Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 175. Der Mord.
Werke geht, macht sich des Mordes schuldig, und ist mit dem Tode zu
bestrafen."

In der Staatsraths-Kommission war man jedoch der Ansicht, daß
die früher gegebene Definition den Begriff des Verbrechens hinreichend
bezeichne, und entschloß sich nur mit Rücksicht auf die an die Geschwo-
renen zu stellenden Fragen zu der formellen Abänderung, daß statt
"mit überlegtem Vorsatze" gesagt werde "vorsätzlich und mit Ueberle-
gung." l) Diese Fassung ist in dem Gesetzbuche auch beibehalten worden.

I. Der Ausdruck "mit Ueberlegung" ist also nicht wesentlich ver-
schieden von dem entsprechenden "mit Vorbedacht," durch welchen das
Rheinische Recht das Wesen des Mordes bezeichnet; m) es wird bei
jener Bezeichnung nur nicht alles Gewicht auf die Zeit, welche zwischen
dem Entschluß zur That und der That selbst verflossen ist, gelegt, son-
dern die beiden oben unterschiedenen Fälle der Ueberlegung vor der
That und bei der That werden gleichmäßig unter dem Begriff des
Mordes befaßt. Daher besteht auch kein Unterschied zwischen dem That-
bestand des Mordes nach dem Strafgesetzbuch und nach den anderen
Deutschen Gesetzgebungen; im Staatsrathe wurde dieß bei der Wahl
jenes Ausdrucks besonders hervorgehoben, und nur die weitere Exem-
plifikation, welche später der Entwurf von 1845. doch vorschlug, für
überflüssig erachtet. n)

II. Die Strafe des Mordes ist der Tod; bei dem Verwandten-
morde soll zugleich auf den Verlust der bürgerlichen Ehre erkannt
werden. Zu den Verwandten werden aber hier nur die leiblichen Ascen-
denten und der Ehegatte gerechnet, während der Begriff des parricidium
nach gemeinem Rechte ein weiterer ist.

III. In den älteren Entwürfen waren mehrere besondere Fälle, in
denen über die Anwendung der gesetzlichen Strafe Zweifel zu bestehen
schienen, zum Gegenstand eigener Vorschriften gemacht worden. Die-
selben sind aber in Folge weiterer Erwägung später aus dem Straf-
gesetzbuche weggelassen worden.

a. Der Entwurf von 1836. bestimmte:

§. 427. "Wer eine Mißgeburt eigenmächtig tödtet, hat sechswö-
chentliche bis sechsmonatliche Gefängnißstrafe verwirkt."


l) Verhandlungen der Staatsraths-Kommission von 1846.
S. 113. -- Fernere Verhandlungen von 1847. S. 43.
m) Code penal. Art. 296-98. Ergänzend kommt hierbei noch in Be-
tracht die Bestimmung des Art. 303. Seront punis comme coupables d'assas-
sinat, tous malfaiteurs, quelle que soit leur denomination, qui pour l'exe-
cution de leurs crimes emploient des tortures ou commettent des actes
de barbarie.
n) Vgl. Motive zum Entwurf von 1850. §. 161. 162.
23*

§. 175. Der Mord.
Werke geht, macht ſich des Mordes ſchuldig, und iſt mit dem Tode zu
beſtrafen.“

In der Staatsraths-Kommiſſion war man jedoch der Anſicht, daß
die früher gegebene Definition den Begriff des Verbrechens hinreichend
bezeichne, und entſchloß ſich nur mit Rückſicht auf die an die Geſchwo-
renen zu ſtellenden Fragen zu der formellen Abänderung, daß ſtatt
„mit überlegtem Vorſatze“ geſagt werde „vorſätzlich und mit Ueberle-
gung.“ l) Dieſe Faſſung iſt in dem Geſetzbuche auch beibehalten worden.

I. Der Ausdruck „mit Ueberlegung“ iſt alſo nicht weſentlich ver-
ſchieden von dem entſprechenden „mit Vorbedacht,“ durch welchen das
Rheiniſche Recht das Weſen des Mordes bezeichnet; m) es wird bei
jener Bezeichnung nur nicht alles Gewicht auf die Zeit, welche zwiſchen
dem Entſchluß zur That und der That ſelbſt verfloſſen iſt, gelegt, ſon-
dern die beiden oben unterſchiedenen Fälle der Ueberlegung vor der
That und bei der That werden gleichmäßig unter dem Begriff des
Mordes befaßt. Daher beſteht auch kein Unterſchied zwiſchen dem That-
beſtand des Mordes nach dem Strafgeſetzbuch und nach den anderen
Deutſchen Geſetzgebungen; im Staatsrathe wurde dieß bei der Wahl
jenes Ausdrucks beſonders hervorgehoben, und nur die weitere Exem-
plifikation, welche ſpäter der Entwurf von 1845. doch vorſchlug, für
überflüſſig erachtet. n)

II. Die Strafe des Mordes iſt der Tod; bei dem Verwandten-
morde ſoll zugleich auf den Verluſt der bürgerlichen Ehre erkannt
werden. Zu den Verwandten werden aber hier nur die leiblichen Aſcen-
denten und der Ehegatte gerechnet, während der Begriff des parricidium
nach gemeinem Rechte ein weiterer iſt.

