Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.§§. 187-189. Körperverletzungen und Mißhandlungen. bestande des Vergehens erfordert wird, ohne eine nähere Bestimmungdes Begriffs, so sind doch auch hier die allgemeinen Bedingungen des strafrechtlichen Dolus vorauszusetzen. Es kommt nicht bloß auf die be- wußte Vornahme einer äußeren Handlung an, sondern sie muß auch in einer bestimmten Willensrichtung begangen sein. Wenn also z. B. je- mand den Anderen stößt, um ihn von einem gefährlichen Ort wegzu- bringen, etwa vor einer Verletzung durch einen fallenden Körper zu bewahren, so wird darin keine strafbare Mißhandlung zu erkennen sein. Es kommt also auf die Absicht an, welche der Handlung zum Grunde lag; ob dieselbe eine wohlwollende oder doch harmlose war, welche das Strafgesetz nicht hat treffen wollen, oder ob sie der Willensbestimmung den Charakter des Dolus aufdrückt. Die Uebergänge werden auch hier freilich oft sehr allmählich sein; die Handlung kann sich als Ausfluß einer muthwilligen Laune darstellen, welche von dem frevelhaften Ueber- muth, der luxuria, noch weit entfernt ist, aber sich doch schon auf der schmalen Grenze zwischen dem Erlaubten und Unerlaubten bewegt. Re- gelmäßig wird sich bei den leichten Körperverletzungen und Mißhand- lungen im Sinne der Realinjurie die Absicht zu beleidigen, der animus injuriandi als wesentliches Merkmal des Dolus herausstellen, so daß die allgemeinen Bemerkungen, welche über diese Absicht in Beziehung auf wörtliche Beleidigungen gemacht worden sind, auch hier ihre An- wendung finden. Aber freilich kann das doch nur in beschränkter Weise geschehen. Denn einmal kann die Körperverletzung und Mißhandlung auch schon an sich, ohne Rücksicht auf die Absicht zu beleidigen, straf- bar sein, während das Wort ohne den bestimmten Sinn, auf den es ankommt, bedeutungslos bleibt, und dann wird die Thätlichkeit noch eher als die an sich beleidigende Rede eine weitere Untersuchung über die damit verbundene Absicht überflüssig machen, und das Delikt in sei- nem vollen Thatbestande darstellen. Daß aber das Gesetzbuch bei den leichten Körperverletzungen und II. Die Vergleichung der Körperverletzungen und Mißhandlungen §§. 187-189. Körperverletzungen und Mißhandlungen. beſtande des Vergehens erfordert wird, ohne eine nähere Beſtimmungdes Begriffs, ſo ſind doch auch hier die allgemeinen Bedingungen des ſtrafrechtlichen Dolus vorauszuſetzen. Es kommt nicht bloß auf die be- wußte Vornahme einer äußeren Handlung an, ſondern ſie muß auch in einer beſtimmten Willensrichtung begangen ſein. Wenn alſo z. B. je- mand den Anderen ſtößt, um ihn von einem gefährlichen Ort wegzu- bringen, etwa vor einer Verletzung durch einen fallenden Körper zu bewahren, ſo wird darin keine ſtrafbare Mißhandlung zu erkennen ſein. Es kommt alſo auf die Abſicht an, welche der Handlung zum Grunde lag; ob dieſelbe eine wohlwollende oder doch harmloſe war, welche das Strafgeſetz nicht hat treffen wollen, oder ob ſie der Willensbeſtimmung den Charakter des Dolus aufdrückt. Die Uebergänge werden auch hier freilich oft ſehr allmählich ſein; die Handlung kann ſich als Ausfluß einer muthwilligen Laune darſtellen, welche von dem frevelhaften Ueber- muth, der luxuria, noch weit entfernt iſt, aber ſich doch ſchon auf der ſchmalen Grenze zwiſchen dem Erlaubten und Unerlaubten bewegt. Re- gelmäßig wird ſich bei den leichten Körperverletzungen und Mißhand- lungen im Sinne der Realinjurie die Abſicht zu beleidigen, der animus injuriandi als weſentliches Merkmal des Dolus herausſtellen, ſo daß die allgemeinen Bemerkungen, welche über dieſe Abſicht in Beziehung auf wörtliche Beleidigungen gemacht worden ſind, auch hier ihre An- wendung finden. Aber freilich kann das doch nur in beſchränkter Weiſe geſchehen. Denn einmal kann die Körperverletzung und Mißhandlung auch ſchon an ſich, ohne Rückſicht auf die Abſicht zu beleidigen, ſtraf- bar ſein, während das Wort ohne den beſtimmten Sinn, auf den es ankommt, bedeutungslos bleibt, und dann wird die Thätlichkeit noch eher als die an ſich beleidigende Rede eine weitere Unterſuchung über die damit verbundene Abſicht überflüſſig machen, und das Delikt in ſei- nem vollen Thatbeſtande darſtellen. Daß aber das Geſetzbuch bei den leichten Körperverletzungen und II. 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§§. 187-189. Körperverletzungen und Mißhandlungen.
