b. Der Zeugenbeweis ist beschränkt. Es läßt sich nämlich nicht in Abrede stellen, daß in einem Verleumdungsprozesse über den Zweck der gewährten Einrede der Wahrheit hinaus Mißbrauch mit der Vor- führung von Zeugen getrieben werden kann, indem sie nicht benutzt werden, um eine relevante Thatsache zu beweisen, sondern um Verlegen- heiten und Aergerniß zu bereiten. In Frankreich ist man durch diese Erwägung veranlaßt worden, jedes andere Beweismittel, als Urtheile und authentische Urkunden, auszuschließen, l) -- eine Beschränkung der Vertheidigung, welche nicht gebilligt werden kann, und in der späteren Französischen Gesetzgebung auch nicht konsequent festgehalten worden ist. In England wird, wenn wegen einer Schmähschrift (libel) ein Kri- minalverfahren eingeleitet worden ist, die Einrede der Wahrheit nur dann gestattet, wenn der Angeklagte nachweist, daß die Verbreitung im öffentlichen Interesse (for the public benefit) geschehen sei. m) In Nachahmung dieser Bestimmung hatte der Entwurf von 1850. §. 186. die Vorschrift aufgestellt, daß der Zeugenbeweis nicht zulässig sein solle, wenn nicht zugleich der Beweis bestimmter Thatsachen erboten werde, aus welchen hervorgeht, daß die Behauptung oder Verbreitung zur Beförderung des öffentlichen Wohls oder zum Vortheile des Publikums geschehen ist. -- In der Kommission der zweiten Kammer fand man aber diese Vorschrift willkührlich und unangemessen, und begnügte sich, die Zulässigkeit des Zeugenbeweises von der Erheblichkeit der zum Beweis verstellten Thatsachen, worüber ein besonderer Beschluß des Gerichts zu befinden hat, abhängen zu lassen (§. 157. Abs. 2.). n)
c. Ist die dem Anderen beigemessene Handlung mit Strafe bedroht und eine definitive Freisprechung erfolgt, so soll gegen das rechtskräftige Urtheil der Beweis der Wahrheit überhaupt nicht zugelassen werden (§. 157. Abs. 3.).
d. Der Beweis der Wahrheit schließt, wenn er erbracht worden, das Vorhandensein der Verleumdung aus. Dagegen kann in der Aeußerung, welche als Verleumdung nicht zu ahnden ist, doch eine Ehrenkränkung durch Beleidigung liegen, welche von der Wahrheit oder Unwahrheit der betreffenden Thatsachen unabhängig ist, wenn z. B. jemand von einem Anderen, der gestohlen hat, behauptet, er sei ein
l)Code penal. Art. 370. -- Ne sera consideree comme preuve le- gale, que celle qui resultera d'un jugement, ou de tout autre acte authentique.
m)Gesetz vom 24. Aug. 1843. Vgl. Kritische Zeitschrift für Rechtswissen- schaft und Gesetzgebung des Auslandes, herausgeg. von Mittermaier und R. von Mohl XVI. 3. S. 481-84.
n)Bericht der Kommission der zweiten Kammer a. a. O. -- Bericht der Kommission der ersten Kammer ebendas.
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§§. 156-159. Verleumdung.
b. Der Zeugenbeweis iſt beſchränkt. Es läßt ſich nämlich nicht in Abrede ſtellen, daß in einem Verleumdungsprozeſſe über den Zweck der gewährten Einrede der Wahrheit hinaus Mißbrauch mit der Vor- führung von Zeugen getrieben werden kann, indem ſie nicht benutzt werden, um eine relevante Thatſache zu beweiſen, ſondern um Verlegen- heiten und Aergerniß zu bereiten. In Frankreich iſt man durch dieſe Erwägung veranlaßt worden, jedes andere Beweismittel, als Urtheile und authentiſche Urkunden, auszuſchließen, l) — eine Beſchränkung der Vertheidigung, welche nicht gebilligt werden kann, und in der ſpäteren Franzöſiſchen Geſetzgebung auch nicht konſequent feſtgehalten worden iſt. In England wird, wenn wegen einer Schmähſchrift (libel) ein Kri- minalverfahren eingeleitet worden iſt, die Einrede der Wahrheit nur dann geſtattet, wenn der Angeklagte nachweiſt, daß die Verbreitung im öffentlichen Intereſſe (for the public benefit) geſchehen ſei. m) In Nachahmung dieſer Beſtimmung hatte der Entwurf von 1850. §. 186. die Vorſchrift aufgeſtellt, daß der Zeugenbeweis nicht zuläſſig ſein ſolle, wenn nicht zugleich der Beweis beſtimmter Thatſachen erboten werde, aus welchen hervorgeht, daß die Behauptung oder Verbreitung zur Beförderung des öffentlichen Wohls oder zum Vortheile des Publikums geſchehen iſt. — In der Kommiſſion der zweiten Kammer fand man aber dieſe Vorſchrift willkührlich und unangemeſſen, und begnügte ſich, die Zuläſſigkeit des Zeugenbeweiſes von der Erheblichkeit der zum Beweis verſtellten Thatſachen, worüber ein beſonderer Beſchluß des Gerichts zu befinden hat, abhängen zu laſſen (§. 157. Abſ. 2.). n)
c. Iſt die dem Anderen beigemeſſene Handlung mit Strafe bedroht und eine definitive Freiſprechung erfolgt, ſo ſoll gegen das rechtskräftige Urtheil der Beweis der Wahrheit überhaupt nicht zugelaſſen werden (§. 157. Abſ. 3.).