III. In den älteren Entwürfen waren mehrere beſondere Fälle, in
denen über die Anwendung der geſetzlichen Strafe Zweifel zu beſtehen
ſchienen, zum Gegenſtand eigener Vorſchriften gemacht worden. Die-
ſelben ſind aber in Folge weiterer Erwägung ſpäter aus dem Straf-
geſetzbuche weggelaſſen worden.

a. Der Entwurf von 1836. beſtimmte:

§. 427. „Wer eine Mißgeburt eigenmächtig tödtet, hat ſechswö-
chentliche bis ſechsmonatliche Gefängnißſtrafe verwirkt.“


l) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846.
S. 113. — Fernere Verhandlungen von 1847. S. 43.
m) Code pénal. Art. 296-98. Ergänzend kommt hierbei noch in Be-
tracht die Beſtimmung des Art. 303. Seront punis comme coupables d'assas-
sinat, tous malfaiteurs, quelle que soit leur dénomination, qui pour l'exé-
cution de leurs crimes emploient des tortures ou commettent des actes
de barbarie.
n) Vgl. Motive zum Entwurf von 1850. §. 161. 162.
23*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0357" n="347"/><fw place="top" type="header">§. 175. Der Mord.</fw><lb/>
Werke geht, macht &#x017F;ich          des Mordes &#x017F;chuldig, und i&#x017F;t mit dem Tode          zu<lb/>
be&#x017F;trafen.&#x201C;</p><lb/>
                <p>In der Staatsraths-Kommi&#x017F;&#x017F;ion war man jedoch der          An&#x017F;icht, daß<lb/>
die früher gegebene Definition den Begriff des Verbrechens          hinreichend<lb/>
bezeichne, und ent&#x017F;chloß &#x017F;ich nur mit          Rück&#x017F;icht auf die an die Ge&#x017F;chwo-<lb/>
renen zu &#x017F;tellenden          Fragen zu der formellen Abänderung, daß &#x017F;tatt<lb/>
&#x201E;mit überlegtem          Vor&#x017F;atze&#x201C; ge&#x017F;agt werde &#x201E;vor&#x017F;ätzlich          und mit Ueberle-<lb/>
gung.&#x201C; <note place="foot" n="l)"><hi rendition="#g">Verhandlungen der Staatsraths-Kommi&#x017F;&#x017F;ion von</hi> 1846.<lb/>
S.           113. &#x2014; <hi rendition="#g">Fernere Verhandlungen von</hi> 1847. S. 43.</note>          Die&#x017F;e Fa&#x017F;&#x017F;ung i&#x017F;t in dem Ge&#x017F;etzbuche          auch beibehalten worden.</p><lb/>
                <p>I. Der Ausdruck &#x201E;mit Ueberlegung&#x201C; i&#x017F;t al&#x017F;o          nicht we&#x017F;entlich ver-<lb/>
&#x017F;chieden von dem ent&#x017F;prechenden          &#x201E;mit Vorbedacht,&#x201C; durch welchen das<lb/>
Rheini&#x017F;che Recht          das We&#x017F;en des Mordes bezeichnet; <note place="foot" n="m)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Code pénal. Art.</hi></hi> 296-98. Ergänzend kommt hierbei noch in Be-<lb/>
tracht die Be&#x017F;timmung           des Art. 303. <hi rendition="#aq">Seront punis comme coupables d'assas-<lb/>
sinat, tous            malfaiteurs, quelle que soit leur dénomination, qui pour            l'exé-<lb/>
cution de leurs crimes emploient des tortures ou commettent            des actes<lb/>
de barbarie.</hi></note> es wird bei<lb/>
jener Bezeichnung nur          nicht alles Gewicht auf die Zeit, welche zwi&#x017F;chen<lb/>
dem Ent&#x017F;chluß          zur That und der That &#x017F;elb&#x017F;t verflo&#x017F;&#x017F;en          i&#x017F;t, gelegt, &#x017F;on-<lb/>
dern die beiden oben unter&#x017F;chiedenen          Fälle der Ueberlegung vor der<lb/>
That und bei der That werden gleichmäßig unter dem          Begriff des<lb/>
Mordes befaßt. Daher be&#x017F;teht auch kein Unter&#x017F;chied          zwi&#x017F;chen dem That-<lb/>
be&#x017F;tand des Mordes nach dem          Strafge&#x017F;etzbuch und nach den anderen<lb/>
Deut&#x017F;chen          Ge&#x017F;etzgebungen; im Staatsrathe wurde dieß bei der Wahl<lb/>
jenes Ausdrucks          be&#x017F;onders hervorgehoben, und nur die weitere Exem-<lb/>
plifikation, welche          &#x017F;päter der Entwurf von 1845. doch vor&#x017F;chlug,          für<lb/>
überflü&#x017F;&#x017F;ig erachtet. <note place="foot" n="n)">Vgl. <hi rendition="#g">Motive zum Entwurf von</hi> 1850. §. 161. 162.</note>         </p><lb/>
