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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 180. Kindesmord.
§. 180.

Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt
vorsätzlich tödtet, wird wegen Kindesmordes mit Zuchthaus von fünf bis zu
zwanzig Jahren bestraft.

Wird die vorsätzliche Tödtung des Kindes von einer anderen Person als
der Mutter verübt, oder nimmt eine andere Person an dem Verbrechen des
Kindesmordes Theil, so kommen gegen dieselbe die Bestimmungen über
Mord oder Todtschlag, sowie über die Theilnahme an diesem Verbrechen zur
Anwendung.



Das Allgemeine Landrecht (Th. II. Tit. 20. §. 887-991.) handelt
von dem Verbrechen des Kindesmordes und von der Verheimlichung
der Schwangerschaft und der Niederkunft in einer Ausführlichkeit, welche
selbst in diesem Gesetzbuch beispiellos ist, und jedenfalls eine formelle
Aenderung unabweislich machte. k) Aber auch die materiellen Bestim-
mungen bedurften dringend einer Revision, indem die Härte der Straf-
vorschriften mit dem Rechtsgefühl der Gegenwart in Widerspruch stand,
und außerdem die Bestimmungen über die Verheimlichung der Schwanger-
schaft und der Niederkunft nach richtigen Grundsätzen der Gesetzgebung
überhaupt nicht anerkannt werden konnten. In letzterer Beziehung ent-
schloß man sich, die bezeichneten Handlungen nicht mehr als selbständige
Delikte aufzustellen, indem namentlich in dem Staatsrathe nachgewiesen
wurde, daß die frühere Gesetzgebung aus einer unhaltbaren Vermischung
einzelner Momente des Indizienbeweises mit gewissen polizeilichen An-
forderungen hervorgegangen sei, und den richtigen Grundsätzen der
Strafrechtspflege nicht entspreche. l) Nur der Fall, wenn der Leichnam
des unehelichen Kindes ohne Vorwissen der Behörden beerdigt oder bei
Seite geschafft worden, blieb einer besonderen Strafvorschrift unterwor-
fen (§. 186.).

Bei der Abfassung der Strafvorschriften über den Kindesmord
wurde aber von der Ansicht ausgegangen, daß das Verbrechen aus zwei
Gründen von dem gewöhnlichen Morde unterschieden und milder beur-
theilt werden müsse. Einmal müsse man auf die besonderen Motive

k) Die Bestimmungen des Allgem. Landrechts beruhen im Wesentlichen auf dem
Edikt vom 8. Febr. 1765., über welches schon Friedrich II., als es ihm zur Voll-
ziehung vorgelegt wurde, das Bedenken äußerte: "ob ein dergleichen weitläuftiges und
vagues, auch auf zu viele partikuläre Fälle eingerichtetes Edikt von denen Obrig-
keiten, so es observiren sollen, werde gelesen, geschweige denn denen gemeinen Leuthen,
die es eigentlich angeht, da die mehrsten, so zu dergleichen Unthaten schreiten, Dienst-
und Bauermädchen seynd, werde bekannt werden." S. Motive zum ersten Ent-
wurf
. III. 2. S. 168.
l) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission. II.
S. 198-201. -- Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 17. April 1841.
§. 180. Kindesmord.
§. 180.

Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt
vorſätzlich tödtet, wird wegen Kindesmordes mit Zuchthaus von fünf bis zu
zwanzig Jahren beſtraft.

Wird die vorſätzliche Tödtung des Kindes von einer anderen Perſon als
der Mutter verübt, oder nimmt eine andere Perſon an dem Verbrechen des
Kindesmordes Theil, ſo kommen gegen dieſelbe die Beſtimmungen über
Mord oder Todtſchlag, ſowie über die Theilnahme an dieſem Verbrechen zur
Anwendung.



Das Allgemeine Landrecht (Th. II. Tit. 20. §. 887-991.) handelt
von dem Verbrechen des Kindesmordes und von der Verheimlichung
der Schwangerſchaft und der Niederkunft in einer Ausführlichkeit, welche
ſelbſt in dieſem Geſetzbuch beiſpiellos iſt, und jedenfalls eine formelle
Aenderung unabweislich machte. k) Aber auch die materiellen Beſtim-
mungen bedurften dringend einer Reviſion, indem die Härte der Straf-
vorſchriften mit dem Rechtsgefühl der Gegenwart in Widerſpruch ſtand,
und außerdem die Beſtimmungen über die Verheimlichung der Schwanger-
ſchaft und der Niederkunft nach richtigen Grundſätzen der Geſetzgebung
überhaupt nicht anerkannt werden konnten. In letzterer Beziehung ent-
ſchloß man ſich, die bezeichneten Handlungen nicht mehr als ſelbſtändige
Delikte aufzuſtellen, indem namentlich in dem Staatsrathe nachgewieſen
wurde, daß die frühere Geſetzgebung aus einer unhaltbaren Vermiſchung
einzelner Momente des Indizienbeweiſes mit gewiſſen polizeilichen An-
forderungen hervorgegangen ſei, und den richtigen Grundſätzen der
Strafrechtspflege nicht entſpreche. l) Nur der Fall, wenn der Leichnam
des unehelichen Kindes ohne Vorwiſſen der Behörden beerdigt oder bei
Seite geſchafft worden, blieb einer beſonderen Strafvorſchrift unterwor-
fen (§. 186.).