beſtande des Vergehens erfordert wird, ohne eine nähere Beſtimmung
des Begriffs, ſo ſind doch auch hier die allgemeinen Bedingungen des
ſtrafrechtlichen Dolus vorauszuſetzen. Es kommt nicht bloß auf die be-
wußte Vornahme einer äußeren Handlung an, ſondern ſie muß auch in
einer beſtimmten Willensrichtung begangen ſein. Wenn alſo z. B. je-
mand den Anderen ſtößt, um ihn von einem gefährlichen Ort wegzu-
bringen, etwa vor einer Verletzung durch einen fallenden Körper zu
bewahren, ſo wird darin keine ſtrafbare Mißhandlung zu erkennen ſein.
Es kommt alſo auf die Abſicht an, welche der Handlung zum Grunde
lag; ob dieſelbe eine wohlwollende oder doch harmloſe war, welche das
Strafgeſetz nicht hat treffen wollen, oder ob ſie der Willensbeſtimmung
den Charakter des Dolus aufdrückt. Die Uebergänge werden auch hier
freilich oft ſehr allmählich ſein; die Handlung kann ſich als Ausfluß
einer muthwilligen Laune darſtellen, welche von dem frevelhaften Ueber-
muth, der luxuria, noch weit entfernt iſt, aber ſich doch ſchon auf der
ſchmalen Grenze zwiſchen dem Erlaubten und Unerlaubten bewegt. Re-
gelmäßig wird ſich bei den leichten Körperverletzungen und Mißhand-
lungen im Sinne der Realinjurie die Abſicht zu beleidigen, der animus
injuriandi als weſentliches Merkmal des Dolus herausſtellen, ſo daß
die allgemeinen Bemerkungen, welche über dieſe Abſicht in Beziehung
auf wörtliche Beleidigungen gemacht worden ſind, auch hier ihre An-
wendung finden. Aber freilich kann das doch nur in beſchränkter Weiſe
geſchehen. Denn einmal kann die Körperverletzung und Mißhandlung
auch ſchon an ſich, ohne Rückſicht auf die Abſicht zu beleidigen, ſtraf-
bar ſein, während das Wort ohne den beſtimmten Sinn, auf den es
ankommt, bedeutungslos bleibt, und dann wird die Thätlichkeit noch
eher als die an ſich beleidigende Rede eine weitere Unterſuchung über
die damit verbundene Abſicht überflüſſig machen, und das Delikt in ſei-
nem vollen Thatbeſtande darſtellen.
Daß aber das Geſetzbuch bei den leichten Körperverletzungen und
Mißhandlungen den Begriff der Ehrverletzung nicht ganz hat zurück-
drängen wollen, ergiebt ſich deutlich aus den folgenden Beſtimmungen;
es wird auch bei Feſtſtellung der mildernden Umſtände beſonders darauf
Rückſicht genommen werden müſſen. Denn wenn ſelbſt im Fall ſchwerer
Körperverletzungen der gerechte Affekt eine weſentliche Milderung der
Strafe herbeiführt, ſo wird in den leichteren Fällen, welche den Real-
injurien entſprechen, die Provokation überhaupt als mildernder Umſtand
zu betrachten ſein, ja es hätte ſich unter Umſtänden wohl die Ausglei-
chung der Verbalinjurie und der Mißhandlung, z. B. eines Schimpf-
wortes und einer Maulſchelle, rechtfertigen laſſen.
II. Die Vergleichung der Körperverletzungen und Mißhandlungen
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