Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XII. Verbr. u. Verg. gegen d. Sittlichk.
gen Fassung des Gesetzbuchs überhaupt nicht mehr festgehalten worden; die Sühnung des Unrechts durch die strafende Gerechtigkeit soll auch hier allgemein verwirklicht werden.
B. Der Nothzucht ist es §. 144. Nr. 2. gleichgestellt worden, wenn jemand eine in einem willenlosen oder bewußtlosen Zustande be- findliche Person zu einer auf Befriedigung des Geschlechtstriebes gerich- teten unzüchtigen Handlung mißbraucht. Dabei kommt es nur für die Strafzumessung in Betracht, ob der Thäter den willenlosen oder bewußt- losen Zustand der gemißbrauchten Person vorsätzlich herbeigeführt hat; x) auch ist kein Unterschied gemacht worden, ob das Verbrechen an einer verleumdeten oder unverleumdeten Person begangen worden. In der Staatsraths-Kommission wurde in letzterer Beziehung vorgeschlagen, die Strafe ganz auszuschließen oder wesentlich herunterzusetzen, wenn mit einer liederlichen Person, die sich in einem völlig trunkenen Zustande befinde, der Beischlaf vollzogen werde. Die Kommission ging aber nicht darauf ein, indem sie annahm, daß solche Fälle überhaupt wohl nicht zur Anzeige und zu einer gerichtlichen Untersuchung kommen würden, und daß es jedenfalls nicht angemessen erscheine, dieselben speziell im Gesetze hervorzuheben. y)
C. Hat jemand mit Personen unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen vorgenommen, so trifft ihn schon um deswegen die Strafe der Nothzucht, ohne daß die vorher unter Nr. 1. und 2. aufgeführten Voraussetzungen zum Thatbestande erforderlich sind (§. 144. Nr. 3.). Diese Vorschrift ist aus der Kabinets-Ordre vom 9. November 1815. (G.-S. S. 207.) herübergenommen, welche bestimmt: "daß jede an einer solchen unerwachsenen Person verübte Brutalität dieser Art für erzwun- gen erachtet werden solle, auch wenn keine Gewalt gegen sie ausgeübt worden sei." Nur ist als das Unterscheidungsjahr im Gesetzbuch nicht das zwölfte, sondern das vierzehnte Lebensjahr angenommen worden. z)
D. Verleitung einer Frauensperson zum Beischlaf, indem dieselbe in den irrthümlichen Glauben versetzt wird, derselbe sei ein ehelicher (§. 145.). Durch die gegenwärtige Fassung des Gesetzes sind Mißver- ständnisse, welche sich früher über dessen Sinn zeigten, beseitigt worden. a) Die Strafe des Verbrechens ist in ihrem höchsten Maaße erheblich nie- driger, als die der Nothzucht.
x)Bericht der Kommission der zweiten Kammer zu §. 133. Nr. 4. Vgl. Entwurf von 1847. §. 176.
y)Verhandlungen von 1846. S. 128. 129.
z)Verhandlungen der Staatsraths-Kommission von 1846. S. 128.
a)Der Entwurf von 1843. §. 387. hatte nämlich den Ausdruck gebraucht, daß die Frauensperson den Beischlaf irrthümlich für "erlaubt" halten müßte, was die Motive von 1850. §. 134. noch für die gesetzliche Bezeichnung zu nehmen scheinen.
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XII. Verbr. u. Verg. gegen d. Sittlichk.
gen Faſſung des Geſetzbuchs überhaupt nicht mehr feſtgehalten worden; die Sühnung des Unrechts durch die ſtrafende Gerechtigkeit ſoll auch hier allgemein verwirklicht werden.
B. Der Nothzucht iſt es §. 144. Nr. 2. gleichgeſtellt worden, wenn jemand eine in einem willenloſen oder bewußtloſen Zuſtande be- findliche Perſon zu einer auf Befriedigung des Geſchlechtstriebes gerich- teten unzüchtigen Handlung mißbraucht. Dabei kommt es nur für die Strafzumeſſung in Betracht, ob der Thäter den willenloſen oder bewußt- loſen Zuſtand der gemißbrauchten Perſon vorſätzlich herbeigeführt hat; x) auch iſt kein Unterſchied gemacht worden, ob das Verbrechen an einer verleumdeten oder unverleumdeten Perſon begangen worden. In der Staatsraths-Kommiſſion wurde in letzterer Beziehung vorgeſchlagen, die Strafe ganz auszuſchließen oder weſentlich herunterzuſetzen, wenn mit einer liederlichen Perſon, die ſich in einem völlig trunkenen Zuſtande befinde, der Beiſchlaf vollzogen werde. Die Kommiſſion ging aber nicht darauf ein, indem ſie annahm, daß ſolche Fälle überhaupt wohl nicht zur Anzeige und zu einer gerichtlichen Unterſuchung kommen würden, und daß es jedenfalls nicht angemeſſen erſcheine, dieſelben ſpeziell im Geſetze hervorzuheben. y)
C. Hat jemand mit Perſonen unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen vorgenommen, ſo trifft ihn ſchon um deswegen die Strafe der Nothzucht, ohne daß die vorher unter Nr. 1. und 2. aufgeführten Vorausſetzungen zum Thatbeſtande erforderlich ſind (§. 144. Nr. 3.). Dieſe Vorſchrift iſt aus der Kabinets-Ordre vom 9. November 1815. (G.-S. S. 207.) herübergenommen, welche beſtimmt: „daß jede an einer ſolchen unerwachſenen Perſon verübte Brutalität dieſer Art für erzwun- gen erachtet werden ſolle, auch wenn keine Gewalt gegen ſie ausgeübt worden ſei.“ Nur iſt als das Unterſcheidungsjahr im Geſetzbuch nicht das zwölfte, ſondern das vierzehnte Lebensjahr angenommen worden. z)
D. Verleitung einer Frauensperſon zum Beiſchlaf, indem dieſelbe in den irrthümlichen Glauben verſetzt wird, derſelbe ſei ein ehelicher (§. 145.). Durch die gegenwärtige Faſſung des Geſetzes ſind Mißver- ſtändniſſe, welche ſich früher über deſſen Sinn zeigten, beſeitigt worden. a) Die Strafe des Verbrechens iſt in ihrem höchſten Maaße erheblich nie- driger, als die der Nothzucht.
