Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.Th. II. V. d. einzelnen Verbr. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben. Rücksicht nehmen, welche zur Verübung des Kindesmordes führen. Diegewöhnlichen Beweggründe, welche eine unehelich Geschwängerte ver- anlassen, ein neugeborenes Kind zu tödten, seien die Furcht vor der Schande über die verlorene Geschlechtsehre, und die Besorgniß, aus Mangel an Unterhalt das Kind nicht ernähren zu können. Außerdem komme aber auch der physische und psychische Zustand der Kindesmör- derin zur Zeit der That in Betracht. m) Legt nun die Gesetzgebung diesen Momenten nicht das ihnen gebührende Gewicht bei, so tritt sie in Widerspruch mit dem gemeinen Rechtsgefühl, und führt zu einem gewaltsamen Zwiespalt zwischen der Rechtsanwendung und der Rechts- regel, von welchem man in Frankreich und in Preußen bei einem ganz verschiedenen Strafprozeßrechte die Beispiele gesehen hat. n) I. Nur insofern die Mutter die Thäterin ist, kommen die Vor- II. nur dann der Fall, wenn sie ihr uneheliches Kind getödtet III. Das Kind muß in oder gleich nach der Geburt getödtet sein. m) Motive zum ersten Entwurf. III. 2. S. 177-79. n) Code penal. Art. 300. Est qualifie infanticide le meurtre d'un enfant nouveau-ne. -- Art. 302. Tout coupable d'assassinat, de parricide, d'infanticide et d'empoissonnement, sera puni de mort. o) Motive zum ersten Entwurf a. a. O. S. 182-84. -- Berathungs-
Protokolle der Staatsraths-Kommission. II. S. 193. 194. -- Proto- kolle des Staatsraths, Sitzung vom 17. April 1841. Th. II. V. d. einzelnen Verbr. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben. Rückſicht nehmen, welche zur Verübung des Kindesmordes führen. Diegewöhnlichen Beweggründe, welche eine unehelich Geſchwängerte ver- anlaſſen, ein neugeborenes Kind zu tödten, ſeien die Furcht vor der Schande über die verlorene Geſchlechtsehre, und die Beſorgniß, aus Mangel an Unterhalt das Kind nicht ernähren zu können. Außerdem komme aber auch der phyſiſche und pſychiſche Zuſtand der Kindesmör- derin zur Zeit der That in Betracht. m) Legt nun die Geſetzgebung dieſen Momenten nicht das ihnen gebührende Gewicht bei, ſo tritt ſie in Widerſpruch mit dem gemeinen Rechtsgefühl, und führt zu einem gewaltſamen Zwieſpalt zwiſchen der Rechtsanwendung und der Rechts- regel, von welchem man in Frankreich und in Preußen bei einem ganz verſchiedenen Strafprozeßrechte die Beiſpiele geſehen hat. n) I. Nur inſofern die Mutter die Thäterin iſt, kommen die Vor- II. nur dann der Fall, wenn ſie ihr uneheliches Kind getödtet III. Das Kind muß in oder gleich nach der Geburt getödtet ſein. m) Motive zum erſten Entwurf. III. 2. S. 177-79. n) Code pénal. Art. 300. Est qualifié infanticide le meurtre d'un enfant nouveau-né. — Art. 302. Tout coupable d'assassinat, de parricide, d'infanticide et d'empoissonnement, sera puni de mort. o) Motive zum erſten Entwurf a. a. O. S. 182-84. — Berathungs-
Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II. S. 193. 194. — Proto- kolle des Staatsraths, Sitzung vom 17. April 1841. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0366" n="356"/><fw place="top" type="header">Th. II. V. d. einzelnen Verbr. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.</fw><lb/> Rückſicht nehmen, welche zur Verübung des Kindesmordes führen. Die<lb/> gewöhnlichen Beweggründe, welche eine unehelich Geſchwängerte ver-<lb/> anlaſſen, ein neugeborenes Kind zu tödten, ſeien die Furcht vor der<lb/> Schande über die verlorene Geſchlechtsehre, und die Beſorgniß, aus<lb/> Mangel an Unterhalt das Kind nicht ernähren zu können. Außerdem<lb/> komme aber auch der phyſiſche und pſychiſche Zuſtand der Kindesmör-<lb/> derin zur Zeit der That in Betracht. <note place="foot" n="m)"><hi rendition="#g">Motive zum erſten Entwurf</hi>. III. 2. S. 177-79.</note> Legt nun die Geſetzgebung<lb/> dieſen Momenten nicht das ihnen gebührende Gewicht bei, ſo tritt ſie<lb/> in Widerſpruch mit dem gemeinen Rechtsgefühl, und führt zu einem<lb/> gewaltſamen Zwieſpalt zwiſchen der Rechtsanwendung und der Rechts-<lb/> regel, von welchem man in Frankreich und in Preußen bei einem ganz<lb/> verſchiedenen Strafprozeßrechte die Beiſpiele geſehen hat. <note place="foot" n="n)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Code pénal</hi>. Art.</hi> 300. <hi rendition="#aq">Est qualifié infanticide le meurtre d'un<lb/> enfant nouveau-né.</hi> — <hi rendition="#aq">Art.</hi> 302. <hi rendition="#aq">Tout coupable d'assassinat, de parricide,<lb/> d'infanticide et d'empoissonnement, sera puni de mort.