.) sein würde.
Einer solchen Auffassung hatte der Entwurf von 1836. bestimmt entgegen treten wollen, indem er vorschrieb:
§. 493. Abs. 2. "Hatte aber derjenige, welcher die neue Ehe schloß, aus einem unverschuldeten Irrthum die frühere Ehe für getrennt oder annullirt gehalten; so ist derselbe straflos."
Die Staatsraths-Kommission bemerkte hierzu: b)
"Endlich war man mit dem revidirten Entwurf darin einverstan- den, daß die kulpose Bigamie nicht bestraft werden könne, da der we- sentlichste Theil der Strafbarkeit bei der vorsätzlichen Bigamie, nämlich der Treubruch gegen den andern Ehegatten, hier nicht vorliege; allein man hielt die im §. 493. enthaltene ausdrückliche Bestimmung für entbehrlich, da schon der §. 52. des Allgemeinen Theils des umgear- beiteten Entwurfs ausdrücklich bestimme, daß eine Handlung, die, vor- sätzlich verübt, Strafe nach sich ziehe, in dem Fall, wo ihr bloß Fahr- lässigkeit zum Grunde liege, nur dann gestraft werden solle, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorschreibe."
Das Ministerium für die Gesetz-Revision theilte diese Ansicht, c) indem es sich dahin aussprach, daß die Strafbarkeit allerdings bedingt sei durch das Bewußtsein von dem Dasein und der Fortdauer der frü- heren Ehe; daß aber die allgemeine Bestimmung des §. 68. (§. 44. des Strafgesetzbuchs) eine besondere Vorschrift hierüber unnöthig mache. Diese Auffassung ist jedoch kaum für richtig zu halten, da es nach dem angeführten Paragraphen vorausgesetzt wird, daß die Strafbarkeit der Handlung von besonderen Eigenschaften der Person u. s. w. abhängig ist, diese Voraussetzung aber gerade bei der Bigamie in Frage steht. -- Auch wurde es in dem vereinigten ständischen Ausschuß von dem Ab- geordneten Grabow angeregt, daß das Gesetzbuch ausdrücklich nur die
b)Berathungs-Protokolle. II. S. 247.
c)Revision von 1845. II. S. 168.
§. 139. Mehrfache Ehe.
wie im Rheiniſchen Recht, die unverheirathete Perſon, welche mit einer verheiratheten eine Ehe eingeht. Indeſſen ſcheint für dieſen Fall doch der Thatbeſtand des Verbrechens inſofern anders beſtimmt zu ſein, als es ausdrücklich erfordert wird, daß die unverheirathete Perſon das Beſtehen der anderen Ehe gekannt habe, während für den Bigamus dieß nicht ausgeſprochen iſt. Daraus könnte die Folgerung abgeleitet werden, daß es für den Letzteren auf den Vorſatz gar nicht ankomme, ſondern auch das aus Irrthum oder Fahrläſſigkeit begangene Verbrechen an ihm beſtraft werde, was freilich eine principielle Abweichung von der Be- ſtimmung ſowohl der Karolina (Art. 121.) wie des Allgemeinen Land- rechts (II. 20. §. 1066.) ſein würde.
Einer ſolchen Auffaſſung hatte der Entwurf von 1836. beſtimmt entgegen treten wollen, indem er vorſchrieb:
§. 493. Abſ. 2. „Hatte aber derjenige, welcher die neue Ehe ſchloß, aus einem unverſchuldeten Irrthum die frühere Ehe für getrennt oder annullirt gehalten; ſo iſt derſelbe ſtraflos.“
Die Staatsraths-Kommiſſion bemerkte hierzu: b)
„Endlich war man mit dem revidirten Entwurf darin einverſtan- den, daß die kulpoſe Bigamie nicht beſtraft werden könne, da der we- ſentlichſte Theil der Strafbarkeit bei der vorſätzlichen Bigamie, nämlich der Treubruch gegen den andern Ehegatten, hier nicht vorliege; allein man hielt die im §. 493. enthaltene ausdrückliche Beſtimmung für entbehrlich, da ſchon der §. 52. des Allgemeinen Theils des umgear- beiteten Entwurfs ausdrücklich beſtimme, daß eine Handlung, die, vor- ſätzlich verübt, Strafe nach ſich ziehe, in dem Fall, wo ihr bloß Fahr- läſſigkeit zum Grunde liege, nur dann geſtraft werden ſolle, wenn das Geſetz dies ausdrücklich vorſchreibe.“
Das Miniſterium für die Geſetz-Reviſion theilte dieſe Anſicht, c) indem es ſich dahin ausſprach, daß die Strafbarkeit allerdings bedingt ſei durch das Bewußtſein von dem Daſein und der Fortdauer der frü- heren Ehe; daß aber die allgemeine Beſtimmung des §. 68. (§. 44. des Strafgeſetzbuchs) eine beſondere Vorſchrift hierüber unnöthig mache. Dieſe Auffaſſung iſt jedoch kaum für richtig zu halten, da es nach dem angeführten Paragraphen vorausgeſetzt wird, daß die Strafbarkeit der Handlung von beſonderen Eigenſchaften der Perſon u. ſ. w. abhängig iſt, dieſe Vorausſetzung aber gerade bei der Bigamie in Frage ſteht. — Auch wurde es in dem vereinigten ſtändiſchen Ausſchuß von dem Ab- geordneten Grabow angeregt, daß das Geſetzbuch ausdrücklich nur die
b)Berathungs-Protokolle. II. S. 247.
