Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.
Die Staatsraths-Kommission hatte in Beziehung auf diese Vor- schrift nur eine Modifikation vorgeschlagen; o) im Staatsrathe wurde aber dagegen bemerkt, daß es nach den von dem Medizinal-Departement bei der Revision des Allg. Landrechts Th. I. Tit. 1. §§. 17. und 18. gemachten und jetzt wiederholten Bemerkungen lebendige Leibesfrüchte, welche gar keine menschliche Form und Bildung haben, nicht gebe; dergleichen Leibesfrüchte bezeichne die Wissenschaft gegenwärtig mit dem Namen Molen oder Mondkälber, wogegen sie unförmliche Leibes- früchte, welche im Einzelnen von der menschlichen Form und Bildung abweichen, solche aber im Allgemeinen besitzen, Mißgeburten nenne. Mißgeburten dieser Art ständen in rechtlicher Beziehung den wohlgebil- deten Geburten völlig gleich und könnten deswegen hier nicht besonders in Betracht kommen; in Ansehung der Mißgeburten im Sinne des Allg. Landrechts fehle aber, da sie niemals ein selbständiges Leben haben, den Bestimmungen des Entwurfs ein reales Fundament. Die Vor- schrift des Allgem. Landrechts Th. II. Tit. 20. §§. 718. 719. sei auch noch niemals zur Anwendung gekommen. -- In Folge dieser Bemer- kungen wurde die Aufnahme der vorgeschlagenen Bestimmungen ab- gelehnt. p)
b. Andere Vorschriften finden sich noch in dem Entwurf von 1843. Hier heißt es nämlich:
§. 310. "Wer einen Todtkranken oder tödtlich Verwundeten auf dessen Verlangen tödtet, ist mit Gefängniß nicht unter drei Monaten oder mit Strafarbeit nicht unter drei Jahren zu belegen."
Das Ministerium für die Gesetz-Revision beantragte aber in Ueber- einstimmung mit vielen Monenten das Wegfallen des Paragraphen. q) "Abgesehen davon, daß für die höchst seltenen Fälle der möglichen An- wendung ein praktisches Bedürfniß nicht vorliegt, fehlt es auch an einem wahren Rechtsgrund, da der Grundsatz: volenti non fit injuria hier gewiß nicht anwendbar ist. Außerdem ist dieser Satz gefährlich für die öffentliche Sicherheit, indem er zur Entschuldigung für die schwersten Verbrechen mißbraucht werden kann. Er ist endlich für die Anwendung unbrauchbar, da weder der Verlangende noch der Tödtende in der Regel wissen kann, ob die Krankheit oder Verwundung tödtlich sei, und da sich dies hinterher gewiß nicht feststellen läßt. Für die äußerst seltenen Fälle, die vielleicht auf dem Schlachtfelde vorkommen könnten, wird es fast nie zur Untersuchung kommen, und sollte ein
o)Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission. II. S. 224.
p)Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 24. April 1841.
q)Revision von 1845. II. S. 127.
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.
Die Staatsraths-Kommiſſion hatte in Beziehung auf dieſe Vor- ſchrift nur eine Modifikation vorgeſchlagen; o) im Staatsrathe wurde aber dagegen bemerkt, daß es nach den von dem Medizinal-Departement bei der Reviſion des Allg. Landrechts Th. I. Tit. 1. §§. 17. und 18. gemachten und jetzt wiederholten Bemerkungen lebendige Leibesfrüchte, welche gar keine menſchliche Form und Bildung haben, nicht gebe; dergleichen Leibesfrüchte bezeichne die Wiſſenſchaft gegenwärtig mit dem Namen Molen oder Mondkälber, wogegen ſie unförmliche Leibes- früchte, welche im Einzelnen von der menſchlichen Form und Bildung abweichen, ſolche aber im Allgemeinen beſitzen, Mißgeburten nenne. Mißgeburten dieſer Art ſtänden in rechtlicher Beziehung den wohlgebil- deten Geburten völlig gleich und könnten deswegen hier nicht beſonders in Betracht kommen; in Anſehung der Mißgeburten im Sinne des Allg. Landrechts fehle aber, da ſie niemals ein ſelbſtändiges Leben haben, den Beſtimmungen des Entwurfs ein reales Fundament. Die Vor- ſchrift des Allgem. Landrechts Th. II. Tit. 20. §§. 718. 719. ſei auch noch niemals zur Anwendung gekommen. — In Folge dieſer Bemer- kungen wurde die Aufnahme der vorgeſchlagenen Beſtimmungen ab- gelehnt. p)
b. Andere Vorſchriften finden ſich noch in dem Entwurf von 1843. Hier heißt es nämlich:
§. 310. „Wer einen Todtkranken oder tödtlich Verwundeten auf deſſen Verlangen tödtet, iſt mit Gefängniß nicht unter drei Monaten oder mit Strafarbeit nicht unter drei Jahren zu belegen.“
Das Miniſterium für die Geſetz-Reviſion beantragte aber in Ueber- einſtimmung mit vielen Monenten das Wegfallen des Paragraphen. q) „Abgeſehen davon, daß für die höchſt ſeltenen Fälle der möglichen An- wendung ein praktiſches Bedürfniß nicht vorliegt, fehlt es auch an einem wahren Rechtsgrund, da der Grundſatz: volenti non fit injuria hier gewiß nicht anwendbar iſt. Außerdem iſt dieſer Satz gefährlich für die öffentliche Sicherheit, indem er zur Entſchuldigung für die ſchwerſten Verbrechen mißbraucht werden kann. Er iſt endlich für die Anwendung unbrauchbar, da weder der Verlangende noch der Tödtende in der Regel wiſſen kann, ob die Krankheit oder Verwundung tödtlich ſei, und da ſich dies hinterher gewiß nicht feſtſtellen läßt. Für die äußerſt ſeltenen Fälle, die vielleicht auf dem Schlachtfelde vorkommen könnten, wird es faſt nie zur Unterſuchung kommen, und ſollte ein
o)Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II. S. 224.
