Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Thatsachen schließt das Vorhandensein einer Beleidigung nicht aus, wenn aus der Form der Behauptung oder Verbreitung, oder aus anderen Umständen, unter welchen sie geschah, die Absicht zu beleidigen hervorgeht.
§. 159.
Sind die behaupteten oder verbreiteten Thatsachen strafbare Handlungen, und ist wegen derselben bei der zuständigen Behörde Anzeige gemacht, so muß bis zu dem Beschlusse, daß die Eröffnung der Untersuchung nicht stattfinde, oder bis zur Beendigung der eingeleiteten Untersuchung mit dem Verfahren und der Entscheidung über die Verleumdung inne gehalten werden.
Wenn bei der Beleidigung daran festzuhalten war, daß dieselbe nicht ohne den auf die Ehrverletzung gerichteten Dolus anzunehmen sei, so ist bei der Verleumdung ein anderes Princip maaßgebend geworden. Zum Thatbestande dieses Vergehens wird gefordert,
1) daß in Beziehung auf einen Anderen unwahre Thatsachen be- hauptet oder verbreitet sind,
2) daß derselbe dadurch in der öffentlichen Meinung dem Hasse oder der Verachtung ausgesetzt wird.
Darauf aber kommt es nicht an, ob der Thäter die Unwahrheit der Thatsachen kannte, und ob er sie in der Absicht verbreitet hat, dem guten Namen des Anderen dadurch zu schaden. Auch derjenige, welcher, sich auf einen unsicheren Gewährsmann verlassend, aus Leichtsinn und Unbesonnenheit verleumdet hat, ist strafbar, und nur bei der Straf- zumessung wird auf den Grad seiner Verschuldung Rücksicht zu nehmen sein. Die Zulassung mildernder Umstände (§. 156. Abs. 3.) bezieht sich namentlich auf solche Fälle der fahrlässigen Verleumdung.
Diese Auffassung des Vergehens ist jedoch nicht ohne Widerspruch geblieben. Im Staatsrathe machte sich die Ansicht geltend, daß wie in den meisten anderen Deutschen Gesetzgebungen zu unterscheiden sei zwi- schen der absichtlichen bewußten Verleumdung und der üblen Nachrede, welche aus Fahrlässigkeit unwahre Thatsachen zum Nachtheile eines Anderen verbreitet. In diesem letzteren Falle sei die Strafe principiell zu ermäßigen, ja unter Umständen werde sie sich gar nicht rechtfertigen lassen, namentlich wenn nur eine vertrauliche Mittheilung vorliege, welche eine Verbreitung der betreffenden Thatsachen gar nicht bezweckt habe. Obgleich nun darauf erwiedert wurde, daß es sich hier nicht um Mittheilungen handle, welche dem Betheiligten nur unangenehm, und vielleicht nachtheilig sein könnten, nicht um s. g. Klatschereien, sondern
Beseler Kommentar. 22
§§. 156-159. Verleumdung.
§. 158.
Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Thatſachen ſchließt das Vorhandenſein einer Beleidigung nicht aus, wenn aus der Form der Behauptung oder Verbreitung, oder aus anderen Umſtänden, unter welchen ſie geſchah, die Abſicht zu beleidigen hervorgeht.
§. 159.
Sind die behaupteten oder verbreiteten Thatſachen ſtrafbare Handlungen, und iſt wegen derſelben bei der zuſtändigen Behörde Anzeige gemacht, ſo muß bis zu dem Beſchluſſe, daß die Eröffnung der Unterſuchung nicht ſtattfinde, oder bis zur Beendigung der eingeleiteten Unterſuchung mit dem Verfahren und der Entſcheidung über die Verleumdung inne gehalten werden.
Wenn bei der Beleidigung daran feſtzuhalten war, daß dieſelbe nicht ohne den auf die Ehrverletzung gerichteten Dolus anzunehmen ſei, ſo iſt bei der Verleumdung ein anderes Princip maaßgebend geworden. Zum Thatbeſtande dieſes Vergehens wird gefordert,
1) daß in Beziehung auf einen Anderen unwahre Thatſachen be- hauptet oder verbreitet ſind,
2) daß derſelbe dadurch in der öffentlichen Meinung dem Haſſe oder der Verachtung ausgeſetzt wird.
Darauf aber kommt es nicht an, ob der Thäter die Unwahrheit der Thatſachen kannte, und ob er ſie in der Abſicht verbreitet hat, dem guten Namen des Anderen dadurch zu ſchaden. Auch derjenige, welcher, ſich auf einen unſicheren Gewährsmann verlaſſend, aus Leichtſinn und Unbeſonnenheit verleumdet hat, iſt ſtrafbar, und nur bei der Straf- zumeſſung wird auf den Grad ſeiner Verſchuldung Rückſicht zu nehmen ſein. Die Zulaſſung mildernder Umſtände (§. 156. Abſ. 3.) bezieht ſich namentlich auf ſolche Fälle der fahrläſſigen Verleumdung.