</hi></note> </p><lb/> <p>I. Nur inſofern die Mutter die Thäterin iſt, kommen die Vor-<lb/> ſchriften des Geſetzbuchs über den Kindesmord zur Anwendung; ſonſt<lb/> gelten die Beſtimmungen über Mord und Todtſchlag, mag die andere<lb/> Perſon das Verbrechen ſelbſt verübt oder an dem von der Mutter be-<lb/> gangenen Kindesmord nur Theil genommen haben (§. 180. Abſ. 2.):<lb/> denn die Gründe für die beſondere Behandlung des Verbrechens treffen<lb/> nur bei der Mutter zu. Auch für dieſe iſt es aber</p><lb/> <p>II. nur dann der Fall, wenn ſie ihr uneheliches Kind getödtet<lb/> hat. Welches Kind für ein uneheliches zu halten, bedurfte keiner ge-<lb/> naueren geſetzlichen Vorſchrift, wie das Allg. Landrecht (II. 20. §. 982.<lb/> 983.) ſie aufgeſtellt hat.</p><lb/> <p>III. Das Kind muß in oder gleich nach der Geburt getödtet ſein.<lb/> Die Bezeichnung „neugeborenes Kind“ hat man an dieſer Stelle (ſie<lb/> findet ſich §. 186. Abſ. 2.) nur deswegen nicht gewählt, weil die Töd-<lb/> tung auch während der Geburt geſchehen kann; ein anderer Grund, jene<lb/> hergebrachte Terminologie zu verlaſſen, lag nicht vor, und eine materielle<lb/> Aenderung hat daher durch die Wahl des Ausdrucks nicht bewirkt wer-<lb/> den ſollen. — Wann aber der Thatbeſtand im Sinne des Ausdrucks<lb/> „gleich nach der Geburt“ vorliegt, iſt nach den Umſtänden zu ermeſſen.<lb/> Der Vorſchlag, eine beſtimmte Friſt, etwa von 24 Stunden nach der<lb/> Geburt anzunehmen, wurde als willkührlich und das richterliche Er-<lb/> meſſen in ungeeigneter Weiſe beſchränkend verworfen. <note place="foot" n="o)"><hi rendition="#g">Motive zum erſten Entwurf</hi> a. a. O. S. 182-84. — <hi rendition="#g">Berathungs-<lb/> Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion</hi>. II. S. 193. 194. — <hi rendition="#g">Proto-<lb/> kolle des Staatsraths</hi>, Sitzung vom 17. April 1841.</note> </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [356/0366]
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. Tit. XV. Verbr. u. Verg. wider d. Leben.
Rückſicht nehmen, welche zur Verübung des Kindesmordes führen. Die
gewöhnlichen Beweggründe, welche eine unehelich Geſchwängerte ver-
anlaſſen, ein neugeborenes Kind zu tödten, ſeien die Furcht vor der
Schande über die verlorene Geſchlechtsehre, und die Beſorgniß, aus
Mangel an Unterhalt das Kind nicht ernähren zu können. Außerdem
komme aber auch der phyſiſche und pſychiſche Zuſtand der Kindesmör-
derin zur Zeit der That in Betracht. m) Legt nun die Geſetzgebung
dieſen Momenten nicht das ihnen gebührende Gewicht bei, ſo tritt ſie
in Widerſpruch mit dem gemeinen Rechtsgefühl, und führt zu einem
gewaltſamen Zwieſpalt zwiſchen der Rechtsanwendung und der Rechts-
regel, von welchem man in Frankreich und in Preußen bei einem ganz
verſchiedenen Strafprozeßrechte die Beiſpiele geſehen hat. n)
I. Nur inſofern die Mutter die Thäterin iſt, kommen die Vor-
ſchriften des Geſetzbuchs über den Kindesmord zur Anwendung; ſonſt
gelten die Beſtimmungen über Mord und Todtſchlag, mag die andere
Perſon das Verbrechen ſelbſt verübt oder an dem von der Mutter be-
gangenen Kindesmord nur Theil genommen haben (§. 180. Abſ. 2.):
denn die Gründe für die beſondere Behandlung des Verbrechens treffen
nur bei der Mutter zu. Auch für dieſe iſt es aber
II. nur dann der Fall, wenn ſie ihr uneheliches Kind getödtet
hat. Welches Kind für ein uneheliches zu halten, bedurfte keiner ge-
naueren geſetzlichen Vorſchrift, wie das Allg. Landrecht (II. 20. §. 982.
983.) ſie aufgeſtellt hat.
III. Das Kind muß in oder gleich nach der Geburt getödtet ſein.
Die Bezeichnung „neugeborenes Kind“ hat man an dieſer Stelle (ſie
findet ſich §. 186. Abſ. 2.) nur deswegen nicht gewählt, weil die Töd-
tung auch während der Geburt geſchehen kann; ein anderer Grund, jene
hergebrachte Terminologie zu verlaſſen, lag nicht vor, und eine materielle
Aenderung hat daher durch die Wahl des Ausdrucks nicht bewirkt wer-
den ſollen. — Wann aber der Thatbeſtand im Sinne des Ausdrucks
„gleich nach der Geburt“ vorliegt, iſt nach den Umſtänden zu ermeſſen.
Der Vorſchlag, eine beſtimmte Friſt, etwa von 24 Stunden nach der
Geburt anzunehmen, wurde als willkührlich und das richterliche Er-
meſſen in ungeeigneter Weiſe beſchränkend verworfen. o)
m) Motive zum erſten Entwurf. III. 2. S. 177-79.
n) Code pénal. Art. 300. Est qualifié infanticide le meurtre d'un
enfant nouveau-né. — Art. 302. Tout coupable d'assassinat, de parricide,
d'infanticide et d'empoissonnement, sera puni de mort.
o) Motive zum erſten Entwurf a. a. O. S. 182-84. — Berathungs-
Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II. S. 193. 194. — Proto-
kolle des Staatsraths, Sitzung vom 17. April 1841.
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