d. Der Beweis der Wahrheit ſchließt, wenn er erbracht worden, das Vorhandenſein der Verleumdung aus. Dagegen kann in der Aeußerung, welche als Verleumdung nicht zu ahnden iſt, doch eine Ehrenkränkung durch Beleidigung liegen, welche von der Wahrheit oder Unwahrheit der betreffenden Thatſachen unabhängig iſt, wenn z. B. jemand von einem Anderen, der geſtohlen hat, behauptet, er ſei ein
l)Code pénal. Art. 370. — Ne sera considerée comme preuve lé- gale, que celle qui résultera d'un jugement, ou de tout autre acte authentique.
m)Geſetz vom 24. Aug. 1843. Vgl. Kritiſche Zeitſchrift für Rechtswiſſen- ſchaft und Geſetzgebung des Auslandes, herausgeg. von Mittermaier und R. von Mohl XVI. 3. S. 481-84.
n)Bericht der Kommiſſion der zweiten Kammer a. a. O. — Bericht der Kommiſſion der erſten Kammer ebendaſ.
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§§. 156-159. Verleumdung.
b. Der Zeugenbeweis iſt beſchränkt. Es läßt ſich nämlich nicht
in Abrede ſtellen, daß in einem Verleumdungsprozeſſe über den Zweck
der gewährten Einrede der Wahrheit hinaus Mißbrauch mit der Vor-
führung von Zeugen getrieben werden kann, indem ſie nicht benutzt
werden, um eine relevante Thatſache zu beweiſen, ſondern um Verlegen-
heiten und Aergerniß zu bereiten. In Frankreich iſt man durch dieſe
Erwägung veranlaßt worden, jedes andere Beweismittel, als Urtheile
und authentiſche Urkunden, auszuſchließen, l) — eine Beſchränkung der
Vertheidigung, welche nicht gebilligt werden kann, und in der ſpäteren
Franzöſiſchen Geſetzgebung auch nicht konſequent feſtgehalten worden iſt.
In England wird, wenn wegen einer Schmähſchrift (libel) ein Kri-
minalverfahren eingeleitet worden iſt, die Einrede der Wahrheit nur
dann geſtattet, wenn der Angeklagte nachweiſt, daß die Verbreitung im
öffentlichen Intereſſe (for the public benefit) geſchehen ſei. m) In
Nachahmung dieſer Beſtimmung hatte der Entwurf von 1850. §. 186.
die Vorſchrift aufgeſtellt, daß der Zeugenbeweis nicht zuläſſig ſein ſolle,
wenn nicht zugleich der Beweis beſtimmter Thatſachen erboten werde,
aus welchen hervorgeht, daß die Behauptung oder Verbreitung zur
Beförderung des öffentlichen Wohls oder zum Vortheile des Publikums
geſchehen iſt. — In der Kommiſſion der zweiten Kammer fand man
aber dieſe Vorſchrift willkührlich und unangemeſſen, und begnügte ſich,
die Zuläſſigkeit des Zeugenbeweiſes von der Erheblichkeit der zum Beweis
verſtellten Thatſachen, worüber ein beſonderer Beſchluß des Gerichts zu
befinden hat, abhängen zu laſſen (§. 157. Abſ. 2.). n)
c. Iſt die dem Anderen beigemeſſene Handlung mit Strafe bedroht
und eine definitive Freiſprechung erfolgt, ſo ſoll gegen das rechtskräftige
Urtheil der Beweis der Wahrheit überhaupt nicht zugelaſſen werden
(§. 157. Abſ. 3.).
d. Der Beweis der Wahrheit ſchließt, wenn er erbracht worden,
das Vorhandenſein der Verleumdung aus. Dagegen kann in der
Aeußerung, welche als Verleumdung nicht zu ahnden iſt, doch eine
Ehrenkränkung durch Beleidigung liegen, welche von der Wahrheit oder
Unwahrheit der betreffenden Thatſachen unabhängig iſt, wenn z. B.
jemand von einem Anderen, der geſtohlen hat, behauptet, er ſei ein
l) Code pénal. Art. 370. — Ne sera considerée comme preuve lé-
gale, que celle qui résultera d'un jugement, ou de tout autre acte
authentique.
m) Geſetz vom 24. Aug. 1843. Vgl. Kritiſche Zeitſchrift für Rechtswiſſen-
ſchaft und Geſetzgebung des Auslandes, herausgeg. von Mittermaier und R. von
Mohl XVI. 3. S. 481-84.
n) Bericht der Kommiſſion der zweiten Kammer a. a. O. — Bericht
der Kommiſſion der erſten Kammer ebendaſ.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/341>, abgerufen am 17.06.2024.
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