Dieſe Auffaſſung des Vergehens iſt jedoch nicht ohne Widerſpruch geblieben. Im Staatsrathe machte ſich die Anſicht geltend, daß wie in den meiſten anderen Deutſchen Geſetzgebungen zu unterſcheiden ſei zwi- ſchen der abſichtlichen bewußten Verleumdung und der üblen Nachrede, welche aus Fahrläſſigkeit unwahre Thatſachen zum Nachtheile eines Anderen verbreitet. In dieſem letzteren Falle ſei die Strafe principiell zu ermäßigen, ja unter Umſtänden werde ſie ſich gar nicht rechtfertigen laſſen, namentlich wenn nur eine vertrauliche Mittheilung vorliege, welche eine Verbreitung der betreffenden Thatſachen gar nicht bezweckt habe. Obgleich nun darauf erwiedert wurde, daß es ſich hier nicht um Mittheilungen handle, welche dem Betheiligten nur unangenehm, und vielleicht nachtheilig ſein könnten, nicht um ſ. g. Klatſchereien, ſondern
Beſeler Kommentar. 22
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§§. 156-159. Verleumdung.
§. 158.
Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Thatſachen
ſchließt das Vorhandenſein einer Beleidigung nicht aus, wenn aus der Form
der Behauptung oder Verbreitung, oder aus anderen Umſtänden, unter welchen
ſie geſchah, die Abſicht zu beleidigen hervorgeht.
§. 159.
Sind die behaupteten oder verbreiteten Thatſachen ſtrafbare Handlungen,
und iſt wegen derſelben bei der zuſtändigen Behörde Anzeige gemacht, ſo muß
bis zu dem Beſchluſſe, daß die Eröffnung der Unterſuchung nicht ſtattfinde,
oder bis zur Beendigung der eingeleiteten Unterſuchung mit dem Verfahren
und der Entſcheidung über die Verleumdung inne gehalten werden.
Wenn bei der Beleidigung daran feſtzuhalten war, daß dieſelbe
nicht ohne den auf die Ehrverletzung gerichteten Dolus anzunehmen ſei,
ſo iſt bei der Verleumdung ein anderes Princip maaßgebend geworden.
Zum Thatbeſtande dieſes Vergehens wird gefordert,
1) daß in Beziehung auf einen Anderen unwahre Thatſachen be-
hauptet oder verbreitet ſind,
2) daß derſelbe dadurch in der öffentlichen Meinung dem Haſſe oder
der Verachtung ausgeſetzt wird.
Darauf aber kommt es nicht an, ob der Thäter die Unwahrheit
der Thatſachen kannte, und ob er ſie in der Abſicht verbreitet hat, dem
guten Namen des Anderen dadurch zu ſchaden. Auch derjenige, welcher,
ſich auf einen unſicheren Gewährsmann verlaſſend, aus Leichtſinn und
Unbeſonnenheit verleumdet hat, iſt ſtrafbar, und nur bei der Straf-
zumeſſung wird auf den Grad ſeiner Verſchuldung Rückſicht zu nehmen
ſein. Die Zulaſſung mildernder Umſtände (§. 156. Abſ. 3.) bezieht ſich
namentlich auf ſolche Fälle der fahrläſſigen Verleumdung.
Dieſe Auffaſſung des Vergehens iſt jedoch nicht ohne Widerſpruch
geblieben. Im Staatsrathe machte ſich die Anſicht geltend, daß wie in
den meiſten anderen Deutſchen Geſetzgebungen zu unterſcheiden ſei zwi-
ſchen der abſichtlichen bewußten Verleumdung und der üblen Nachrede,
welche aus Fahrläſſigkeit unwahre Thatſachen zum Nachtheile eines
Anderen verbreitet. In dieſem letzteren Falle ſei die Strafe principiell
zu ermäßigen, ja unter Umſtänden werde ſie ſich gar nicht rechtfertigen
laſſen, namentlich wenn nur eine vertrauliche Mittheilung vorliege,
welche eine Verbreitung der betreffenden Thatſachen gar nicht bezweckt
habe. Obgleich nun darauf erwiedert wurde, daß es ſich hier nicht um
Mittheilungen handle, welche dem Betheiligten nur unangenehm, und
vielleicht nachtheilig ſein könnten, nicht um ſ. g. Klatſchereien, ſondern
Beſeler Kommentar. 22
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/339>, abgerufen am 24.11.2024.
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