c)Reviſion von 1845. II. S. 168.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0315"n="305"/><fwplace="top"type="header">§. 139. Mehrfache Ehe.</fw><lb/>
wie im Rheiniſchen Recht, die unverheirathete Perſon, welche mit einer<lb/>
verheiratheten eine Ehe eingeht. Indeſſen ſcheint für dieſen Fall doch<lb/>
der Thatbeſtand des Verbrechens inſofern anders beſtimmt zu ſein,<lb/>
als es ausdrücklich erfordert wird, daß die unverheirathete Perſon das<lb/>
Beſtehen der anderen Ehe gekannt habe, während für den Bigamus dieß<lb/>
nicht ausgeſprochen iſt. Daraus könnte die Folgerung abgeleitet werden,<lb/>
daß es für den Letzteren auf den Vorſatz gar nicht ankomme, ſondern<lb/>
auch das aus Irrthum oder Fahrläſſigkeit begangene Verbrechen an ihm<lb/>
beſtraft werde, was freilich eine principielle Abweichung von der Be-<lb/>ſtimmung ſowohl der Karolina (Art. 121.) wie des Allgemeinen Land-<lb/>
rechts (II. 20. §. 1066.) ſein würde.</p><lb/><p>Einer ſolchen Auffaſſung hatte der Entwurf von 1836. beſtimmt<lb/>
entgegen treten wollen, indem er vorſchrieb:</p><lb/><p>§. 493. Abſ. 2. „Hatte aber derjenige, welcher die neue Ehe<lb/>ſchloß, aus einem unverſchuldeten Irrthum die frühere Ehe für getrennt<lb/>
oder annullirt gehalten; ſo iſt derſelbe ſtraflos.“</p><lb/><p>Die Staatsraths-Kommiſſion bemerkte hierzu: <noteplace="foot"n="b)"><hirendition="#g">Berathungs-Protokolle</hi>. II. S. 247.</note></p><lb/><p>„Endlich war man mit dem revidirten Entwurf darin einverſtan-<lb/>
den, daß die kulpoſe Bigamie nicht beſtraft werden könne, da der we-<lb/>ſentlichſte Theil der Strafbarkeit bei der vorſätzlichen Bigamie, nämlich<lb/>
der Treubruch gegen den andern Ehegatten, hier nicht vorliege; allein<lb/>
man hielt die im §. 493. enthaltene ausdrückliche Beſtimmung für<lb/>
entbehrlich, da ſchon der §. 52. des Allgemeinen Theils des umgear-<lb/>
beiteten Entwurfs ausdrücklich beſtimme, daß eine Handlung, die, vor-<lb/>ſätzlich verübt, Strafe nach ſich ziehe, in dem Fall, wo ihr bloß Fahr-<lb/>
läſſigkeit zum Grunde liege, nur dann geſtraft werden ſolle, wenn das<lb/>
Geſetz dies ausdrücklich vorſchreibe.“</p><lb/><p>Das Miniſterium für die Geſetz-Reviſion theilte dieſe Anſicht, <noteplace="foot"n="c)"><hirendition="#g">Reviſion von</hi> 1845. II. S. 168.</note><lb/>
indem es ſich dahin ausſprach, daß die Strafbarkeit allerdings bedingt<lb/>ſei durch das Bewußtſein von dem Daſein und der Fortdauer der frü-<lb/>
heren Ehe; daß aber die allgemeine Beſtimmung des §. 68. (§. 44. des<lb/>
Strafgeſetzbuchs) eine beſondere Vorſchrift hierüber unnöthig mache.<lb/>
Dieſe Auffaſſung iſt jedoch kaum für richtig zu halten, da es nach dem<lb/>
angeführten Paragraphen vorausgeſetzt wird, daß die Strafbarkeit der<lb/>
Handlung von beſonderen Eigenſchaften der Perſon u. ſ. w. abhängig<lb/>
iſt, dieſe Vorausſetzung aber gerade bei der Bigamie in Frage ſteht. —<lb/>
Auch wurde es in dem vereinigten ſtändiſchen Ausſchuß von dem Ab-<lb/>
geordneten <hirendition="#g">Grabow</hi> angeregt, daß das Geſetzbuch ausdrücklich nur die<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[305/0315]
§. 139. Mehrfache Ehe.