Bei der Abfaſſung der Strafvorſchriften über den Kindesmord
wurde aber von der Anſicht ausgegangen, daß das Verbrechen aus zwei
Gründen von dem gewöhnlichen Morde unterſchieden und milder beur-
theilt werden müſſe. Einmal müſſe man auf die beſonderen Motive

k) Die Beſtimmungen des Allgem. Landrechts beruhen im Weſentlichen auf dem
Edikt vom 8. Febr. 1765., über welches ſchon Friedrich II., als es ihm zur Voll-
ziehung vorgelegt wurde, das Bedenken äußerte: „ob ein dergleichen weitläuftiges und
vagues, auch auf zu viele partikuläre Fälle eingerichtetes Edikt von denen Obrig-
keiten, ſo es obſerviren ſollen, werde geleſen, geſchweige denn denen gemeinen Leuthen,
die es eigentlich angeht, da die mehrſten, ſo zu dergleichen Unthaten ſchreiten, Dienſt-
und Bauermädchen ſeynd, werde bekannt werden.“ S. Motive zum erſten Ent-
wurf
. III. 2. S. 168.
l) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II.
S. 198-201. — Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 17. April 1841.
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[355/0365] §. 180. Kindesmord. §. 180. Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt vorſätzlich tödtet, wird wegen Kindesmordes mit Zuchthaus von fünf bis zu zwanzig Jahren beſtraft. Wird die vorſätzliche Tödtung des Kindes von einer anderen Perſon als der Mutter verübt, oder nimmt eine andere Perſon an dem Verbrechen des Kindesmordes Theil, ſo kommen gegen dieſelbe die Beſtimmungen über Mord oder Todtſchlag, ſowie über die Theilnahme an dieſem Verbrechen zur Anwendung. Das Allgemeine Landrecht (Th. II. Tit. 20. §. 887-991.) handelt von dem Verbrechen des Kindesmordes und von der Verheimlichung der Schwangerſchaft und der Niederkunft in einer Ausführlichkeit, welche ſelbſt in dieſem Geſetzbuch beiſpiellos iſt, und jedenfalls eine formelle Aenderung unabweislich machte. k) Aber auch die materiellen Beſtim- mungen bedurften dringend einer Reviſion, indem die Härte der Straf- vorſchriften mit dem Rechtsgefühl der Gegenwart in Widerſpruch ſtand, und außerdem die Beſtimmungen über die Verheimlichung der Schwanger- ſchaft und der Niederkunft nach richtigen Grundſätzen der Geſetzgebung überhaupt nicht anerkannt werden konnten. In letzterer Beziehung ent- ſchloß man ſich, die bezeichneten Handlungen nicht mehr als ſelbſtändige Delikte aufzuſtellen, indem namentlich in dem Staatsrathe nachgewieſen wurde, daß die frühere Geſetzgebung aus einer unhaltbaren Vermiſchung einzelner Momente des Indizienbeweiſes mit gewiſſen polizeilichen An- forderungen hervorgegangen ſei, und den richtigen Grundſätzen der Strafrechtspflege nicht entſpreche. l) Nur der Fall, wenn der Leichnam des unehelichen Kindes ohne Vorwiſſen der Behörden beerdigt oder bei Seite geſchafft worden, blieb einer beſonderen Strafvorſchrift unterwor- fen (§. 186.). Bei der Abfaſſung der Strafvorſchriften über den Kindesmord wurde aber von der Anſicht ausgegangen, daß das Verbrechen aus zwei Gründen von dem gewöhnlichen Morde unterſchieden und milder beur- theilt werden müſſe. Einmal müſſe man auf die beſonderen Motive k) Die Beſtimmungen des Allgem. Landrechts beruhen im Weſentlichen auf dem Edikt vom 8. Febr. 1765., über welches ſchon Friedrich II., als es ihm zur Voll- ziehung vorgelegt wurde, das Bedenken äußerte: „ob ein dergleichen weitläuftiges und vagues, auch auf zu viele partikuläre Fälle eingerichtetes Edikt von denen Obrig- keiten, ſo es obſerviren ſollen, werde geleſen, geſchweige denn denen gemeinen Leuthen, die es eigentlich angeht, da die mehrſten, ſo zu dergleichen Unthaten ſchreiten, Dienſt- und Bauermädchen ſeynd, werde bekannt werden.“ S. Motive zum erſten Ent- wurf. III. 2. S. 168. l) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II. S. 198-201. — Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 17. April 1841.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/365>, abgerufen am 21.11.2024.