                <p>II. Die Strafe des Mordes i&#x017F;t der Tod; bei dem Verwandten-<lb/>
morde          &#x017F;oll zugleich auf den Verlu&#x017F;t der bürgerlichen Ehre          erkannt<lb/>
werden. Zu den Verwandten werden aber hier nur die leiblichen          A&#x017F;cen-<lb/>
denten und der Ehegatte gerechnet, während der Begriff des <hi rendition="#aq">parricidium</hi><lb/>
nach gemeinem Rechte ein weiterer i&#x017F;t.</p><lb/>
                <p>III. In den älteren Entwürfen waren mehrere be&#x017F;ondere Fälle, in<lb/>
denen über          die Anwendung der ge&#x017F;etzlichen Strafe Zweifel zu          be&#x017F;tehen<lb/>
&#x017F;chienen, zum Gegen&#x017F;tand eigener          Vor&#x017F;chriften gemacht worden. Die-<lb/>
&#x017F;elben &#x017F;ind aber in          Folge weiterer Erwägung &#x017F;päter aus dem Straf-<lb/>
ge&#x017F;etzbuche          weggela&#x017F;&#x017F;en worden.</p><lb/>
                <p><hi rendition="#aq">a</hi>. Der Entwurf von 1836. be&#x017F;timmte:</p><lb/>
                <p>§. 427. &#x201E;Wer eine Mißgeburt eigenmächtig tödtet, hat          &#x017F;echswö-<lb/>
chentliche bis &#x017F;echsmonatliche          Gefängniß&#x017F;trafe verwirkt.&#x201C;</p><lb/>
                <fw place="bottom" type="sig">23*</fw><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0357] §. 175. Der Mord. Werke geht, macht ſich des Mordes ſchuldig, und iſt mit dem Tode zu beſtrafen.“ In der Staatsraths-Kommiſſion war man jedoch der Anſicht, daß die früher gegebene Definition den Begriff des Verbrechens hinreichend bezeichne, und entſchloß ſich nur mit Rückſicht auf die an die Geſchwo- renen zu ſtellenden Fragen zu der formellen Abänderung, daß ſtatt „mit überlegtem Vorſatze“ geſagt werde „vorſätzlich und mit Ueberle- gung.“ l) Dieſe Faſſung iſt in dem Geſetzbuche auch beibehalten worden. I. Der Ausdruck „mit Ueberlegung“ iſt alſo nicht weſentlich ver- ſchieden von dem entſprechenden „mit Vorbedacht,“ durch welchen das Rheiniſche Recht das Weſen des Mordes bezeichnet; m) es wird bei jener Bezeichnung nur nicht alles Gewicht auf die Zeit, welche zwiſchen dem Entſchluß zur That und der That ſelbſt verfloſſen iſt, gelegt, ſon- dern die beiden oben unterſchiedenen Fälle der Ueberlegung vor der That und bei der That werden gleichmäßig unter dem Begriff des Mordes befaßt. Daher beſteht auch kein Unterſchied zwiſchen dem That- beſtand des Mordes nach dem Strafgeſetzbuch und nach den anderen Deutſchen Geſetzgebungen; im Staatsrathe wurde dieß bei der Wahl jenes Ausdrucks beſonders hervorgehoben, und nur die weitere Exem- plifikation, welche ſpäter der Entwurf von 1845. doch vorſchlug, für überflüſſig erachtet. n) II. Die Strafe des Mordes iſt der Tod; bei dem Verwandten- morde ſoll zugleich auf den Verluſt der bürgerlichen Ehre erkannt werden. Zu den Verwandten werden aber hier nur die leiblichen Aſcen- denten und der Ehegatte gerechnet, während der Begriff des parricidium nach gemeinem Rechte ein weiterer iſt. III. In den älteren Entwürfen waren mehrere beſondere Fälle, in denen über die Anwendung der geſetzlichen Strafe Zweifel zu beſtehen ſchienen, zum Gegenſtand eigener Vorſchriften gemacht worden. Die- ſelben ſind aber in Folge weiterer Erwägung ſpäter aus dem Straf- geſetzbuche weggelaſſen worden. a. Der Entwurf von 1836. beſtimmte: §. 427. „Wer eine Mißgeburt eigenmächtig tödtet, hat ſechswö- chentliche bis ſechsmonatliche Gefängnißſtrafe verwirkt.“ l) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 113. — Fernere Verhandlungen von 1847. S. 43. m) Code pénal. Art. 296-98. Ergänzend kommt hierbei noch in Be- tracht die Beſtimmung des Art. 303. Seront punis comme coupables d'assas- sinat, tous malfaiteurs, quelle que soit leur dénomination, qui pour l'exé- cution de leurs crimes emploient des tortures ou commettent des actes de barbarie. n) Vgl. Motive zum Entwurf von 1850. §. 161. 162. 23*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/357
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/357>, abgerufen am 21.11.2024.