Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Viertes Kapitel. eine allgemeine Gewohnheit seyn konnte, für welche man eineBeweisführung zuließ, so war doch deren Beschaffenheit von der Art, daß das Gelingen derselben in dieser Anwendung so gut als unmöglich war. Man dachte nämlich nicht an das Daseyn eines selbständigen Volksrechts und an die Möglich- keit, dieses unmittelbar zu erfassen; der Begriff war in den des Gewohnheitsrechts aufgegangen, dessen eigentliche Begrün- dung eben in der Gewohnheit gefunden ward. Daher suchte man die Bedeutung des Rechts in einer Reihe äußerer Hand- lungen, in denen es sich offenbart hatte, und stellte nur auf diese den Beweis, indem man den Richter in der Rechtsfin- dung ähnlich beschränkte, wie in der Prüfung jeder andern Beweisführung über processualische Thatsachen. Neben dieser Theorie über den Beweis des Gewohnheits- Viertes Kapitel. eine allgemeine Gewohnheit ſeyn konnte, fuͤr welche man eineBeweisfuͤhrung zuließ, ſo war doch deren Beſchaffenheit von der Art, daß das Gelingen derſelben in dieſer Anwendung ſo gut als unmoͤglich war. Man dachte naͤmlich nicht an das Daſeyn eines ſelbſtaͤndigen Volksrechts und an die Moͤglich- keit, dieſes unmittelbar zu erfaſſen; der Begriff war in den des Gewohnheitsrechts aufgegangen, deſſen eigentliche Begruͤn- dung eben in der Gewohnheit gefunden ward. Daher ſuchte man die Bedeutung des Rechts in einer Reihe aͤußerer Hand- lungen, in denen es ſich offenbart hatte, und ſtellte nur auf dieſe den Beweis, indem man den Richter in der Rechtsfin- dung aͤhnlich beſchraͤnkte, wie in der Pruͤfung jeder andern Beweisfuͤhrung uͤber proceſſualiſche Thatſachen. Neben dieſer Theorie uͤber den Beweis des Gewohnheits- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0124" n="112"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Kapitel</hi>.</fw><lb/> eine allgemeine Gewohnheit ſeyn konnte, fuͤr welche man eine<lb/> Beweisfuͤhrung zuließ, ſo war doch deren Beſchaffenheit von<lb/> der Art, daß das Gelingen derſelben in dieſer Anwendung ſo<lb/> gut als unmoͤglich war. Man dachte naͤmlich nicht an das<lb/> Daſeyn eines ſelbſtaͤndigen Volksrechts und an die Moͤglich-<lb/> keit, dieſes unmittelbar zu erfaſſen; der Begriff war in den<lb/> des Gewohnheitsrechts aufgegangen, deſſen eigentliche Begruͤn-<lb/> dung eben in der Gewohnheit gefunden ward. Daher ſuchte<lb/> man die Bedeutung des Rechts in einer Reihe aͤußerer Hand-<lb/> lungen, in denen es ſich offenbart hatte, und ſtellte nur auf<lb/> dieſe den Beweis, indem man den Richter in der Rechtsfin-<lb/> dung aͤhnlich beſchraͤnkte, wie in der Pruͤfung jeder andern<lb/> Beweisfuͤhrung uͤber proceſſualiſche Thatſachen.</p><lb/> <p>Neben dieſer Theorie uͤber den Beweis des Gewohnheits-<lb/> rechts entwickelte ſich aber ſeit der Mitte des 17. Jahrhun-<lb/> derts in Folge der germaniſtiſchen Richtung in der Jurispru-<lb/> denz eine ganz neue Lehre, indem man die ſelbſtaͤndige Exi-<lb/> ſtenz einheimiſcher Rechtsinſtitute annahm, und dieſen neben<lb/> dem roͤmiſchen Recht den Charakter der Gemeinrechtlichkeit bei-<lb/> legte. Inſofern dieſes deutſche Recht nicht mit dem ſchon feſt-<lb/> geſtellten Juriſtenrecht zuſammen fiel, mußte dafuͤr natuͤrlich<lb/> eine beſondere Methode zur Anwendung gebracht werden, und<lb/> zwar eine ſolche, welche auf anderen Principien beruhte, als<lb/> auf denen einer fuͤr das Studium des geſchriebenen Rechts<lb/> nothwendigen Exegeſe. So wie man aber lange Zeit uͤber<lb/> den eigentlichen Charakter dieſes deutſchen Rechts ſelbſt nicht<lb/> recht ins Klare und zu einer vollen Uebereinſtimmung kommen<lb/> konnte, ſo ſchwankte man auch uͤber die dafuͤr aufzuſtellende<lb/> Methode. Man ſah wohl ein, daß die Herbeiziehung ganz<lb/> fernſtehender roͤmiſcher Analogien zu keinem wiſſenſchaftlichen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [112/0124]
Viertes Kapitel.
eine allgemeine Gewohnheit ſeyn konnte, fuͤr welche man eine
Beweisfuͤhrung zuließ, ſo war doch deren Beſchaffenheit von
der Art, daß das Gelingen derſelben in dieſer Anwendung ſo
gut als unmoͤglich war. Man dachte naͤmlich nicht an das
Daſeyn eines ſelbſtaͤndigen Volksrechts und an die Moͤglich-
keit, dieſes unmittelbar zu erfaſſen; der Begriff war in den
des Gewohnheitsrechts aufgegangen, deſſen eigentliche Begruͤn-
dung eben in der Gewohnheit gefunden ward. Daher ſuchte
man die Bedeutung des Rechts in einer Reihe aͤußerer Hand-
lungen, in denen es ſich offenbart hatte, und ſtellte nur auf
dieſe den Beweis, indem man den Richter in der Rechtsfin-
dung aͤhnlich beſchraͤnkte, wie in der Pruͤfung jeder andern
Beweisfuͤhrung uͤber proceſſualiſche Thatſachen.
Neben dieſer Theorie uͤber den Beweis des Gewohnheits-
rechts entwickelte ſich aber ſeit der Mitte des 17. Jahrhun-
derts in Folge der germaniſtiſchen Richtung in der Jurispru-
denz eine ganz neue Lehre, indem man die ſelbſtaͤndige Exi-
ſtenz einheimiſcher Rechtsinſtitute annahm, und dieſen neben
dem roͤmiſchen Recht den Charakter der Gemeinrechtlichkeit bei-
legte. Inſofern dieſes deutſche Recht nicht mit dem ſchon feſt-
geſtellten Juriſtenrecht zuſammen fiel, mußte dafuͤr natuͤrlich
eine beſondere Methode zur Anwendung gebracht werden, und
zwar eine ſolche, welche auf anderen Principien beruhte, als
auf denen einer fuͤr das Studium des geſchriebenen Rechts
nothwendigen Exegeſe. So wie man aber lange Zeit uͤber
den eigentlichen Charakter dieſes deutſchen Rechts ſelbſt nicht
recht ins Klare und zu einer vollen Uebereinſtimmung kommen
konnte, ſo ſchwankte man auch uͤber die dafuͤr aufzuſtellende
Methode. Man ſah wohl ein, daß die Herbeiziehung ganz
fernſtehender roͤmiſcher Analogien zu keinem wiſſenſchaftlichen
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