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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Viertes Kapitel.
die gemeinrechtliche Geltung gewisser Rechtssätze schließen zu
können; allein wenn auch daraus eine gewisse Wahrscheinlich-
keit für ein solches Verhältniß folgen mag, so fehlt demselben
doch jede Gewähr einer wirklich nothwendigen Begründung.
Denn bei dem selbständigen Gange, den namentlich seit dem
16. Jahrhundert die Entwicklung der Particularrechte genom-
men hat, und bei der oft durch äußere Einwirkungen bestimm-
ten Aehnlichkeit, die manche unter ihnen haben, läßt sich von
solchen speciellen Satzungen allein noch kein sicherer Schluß
auf die gemeinrechtliche Regel machen. Viele Mißverständnisse
sind dabei untergelaufen, und manche Einrichtung ist nur aus
äußeren Rücksichten der Zweckmäßigkeit getroffen worden. Da-
zu kommt, daß die speciellen Gesetzgebungen meistens unter
dem unmittelbaren Einfluß der gerade herrschenden Theorie
entstanden sind, welche sich in der bestimmten Zeit und unter
den gegebenen Verhältnissen allerdings mit einer gewissen All-
gemeinheit geltend machte, ohne jedoch bei der allmäligen Um-
bildung vieler gemeinrechtlichen Lehren anders als in den ein-
zelnen Gesetzen für die Dauer fixirt zu seyn. Man hat daher
in jedem einzelnen Fall zu erwägen, ob und in welcher Weise
die allgemeine Rechtsidee durch eine solche Gesetzgebung eigen-
thümlich modificirt worden ist. Bedenkt man nun noch, daß
es unter diesen Umständen ganz zufällig seyn kann, ob ein
Institut, welches auf verschiedene Weise aufgefaßt worden,
gerade in seiner rechten Bedeutung die weiteste Verbreitung
gefunden hat, und daß in der Wissenschaft die Zahl nicht auch
nothwendig das Gewicht der Gründe bestimmt, so wird wohl
die Annahme, daß die Uebereinstimmung mehrer Particular-
rechte gemeines Recht bilde, keiner weiteren Widerlegung be-
dürfen. Oft stellt sich ja auch die Sache so, daß eine ge-

Viertes Kapitel.
die gemeinrechtliche Geltung gewiſſer Rechtsſaͤtze ſchließen zu
koͤnnen; allein wenn auch daraus eine gewiſſe Wahrſcheinlich-
keit fuͤr ein ſolches Verhaͤltniß folgen mag, ſo fehlt demſelben
doch jede Gewaͤhr einer wirklich nothwendigen Begruͤndung.
Denn bei dem ſelbſtaͤndigen Gange, den namentlich ſeit dem
16. Jahrhundert die Entwicklung der Particularrechte genom-
men hat, und bei der oft durch aͤußere Einwirkungen beſtimm-
ten Aehnlichkeit, die manche unter ihnen haben, laͤßt ſich von
ſolchen ſpeciellen Satzungen allein noch kein ſicherer Schluß
auf die gemeinrechtliche Regel machen. Viele Mißverſtaͤndniſſe
ſind dabei untergelaufen, und manche Einrichtung iſt nur aus
aͤußeren Ruͤckſichten der Zweckmaͤßigkeit getroffen worden. Da-
zu kommt, daß die ſpeciellen Geſetzgebungen meiſtens unter
dem unmittelbaren Einfluß der gerade herrſchenden Theorie
entſtanden ſind, welche ſich in der beſtimmten Zeit und unter
den gegebenen Verhaͤltniſſen allerdings mit einer gewiſſen All-
gemeinheit geltend machte, ohne jedoch bei der allmaͤligen Um-
bildung vieler gemeinrechtlichen Lehren anders als in den ein-
zelnen Geſetzen fuͤr die Dauer fixirt zu ſeyn. Man hat daher
in jedem einzelnen Fall zu erwaͤgen, ob und in welcher Weiſe
die allgemeine Rechtsidee durch eine ſolche Geſetzgebung eigen-
thuͤmlich modificirt worden iſt. Bedenkt man nun noch, daß
es unter dieſen Umſtaͤnden ganz zufaͤllig ſeyn kann, ob ein
Inſtitut, welches auf verſchiedene Weiſe aufgefaßt worden,
gerade in ſeiner rechten Bedeutung die weiteſte Verbreitung
gefunden hat, und daß in der Wiſſenſchaft die Zahl nicht auch
nothwendig das Gewicht der Gruͤnde beſtimmt, ſo wird wohl
die Annahme, daß die Uebereinſtimmung mehrer Particular-
rechte gemeines Recht bilde, keiner weiteren Widerlegung be-
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[138/0150] Viertes Kapitel. die gemeinrechtliche Geltung gewiſſer Rechtsſaͤtze ſchließen zu koͤnnen; allein wenn auch daraus eine gewiſſe Wahrſcheinlich- keit fuͤr ein ſolches Verhaͤltniß folgen mag, ſo fehlt demſelben doch jede Gewaͤhr einer wirklich nothwendigen Begruͤndung. Denn bei dem ſelbſtaͤndigen Gange, den namentlich ſeit dem 16. Jahrhundert die Entwicklung der Particularrechte genom- men hat, und bei der oft durch aͤußere Einwirkungen beſtimm- ten Aehnlichkeit, die manche unter ihnen haben, laͤßt ſich von ſolchen ſpeciellen Satzungen allein noch kein ſicherer Schluß auf die gemeinrechtliche Regel machen. Viele Mißverſtaͤndniſſe ſind dabei untergelaufen, und manche Einrichtung iſt nur aus aͤußeren Ruͤckſichten der Zweckmaͤßigkeit getroffen worden. Da- zu kommt, daß die ſpeciellen Geſetzgebungen meiſtens unter dem unmittelbaren Einfluß der gerade herrſchenden Theorie entſtanden ſind, welche ſich in der beſtimmten Zeit und unter den gegebenen Verhaͤltniſſen allerdings mit einer gewiſſen All- gemeinheit geltend machte, ohne jedoch bei der allmaͤligen Um- bildung vieler gemeinrechtlichen Lehren anders als in den ein- zelnen Geſetzen fuͤr die Dauer fixirt zu ſeyn. Man hat daher in jedem einzelnen Fall zu erwaͤgen, ob und in welcher Weiſe die allgemeine Rechtsidee durch eine ſolche Geſetzgebung eigen- thuͤmlich modificirt worden iſt. Bedenkt man nun noch, daß es unter dieſen Umſtaͤnden ganz zufaͤllig ſeyn kann, ob ein Inſtitut, welches auf verſchiedene Weiſe aufgefaßt worden, gerade in ſeiner rechten Bedeutung die weiteſte Verbreitung gefunden hat, und daß in der Wiſſenſchaft die Zahl nicht auch nothwendig das Gewicht der Gruͤnde beſtimmt, ſo wird wohl die Annahme, daß die Uebereinſtimmung mehrer Particular- rechte gemeines Recht bilde, keiner weiteren Widerlegung be- duͤrfen. Oft ſtellt ſich ja auch die Sache ſo, daß eine ge-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/150>, abgerufen am 19.05.2024.