III. Der Getödtete oder Beschädigte hat mehrere Verletzungen empfangen, welche bestimmte Personen ihm beigebracht haben; die Ver- letzungen haben aber nicht einzeln den Erfolg der Tödtung oder der schweren Körperverletzung hervorgebracht, sondern nur in ihrer Gesammt- heit: dann soll jeder Theilnehmer mit Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren bestraft werden. Andere Gesetzbücher stellen hier noch weitere kasuistische Unterscheidungen auf, welche aber nach Preußischem Recht nur bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind.
IV. Jeder Theilnehmer an der Schlägerei oder dem Angriff ist schon wegen dieser Theilnahme mit Gefängniß von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu belegen.
a. Es kommt also nicht darauf an, ob die eigentlichen Thäter bekannt geworden sind und zur Strafe gezogen werden können; die Theilnahme als solche ist ein Delikt.
b. Auch wird dabei nicht vorausgesetzt, daß der Theilnehmer der Schlägerei gegen den Getödteten oder Verletzten Partie genommen, daß er mit ihm selbst gerauft, daß er zum Streite angereizt habe, bewaffnet gewesen sei. Diese in den anderen Strafgesetzbüchern besonders hervor- gehobenen Momente haben für den Thatbestand keine weitere Berück- sichtigung gefunden, und kommen nur bei der Zumessung in Betracht. Namentlich erschien es ungeeignet, auf den Gebrauch von Waffen oder tödtlichem Gewehr (vgl. A. L. R. a. a. D. §. 847.) für den Thatbe- stand ein Gewicht zu legen. y)
c. Die Strenge der gesetzlichen Vorschrift hat jedoch durch einen in der Kommission der zweiten Kammer gemachten Zusatz eine in der Billigkeit begründete Milderung gefunden. z) Wenn nämlich festgestellt wird, daß ein Theilnehmer ohne sein Verschulden hineingezogen ist, so soll er straffrei bleiben. Das "Hineinziehen" geht zunächst auf die Betheiligung an der Schlägerei; doch ließen sich auch wohl Fälle den- ken, daß jemand unschuldig in einen Angriff verwickelt wird. Jedenfalls sollte die Möglichkeit der Entschuldigung auch hier nicht ausgeschlossen werden. -- Von einem eigentlichen Entschuldigungsbeweis kann nach dem jetzigen Verfahren dabei nicht die Rede sein; es kommt darauf an, daß die Verhandlungen die Ueberzeugung von der Unschuld des Ange- klagten liefern, indem er z. B. selbst angegriffen worden, einen Ver- wundeten hat davon tragen wollen u. dgl. Die gesetzliche Vorschrift wird durch diesen Zusatz ihres rein polizeilichen Charakters entkleidet,
y)Revision von 1845. II. S. 123.
z)Bericht der Kommission der zweiten Kammer zu §. 178. (195.)
Beseler Kommentar. 25
§. 195. Theilnahme an einem Raufhandel.
III. Der Getödtete oder Beſchädigte hat mehrere Verletzungen empfangen, welche beſtimmte Perſonen ihm beigebracht haben; die Ver- letzungen haben aber nicht einzeln den Erfolg der Tödtung oder der ſchweren Körperverletzung hervorgebracht, ſondern nur in ihrer Geſammt- heit: dann ſoll jeder Theilnehmer mit Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren beſtraft werden. Andere Geſetzbücher ſtellen hier noch weitere kaſuiſtiſche Unterſcheidungen auf, welche aber nach Preußiſchem Recht nur bei der Strafzumeſſung zu berückſichtigen ſind.
IV. Jeder Theilnehmer an der Schlägerei oder dem Angriff iſt ſchon wegen dieſer Theilnahme mit Gefängniß von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu belegen.
a. Es kommt alſo nicht darauf an, ob die eigentlichen Thäter bekannt geworden ſind und zur Strafe gezogen werden können; die Theilnahme als ſolche iſt ein Delikt.