p)Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 24. April 1841.
q)Reviſion von 1845. II. S. 127.
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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.
Die Staatsraths-Kommiſſion hatte in Beziehung auf dieſe Vor-
ſchrift nur eine Modifikation vorgeſchlagen; o) im Staatsrathe wurde
aber dagegen bemerkt, daß es nach den von dem Medizinal-Departement
bei der Reviſion des Allg. Landrechts Th. I. Tit. 1. §§. 17. und 18.
gemachten und jetzt wiederholten Bemerkungen lebendige Leibesfrüchte,
welche gar keine menſchliche Form und Bildung haben, nicht gebe;
dergleichen Leibesfrüchte bezeichne die Wiſſenſchaft gegenwärtig mit dem
Namen Molen oder Mondkälber, wogegen ſie unförmliche Leibes-
früchte, welche im Einzelnen von der menſchlichen Form und Bildung
abweichen, ſolche aber im Allgemeinen beſitzen, Mißgeburten nenne.
Mißgeburten dieſer Art ſtänden in rechtlicher Beziehung den wohlgebil-
deten Geburten völlig gleich und könnten deswegen hier nicht beſonders
in Betracht kommen; in Anſehung der Mißgeburten im Sinne des Allg.
Landrechts fehle aber, da ſie niemals ein ſelbſtändiges Leben haben,
den Beſtimmungen des Entwurfs ein reales Fundament. Die Vor-
ſchrift des Allgem. Landrechts Th. II. Tit. 20. §§. 718. 719. ſei auch
noch niemals zur Anwendung gekommen. — In Folge dieſer Bemer-
kungen wurde die Aufnahme der vorgeſchlagenen Beſtimmungen ab-
gelehnt. p)
b. Andere Vorſchriften finden ſich noch in dem Entwurf von 1843.
Hier heißt es nämlich:
§. 310. „Wer einen Todtkranken oder tödtlich Verwundeten auf
deſſen Verlangen tödtet, iſt mit Gefängniß nicht unter drei Monaten
oder mit Strafarbeit nicht unter drei Jahren zu belegen.“
Das Miniſterium für die Geſetz-Reviſion beantragte aber in Ueber-
einſtimmung mit vielen Monenten das Wegfallen des Paragraphen. q)
„Abgeſehen davon, daß für die höchſt ſeltenen Fälle der möglichen An-
wendung ein praktiſches Bedürfniß nicht vorliegt, fehlt es auch an
einem wahren Rechtsgrund, da der Grundſatz: volenti non fit injuria
hier gewiß nicht anwendbar iſt. Außerdem iſt dieſer Satz gefährlich
für die öffentliche Sicherheit, indem er zur Entſchuldigung für die
ſchwerſten Verbrechen mißbraucht werden kann. Er iſt endlich für die
Anwendung unbrauchbar, da weder der Verlangende noch der Tödtende
in der Regel wiſſen kann, ob die Krankheit oder Verwundung tödtlich
ſei, und da ſich dies hinterher gewiß nicht feſtſtellen läßt. Für die
äußerſt ſeltenen Fälle, die vielleicht auf dem Schlachtfelde vorkommen
könnten, wird es faſt nie zur Unterſuchung kommen, und ſollte ein
o) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II.
S. 224.
p) Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 24. April 1841.
q) Reviſion von 1845. II. S. 127.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/358>, abgerufen am 22.11.2024.
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