Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Erstes Kapitel. bestimmten Auswahl das Allerwesentlichste hervorgehoben wer-den; und, was besonders zu erwägen ist, der Stoff darf nicht bloß aus den eigentlichen Rechtsquellen entnommen werden, da diese theils unzureichend sind, theils aber häufig das gel- tende und zur Anwendung gebrachte Recht nicht genau ange- ben. Denn die Wirklichkeit und namentlich die des germani- schen Mittelalters sieht oft ganz anders aus, als die dafür gesetzten Rechtsnormen es erwarten lassen, und selten kommt eine in dem innern Rechtsleben einer Nation vorgehende Ver- änderung zum Durchbruch, ohne daß nicht vorher in langem Kampfe ein Theil des positiven Rechts der neuen Idee hat unterliegen müssen, bis diese sich auch äußerlich und förmlich sanctionirt an dessen Stelle setzt, um dann vielleicht schon wie- der von einer andern Richtung, die sich geltend machen will, bedroht zu werden. So muß die Rechtsgeschichte, wenn sie nicht bloß das Werk einer einseitigen, todten Quellenforschung seyn soll, als integrirender Theil der allgemeinen politischen Ge- schichte in ihrem weitesten Umfange aufgefaßt werden; sie muß das Rechtsleben der Nation in seiner Fülle und seinem Wech- sel zur deutlichen Anschauung zu bringen wissen. -- Bei die- ser Höhe der Aufgabe darf die folgende Skizze freilich nur ein bescheidenes Verdienst für sich in Anspruch nehmen. Die ältesten Nachrichten über unser Volk zeigen dasselbe Erſtes Kapitel. beſtimmten Auswahl das Allerweſentlichſte hervorgehoben wer-den; und, was beſonders zu erwaͤgen iſt, der Stoff darf nicht bloß aus den eigentlichen Rechtsquellen entnommen werden, da dieſe theils unzureichend ſind, theils aber haͤufig das gel- tende und zur Anwendung gebrachte Recht nicht genau ange- ben. Denn die Wirklichkeit und namentlich die des germani- ſchen Mittelalters ſieht oft ganz anders aus, als die dafuͤr geſetzten Rechtsnormen es erwarten laſſen, und ſelten kommt eine in dem innern Rechtsleben einer Nation vorgehende Ver- aͤnderung zum Durchbruch, ohne daß nicht vorher in langem Kampfe ein Theil des poſitiven Rechts der neuen Idee hat unterliegen muͤſſen, bis dieſe ſich auch aͤußerlich und foͤrmlich ſanctionirt an deſſen Stelle ſetzt, um dann vielleicht ſchon wie- der von einer andern Richtung, die ſich geltend machen will, bedroht zu werden. So muß die Rechtsgeſchichte, wenn ſie nicht bloß das Werk einer einſeitigen, todten Quellenforſchung ſeyn ſoll, als integrirender Theil der allgemeinen politiſchen Ge- ſchichte in ihrem weiteſten Umfange aufgefaßt werden; ſie muß das Rechtsleben der Nation in ſeiner Fuͤlle und ſeinem Wech- ſel zur deutlichen Anſchauung zu bringen wiſſen. — Bei die- ſer Hoͤhe der Aufgabe darf die folgende Skizze freilich nur ein beſcheidenes Verdienſt fuͤr ſich in Anſpruch nehmen. Die aͤlteſten Nachrichten uͤber unſer Volk zeigen daſſelbe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0016" n="4"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſtes Kapitel</hi>.