b. Auch wird dabei nicht vorausgeſetzt, daß der Theilnehmer der Schlägerei gegen den Getödteten oder Verletzten Partie genommen, daß er mit ihm ſelbſt gerauft, daß er zum Streite angereizt habe, bewaffnet geweſen ſei. Dieſe in den anderen Strafgeſetzbüchern beſonders hervor- gehobenen Momente haben für den Thatbeſtand keine weitere Berück- ſichtigung gefunden, und kommen nur bei der Zumeſſung in Betracht. Namentlich erſchien es ungeeignet, auf den Gebrauch von Waffen oder tödtlichem Gewehr (vgl. A. L. R. a. a. D. §. 847.) für den Thatbe- ſtand ein Gewicht zu legen. y)
c. Die Strenge der geſetzlichen Vorſchrift hat jedoch durch einen in der Kommiſſion der zweiten Kammer gemachten Zuſatz eine in der Billigkeit begründete Milderung gefunden. z) Wenn nämlich feſtgeſtellt wird, daß ein Theilnehmer ohne ſein Verſchulden hineingezogen iſt, ſo ſoll er ſtraffrei bleiben. Das „Hineinziehen“ geht zunächſt auf die Betheiligung an der Schlägerei; doch ließen ſich auch wohl Fälle den- ken, daß jemand unſchuldig in einen Angriff verwickelt wird. Jedenfalls ſollte die Möglichkeit der Entſchuldigung auch hier nicht ausgeſchloſſen werden. — Von einem eigentlichen Entſchuldigungsbeweis kann nach dem jetzigen Verfahren dabei nicht die Rede ſein; es kommt darauf an, daß die Verhandlungen die Ueberzeugung von der Unſchuld des Ange- klagten liefern, indem er z. B. ſelbſt angegriffen worden, einen Ver- wundeten hat davon tragen wollen u. dgl. Die geſetzliche Vorſchrift wird durch dieſen Zuſatz ihres rein polizeilichen Charakters entkleidet,
y)Reviſion von 1845. II. S. 123.
z)Bericht der Kommiſſion der zweiten Kammer zu §. 178. (195.)
Beſeler Kommentar. 25
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III. Der Getödtete oder Beſchädigte hat mehrere Verletzungen
empfangen, welche beſtimmte Perſonen ihm beigebracht haben; die Ver-
letzungen haben aber nicht einzeln den Erfolg der Tödtung oder der
ſchweren Körperverletzung hervorgebracht, ſondern nur in ihrer Geſammt-
heit: dann ſoll jeder Theilnehmer mit Zuchthaus von zwei bis zu zehn
Jahren beſtraft werden. Andere Geſetzbücher ſtellen hier noch weitere
kaſuiſtiſche Unterſcheidungen auf, welche aber nach Preußiſchem Recht
nur bei der Strafzumeſſung zu berückſichtigen ſind.
IV. Jeder Theilnehmer an der Schlägerei oder dem Angriff iſt
ſchon wegen dieſer Theilnahme mit Gefängniß von drei Monaten bis
zu fünf Jahren zu belegen.
a. Es kommt alſo nicht darauf an, ob die eigentlichen Thäter
bekannt geworden ſind und zur Strafe gezogen werden können; die
Theilnahme als ſolche iſt ein Delikt.
b. Auch wird dabei nicht vorausgeſetzt, daß der Theilnehmer der
Schlägerei gegen den Getödteten oder Verletzten Partie genommen, daß
er mit ihm ſelbſt gerauft, daß er zum Streite angereizt habe, bewaffnet
geweſen ſei. Dieſe in den anderen Strafgeſetzbüchern beſonders hervor-
gehobenen Momente haben für den Thatbeſtand keine weitere Berück-
ſichtigung gefunden, und kommen nur bei der Zumeſſung in Betracht.
Namentlich erſchien es ungeeignet, auf den Gebrauch von Waffen oder
tödtlichem Gewehr (vgl. A. L. R. a. a. D. §. 847.) für den Thatbe-
ſtand ein Gewicht zu legen. y)
c. Die Strenge der geſetzlichen Vorſchrift hat jedoch durch einen
in der Kommiſſion der zweiten Kammer gemachten Zuſatz eine in der
Billigkeit begründete Milderung gefunden. z) Wenn nämlich feſtgeſtellt
wird, daß ein Theilnehmer ohne ſein Verſchulden hineingezogen iſt, ſo
ſoll er ſtraffrei bleiben. Das „Hineinziehen“ geht zunächſt auf die
Betheiligung an der Schlägerei; doch ließen ſich auch wohl Fälle den-
ken, daß jemand unſchuldig in einen Angriff verwickelt wird. Jedenfalls
ſollte die Möglichkeit der Entſchuldigung auch hier nicht ausgeſchloſſen
werden. — Von einem eigentlichen Entſchuldigungsbeweis kann nach
dem jetzigen Verfahren dabei nicht die Rede ſein; es kommt darauf an,
daß die Verhandlungen die Ueberzeugung von der Unſchuld des Ange-
klagten liefern, indem er z. B. ſelbſt angegriffen worden, einen Ver-
wundeten hat davon tragen wollen u. dgl. Die geſetzliche Vorſchrift
wird durch dieſen Zuſatz ihres rein polizeilichen Charakters entkleidet,
y) Reviſion von 1845. II. S. 123.
z) Bericht der Kommiſſion der zweiten Kammer zu §. 178. (195.)
Beſeler Kommentar. 25
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/387>, abgerufen am 21.11.2024.
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