x)Bericht der Kommiſſion der zweiten Kammer zu §. 133. Nr. 4. Vgl. Entwurf von 1847. §. 176.
y)Verhandlungen von 1846. S. 128. 129.
z)Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 128.
a)Der Entwurf von 1843. §. 387. hatte nämlich den Ausdruck gebraucht, daß die Frauensperſon den Beiſchlaf irrthümlich für „erlaubt“ halten müßte, was die Motive von 1850. §. 134. noch für die geſetzliche Bezeichnung zu nehmen ſcheinen.
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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XII. Verbr. u. Verg. gegen d. Sittlichk.
gen Faſſung des Geſetzbuchs überhaupt nicht mehr feſtgehalten worden;
die Sühnung des Unrechts durch die ſtrafende Gerechtigkeit ſoll auch
hier allgemein verwirklicht werden.
B. Der Nothzucht iſt es §. 144. Nr. 2. gleichgeſtellt worden,
wenn jemand eine in einem willenloſen oder bewußtloſen Zuſtande be-
findliche Perſon zu einer auf Befriedigung des Geſchlechtstriebes gerich-
teten unzüchtigen Handlung mißbraucht. Dabei kommt es nur für die
Strafzumeſſung in Betracht, ob der Thäter den willenloſen oder bewußt-
loſen Zuſtand der gemißbrauchten Perſon vorſätzlich herbeigeführt hat; x)
auch iſt kein Unterſchied gemacht worden, ob das Verbrechen an einer
verleumdeten oder unverleumdeten Perſon begangen worden. In der
Staatsraths-Kommiſſion wurde in letzterer Beziehung vorgeſchlagen, die
Strafe ganz auszuſchließen oder weſentlich herunterzuſetzen, wenn mit
einer liederlichen Perſon, die ſich in einem völlig trunkenen Zuſtande
befinde, der Beiſchlaf vollzogen werde. Die Kommiſſion ging aber nicht
darauf ein, indem ſie annahm, daß ſolche Fälle überhaupt wohl nicht
zur Anzeige und zu einer gerichtlichen Unterſuchung kommen würden,
und daß es jedenfalls nicht angemeſſen erſcheine, dieſelben ſpeziell im
Geſetze hervorzuheben. y)
C. Hat jemand mit Perſonen unter vierzehn Jahren unzüchtige
Handlungen vorgenommen, ſo trifft ihn ſchon um deswegen die Strafe
der Nothzucht, ohne daß die vorher unter Nr. 1. und 2. aufgeführten
Vorausſetzungen zum Thatbeſtande erforderlich ſind (§. 144. Nr. 3.).
Dieſe Vorſchrift iſt aus der Kabinets-Ordre vom 9. November 1815.
(G.-S. S. 207.) herübergenommen, welche beſtimmt: „daß jede an einer
ſolchen unerwachſenen Perſon verübte Brutalität dieſer Art für erzwun-
gen erachtet werden ſolle, auch wenn keine Gewalt gegen ſie ausgeübt
worden ſei.“ Nur iſt als das Unterſcheidungsjahr im Geſetzbuch nicht
das zwölfte, ſondern das vierzehnte Lebensjahr angenommen worden. z)
D. Verleitung einer Frauensperſon zum Beiſchlaf, indem dieſelbe
in den irrthümlichen Glauben verſetzt wird, derſelbe ſei ein ehelicher
(§. 145.). Durch die gegenwärtige Faſſung des Geſetzes ſind Mißver-
ſtändniſſe, welche ſich früher über deſſen Sinn zeigten, beſeitigt worden. a)
Die Strafe des Verbrechens iſt in ihrem höchſten Maaße erheblich nie-
driger, als die der Nothzucht.
x) Bericht der Kommiſſion der zweiten Kammer zu §. 133. Nr. 4.
Vgl. Entwurf von 1847. §. 176.
y) Verhandlungen von 1846. S. 128. 129.
z) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 128.
a) Der Entwurf von 1843. §. 387. hatte nämlich den Ausdruck gebraucht,
daß die Frauensperſon den Beiſchlaf irrthümlich für „erlaubt“ halten müßte, was die
Motive von 1850. §. 134. noch für die geſetzliche Bezeichnung zu nehmen ſcheinen.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/326>, abgerufen am 17.06.2024.
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