</fw><lb/> beſtimmten Auswahl das Allerweſentlichſte hervorgehoben wer-<lb/> den; und, was beſonders zu erwaͤgen iſt, der Stoff darf nicht<lb/> bloß aus den eigentlichen Rechtsquellen entnommen werden,<lb/> da dieſe theils unzureichend ſind, theils aber haͤufig das gel-<lb/> tende und zur Anwendung gebrachte Recht nicht genau ange-<lb/> ben. Denn die Wirklichkeit und namentlich die des germani-<lb/> ſchen Mittelalters ſieht oft ganz anders aus, als die dafuͤr<lb/> geſetzten Rechtsnormen es erwarten laſſen, und ſelten kommt<lb/> eine in dem innern Rechtsleben einer Nation vorgehende Ver-<lb/> aͤnderung zum Durchbruch, ohne daß nicht vorher in langem<lb/> Kampfe ein Theil des poſitiven Rechts der neuen Idee hat<lb/> unterliegen muͤſſen, bis dieſe ſich auch aͤußerlich und foͤrmlich<lb/> ſanctionirt an deſſen Stelle ſetzt, um dann vielleicht ſchon wie-<lb/> der von einer andern Richtung, die ſich geltend machen will,<lb/> bedroht zu werden. So muß die Rechtsgeſchichte, wenn ſie nicht<lb/> bloß das Werk einer einſeitigen, todten Quellenforſchung ſeyn<lb/> ſoll, als integrirender Theil der allgemeinen politiſchen Ge-<lb/> ſchichte in ihrem weiteſten Umfange aufgefaßt werden; ſie muß<lb/> das Rechtsleben der Nation in ſeiner Fuͤlle und ſeinem Wech-<lb/> ſel zur deutlichen Anſchauung zu bringen wiſſen. — Bei die-<lb/> ſer Hoͤhe der Aufgabe darf die folgende Skizze freilich nur ein<lb/> beſcheidenes Verdienſt fuͤr ſich in Anſpruch nehmen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Die aͤlteſten Nachrichten uͤber unſer Volk zeigen daſſelbe<lb/> noch nicht in einer formell ausgepraͤgten, politiſchen Vereini-<lb/> gung. Die ungebundene Freiheit roher Naturmenſchen, welche<lb/> nur in dem Willen jedes Einzelnen und in der Macht des<lb/> Staͤrkeren ihre Beſchraͤnkung findet, treffen wir freilich bei den<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0016]
Erſtes Kapitel.
beſtimmten Auswahl das Allerweſentlichſte hervorgehoben wer-
den; und, was beſonders zu erwaͤgen iſt, der Stoff darf nicht
bloß aus den eigentlichen Rechtsquellen entnommen werden,
da dieſe theils unzureichend ſind, theils aber haͤufig das gel-
tende und zur Anwendung gebrachte Recht nicht genau ange-
ben. Denn die Wirklichkeit und namentlich die des germani-
ſchen Mittelalters ſieht oft ganz anders aus, als die dafuͤr
geſetzten Rechtsnormen es erwarten laſſen, und ſelten kommt
eine in dem innern Rechtsleben einer Nation vorgehende Ver-
aͤnderung zum Durchbruch, ohne daß nicht vorher in langem
Kampfe ein Theil des poſitiven Rechts der neuen Idee hat
unterliegen muͤſſen, bis dieſe ſich auch aͤußerlich und foͤrmlich
ſanctionirt an deſſen Stelle ſetzt, um dann vielleicht ſchon wie-
der von einer andern Richtung, die ſich geltend machen will,
bedroht zu werden. So muß die Rechtsgeſchichte, wenn ſie nicht
bloß das Werk einer einſeitigen, todten Quellenforſchung ſeyn
ſoll, als integrirender Theil der allgemeinen politiſchen Ge-
ſchichte in ihrem weiteſten Umfange aufgefaßt werden; ſie muß
das Rechtsleben der Nation in ſeiner Fuͤlle und ſeinem Wech-
ſel zur deutlichen Anſchauung zu bringen wiſſen. — Bei die-
ſer Hoͤhe der Aufgabe darf die folgende Skizze freilich nur ein
beſcheidenes Verdienſt fuͤr ſich in Anſpruch nehmen.
Die aͤlteſten Nachrichten uͤber unſer Volk zeigen daſſelbe
noch nicht in einer formell ausgepraͤgten, politiſchen Vereini-
gung. Die ungebundene Freiheit roher Naturmenſchen, welche
nur in dem Willen jedes Einzelnen und in der Macht des
Staͤrkeren ihre Beſchraͤnkung findet, treffen wir freilich bei den
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