wie im Rheiniſchen Recht, die unverheirathete Perſon, welche mit einer
verheiratheten eine Ehe eingeht. Indeſſen ſcheint für dieſen Fall doch
der Thatbeſtand des Verbrechens inſofern anders beſtimmt zu ſein,
als es ausdrücklich erfordert wird, daß die unverheirathete Perſon das
Beſtehen der anderen Ehe gekannt habe, während für den Bigamus dieß
nicht ausgeſprochen iſt. Daraus könnte die Folgerung abgeleitet werden,
daß es für den Letzteren auf den Vorſatz gar nicht ankomme, ſondern
auch das aus Irrthum oder Fahrläſſigkeit begangene Verbrechen an ihm
beſtraft werde, was freilich eine principielle Abweichung von der Be-
ſtimmung ſowohl der Karolina (Art. 121.) wie des Allgemeinen Land-
rechts (II. 20. §. 1066.) ſein würde.
Einer ſolchen Auffaſſung hatte der Entwurf von 1836. beſtimmt
entgegen treten wollen, indem er vorſchrieb:
§. 493. Abſ. 2. „Hatte aber derjenige, welcher die neue Ehe
ſchloß, aus einem unverſchuldeten Irrthum die frühere Ehe für getrennt
oder annullirt gehalten; ſo iſt derſelbe ſtraflos.“
Die Staatsraths-Kommiſſion bemerkte hierzu: b)
„Endlich war man mit dem revidirten Entwurf darin einverſtan-
den, daß die kulpoſe Bigamie nicht beſtraft werden könne, da der we-
ſentlichſte Theil der Strafbarkeit bei der vorſätzlichen Bigamie, nämlich
der Treubruch gegen den andern Ehegatten, hier nicht vorliege; allein
man hielt die im §. 493. enthaltene ausdrückliche Beſtimmung für
entbehrlich, da ſchon der §. 52. des Allgemeinen Theils des umgear-
beiteten Entwurfs ausdrücklich beſtimme, daß eine Handlung, die, vor-
ſätzlich verübt, Strafe nach ſich ziehe, in dem Fall, wo ihr bloß Fahr-
läſſigkeit zum Grunde liege, nur dann geſtraft werden ſolle, wenn das
Geſetz dies ausdrücklich vorſchreibe.“
Das Miniſterium für die Geſetz-Reviſion theilte dieſe Anſicht, c)
indem es ſich dahin ausſprach, daß die Strafbarkeit allerdings bedingt
ſei durch das Bewußtſein von dem Daſein und der Fortdauer der frü-
heren Ehe; daß aber die allgemeine Beſtimmung des §. 68. (§. 44. des
Strafgeſetzbuchs) eine beſondere Vorſchrift hierüber unnöthig mache.
Dieſe Auffaſſung iſt jedoch kaum für richtig zu halten, da es nach dem
angeführten Paragraphen vorausgeſetzt wird, daß die Strafbarkeit der
Handlung von beſonderen Eigenſchaften der Perſon u. ſ. w. abhängig
iſt, dieſe Vorausſetzung aber gerade bei der Bigamie in Frage ſteht. —
Auch wurde es in dem vereinigten ſtändiſchen Ausſchuß von dem Ab-
geordneten Grabow angeregt, daß das Geſetzbuch ausdrücklich nur die
b) Berathungs-Protokolle. II. S. 247.
c) Reviſion von 1845. II. S. 168.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/315>, abgerufen am 26.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.