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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Erkenntnißquellen des Volksrechts.

Soweit sich die Quellen des deutschen Rechts verfolgen
lassen, findet sich in denselben der Grundsatz ausgeprägt, daß
dingliche Rechte an Grundstücken nicht durch Besitzeinräumung
und Vertrag, sondern nur durch eine feierliche, öffentliche Hand-
lung übertragen werden können, welche in ihrer späteren Form
vor dem ordentlichen Gerichte der belegenen Sache vorgenom-
men werden mußte. Ursprünglich war dieß für freies Eigen
das ungebotene Echteding, welches alle schöffenbaren Dingpflich-
tigen besuchen mußten, und wo daher regelmäßig jeder Wider-
spruch gegen die vorzunehmende Auflassung (so nenne ich jenen
feierlichen Act der Uebertragung) sofort von dem Betheiligten
oder dessen gesetzlichen Vertreter geltend gemacht werden konnte;
wer dieß, obgleich er gegenwärtig war, unterließ, der hatte sich
seines Rechtes verschwiegen. Indessen beruhte die Anwesenheit
aller Betheiligten doch nur auf einer Fiction, und es konnte
daher nicht fehlen, daß zuweilen eine bereits vollzogene Auf-
lassung angefochten ward, selbst wenn man das namentlich in
den nordischen Rechten ausgebildete Institut der vorhergehen-
den Verkündigung angewandt hatte. Solche Anfechtungen
mußten besonders häufig werden, als sich das Beispruchsrecht
der nächsten Erben bei Veräußerungen des Grundbesitzes zur
allgemeinen Geltung erhoben hatte, und die Anfechtungsgründe
dadurch so sehr vermehrt worden waren. Neben der Auflas-
sung entwickelte sich daher zu ihrer Unterstützung eine besondere
Verjährung, indem der Empfänger, welchem der Tradent so
lange Gewähr zu leisten hatte, erst nach Ablauf von Jahr
und Tag gegen die dingliche Klage des Verletzten, der nicht
sofort seinen Widerspruch hatte erheben können, gesichert ward
(die rechte Gewere erhielt). Das ward nun um so wichtiger,
als die alte Landesgemeinde der schöffenbar Freien im Echte-

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Erkenntnißquellen des Volksrechts.

Soweit ſich die Quellen des deutſchen Rechts verfolgen
laſſen, findet ſich in denſelben der Grundſatz ausgepraͤgt, daß
dingliche Rechte an Grundſtuͤcken nicht durch Beſitzeinraͤumung
und Vertrag, ſondern nur durch eine feierliche, oͤffentliche Hand-
lung uͤbertragen werden koͤnnen, welche in ihrer ſpaͤteren Form
vor dem ordentlichen Gerichte der belegenen Sache vorgenom-
men werden mußte. Urſpruͤnglich war dieß fuͤr freies Eigen
das ungebotene Echteding, welches alle ſchoͤffenbaren Dingpflich-
tigen beſuchen mußten, und wo daher regelmaͤßig jeder Wider-
ſpruch gegen die vorzunehmende Auflaſſung (ſo nenne ich jenen
feierlichen Act der Uebertragung) ſofort von dem Betheiligten
oder deſſen geſetzlichen Vertreter geltend gemacht werden konnte;
wer dieß, obgleich er gegenwaͤrtig war, unterließ, der hatte ſich
ſeines Rechtes verſchwiegen. Indeſſen beruhte die Anweſenheit
aller Betheiligten doch nur auf einer Fiction, und es konnte
daher nicht fehlen, daß zuweilen eine bereits vollzogene Auf-
laſſung angefochten ward, ſelbſt wenn man das namentlich in
den nordiſchen Rechten ausgebildete Inſtitut der vorhergehen-
den Verkuͤndigung angewandt hatte. Solche Anfechtungen
mußten beſonders haͤufig werden, als ſich das Beiſpruchsrecht
der naͤchſten Erben bei Veraͤußerungen des Grundbeſitzes zur
allgemeinen Geltung erhoben hatte, und die Anfechtungsgruͤnde
dadurch ſo ſehr vermehrt worden waren. Neben der Auflaſ-
ſung entwickelte ſich daher zu ihrer Unterſtuͤtzung eine beſondere
Verjaͤhrung, indem der Empfaͤnger, welchem der Tradent ſo
lange Gewaͤhr zu leiſten hatte, erſt nach Ablauf von Jahr
und Tag gegen die dingliche Klage des Verletzten, der nicht
ſofort ſeinen Widerſpruch hatte erheben koͤnnen, geſichert ward
(die rechte Gewere erhielt). Das ward nun um ſo wichtiger,
als die alte Landesgemeinde der ſchoͤffenbar Freien im Echte-

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[131/0143] Erkenntnißquellen des Volksrechts. Soweit ſich die Quellen des deutſchen Rechts verfolgen laſſen, findet ſich in denſelben der Grundſatz ausgepraͤgt, daß dingliche Rechte an Grundſtuͤcken nicht durch Beſitzeinraͤumung und Vertrag, ſondern nur durch eine feierliche, oͤffentliche Hand- lung uͤbertragen werden koͤnnen, welche in ihrer ſpaͤteren Form vor dem ordentlichen Gerichte der belegenen Sache vorgenom- men werden mußte. Urſpruͤnglich war dieß fuͤr freies Eigen das ungebotene Echteding, welches alle ſchoͤffenbaren Dingpflich- tigen beſuchen mußten, und wo daher regelmaͤßig jeder Wider- ſpruch gegen die vorzunehmende Auflaſſung (ſo nenne ich jenen feierlichen Act der Uebertragung) ſofort von dem Betheiligten oder deſſen geſetzlichen Vertreter geltend gemacht werden konnte; wer dieß, obgleich er gegenwaͤrtig war, unterließ, der hatte ſich ſeines Rechtes verſchwiegen. Indeſſen beruhte die Anweſenheit aller Betheiligten doch nur auf einer Fiction, und es konnte daher nicht fehlen, daß zuweilen eine bereits vollzogene Auf- laſſung angefochten ward, ſelbſt wenn man das namentlich in den nordiſchen Rechten ausgebildete Inſtitut der vorhergehen- den Verkuͤndigung angewandt hatte. Solche Anfechtungen mußten beſonders haͤufig werden, als ſich das Beiſpruchsrecht der naͤchſten Erben bei Veraͤußerungen des Grundbeſitzes zur allgemeinen Geltung erhoben hatte, und die Anfechtungsgruͤnde dadurch ſo ſehr vermehrt worden waren. Neben der Auflaſ- ſung entwickelte ſich daher zu ihrer Unterſtuͤtzung eine beſondere Verjaͤhrung, indem der Empfaͤnger, welchem der Tradent ſo lange Gewaͤhr zu leiſten hatte, erſt nach Ablauf von Jahr und Tag gegen die dingliche Klage des Verletzten, der nicht ſofort ſeinen Widerſpruch hatte erheben koͤnnen, geſichert ward (die rechte Gewere erhielt). Das ward nun um ſo wichtiger, als die alte Landesgemeinde der ſchoͤffenbar Freien im Echte- 9*

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/143>, abgerufen am 19.05.2024.