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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Erstes Kapitel.

Dem ganzen Stammesleben aber entsprach das Recht
der älteren Zeit: es war noch ganz mit der Religion und der
Sitte verwachsen, wenn es sich auch schon, trotz der symboli-
schen Umkleidung, in bestimmten Instituten erkennbar heraus-
stellt; es ging unmittelbar aus den Lebensverhältnissen hervor,
wie sie sich bei der allgemeinen nationalen Anlage und den
besondern Bedürfnissen der engeren Kreise gestalteten. Die
freien Genossen der Volksgemeinde sind die eigentlichen Trä-
ger der öffentlichen Gewalt; der Unfreie ist außer dem Volks-
rechte gestellt, ohne politische Berechtigung. Jene aber treten
im Thing zusammen, und verhandeln hier ihre Angelegenhei-
ten, -- bald nach kleineren Bezirken, wie das Interesse der
Familie, der Mark, des Gaus es erheischt; bald in größeren
Versammlungen, welche in wichtigen Fällen den ganzen Stamm
darstellen können. Doch ist auch unter den Freien keine völ-
lige Gleichheit: das Ansehen des Hausvaters, des Hofbesitzers
mit einer selbständigen Berechtigung am Gemeindeland mußte
sich unter natürlichen Verhältnissen von selbst geltend machen;
für gemeinschaftliche Opfer und andere religiöse Handlungen
konnten Priester nicht entbehrt werden; es zeigen sich früh
einzelne hervorragende Geschlechter mit einer bevorzugten Stel-
lung in der Gemeinde und bei den Versammlungen, ja selbst
das Königthum, wie man die beschränkte Macht der Stam-
meshäuptlinge zu nennen pflegt, ist schon zu Tacitus Zeiten
bei den meisten Völkerschaften hergebracht. Aber wenigstens
bei denen, welche frühe zu festen Sitzen gekommen waren
und sich unvermischt mit den Römern erhielten, blieb die ge-
meine Freiheit doch der eigentliche Mittelpunct und Kern der
Verfassung. So war auch die Handhabung des Rechts bei
der Gemeinde, welche den Volksfrieden zu schützen hatte; nur

Erſtes Kapitel.

Dem ganzen Stammesleben aber entſprach das Recht
der aͤlteren Zeit: es war noch ganz mit der Religion und der
Sitte verwachſen, wenn es ſich auch ſchon, trotz der ſymboli-
ſchen Umkleidung, in beſtimmten Inſtituten erkennbar heraus-
ſtellt; es ging unmittelbar aus den Lebensverhaͤltniſſen hervor,
wie ſie ſich bei der allgemeinen nationalen Anlage und den
beſondern Beduͤrfniſſen der engeren Kreiſe geſtalteten. Die
freien Genoſſen der Volksgemeinde ſind die eigentlichen Traͤ-
ger der oͤffentlichen Gewalt; der Unfreie iſt außer dem Volks-
rechte geſtellt, ohne politiſche Berechtigung. Jene aber treten
im Thing zuſammen, und verhandeln hier ihre Angelegenhei-
ten, — bald nach kleineren Bezirken, wie das Intereſſe der
Familie, der Mark, des Gaus es erheiſcht; bald in groͤßeren
Verſammlungen, welche in wichtigen Faͤllen den ganzen Stamm
darſtellen koͤnnen. Doch iſt auch unter den Freien keine voͤl-
lige Gleichheit: das Anſehen des Hausvaters, des Hofbeſitzers
mit einer ſelbſtaͤndigen Berechtigung am Gemeindeland mußte
ſich unter natuͤrlichen Verhaͤltniſſen von ſelbſt geltend machen;
fuͤr gemeinſchaftliche Opfer und andere religioͤſe Handlungen
konnten Prieſter nicht entbehrt werden; es zeigen ſich fruͤh
einzelne hervorragende Geſchlechter mit einer bevorzugten Stel-
lung in der Gemeinde und bei den Verſammlungen, ja ſelbſt
das Koͤnigthum, wie man die beſchraͤnkte Macht der Stam-
meshaͤuptlinge zu nennen pflegt, iſt ſchon zu Tacitus Zeiten
bei den meiſten Voͤlkerſchaften hergebracht. Aber wenigſtens
bei denen, welche fruͤhe zu feſten Sitzen gekommen waren
und ſich unvermiſcht mit den Roͤmern erhielten, blieb die ge-
meine Freiheit doch der eigentliche Mittelpunct und Kern der
Verfaſſung. So war auch die Handhabung des Rechts bei
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[6/0018] Erſtes Kapitel. Dem ganzen Stammesleben aber entſprach das Recht der aͤlteren Zeit: es war noch ganz mit der Religion und der Sitte verwachſen, wenn es ſich auch ſchon, trotz der ſymboli- ſchen Umkleidung, in beſtimmten Inſtituten erkennbar heraus- ſtellt; es ging unmittelbar aus den Lebensverhaͤltniſſen hervor, wie ſie ſich bei der allgemeinen nationalen Anlage und den beſondern Beduͤrfniſſen der engeren Kreiſe geſtalteten. Die freien Genoſſen der Volksgemeinde ſind die eigentlichen Traͤ- ger der oͤffentlichen Gewalt; der Unfreie iſt außer dem Volks- rechte geſtellt, ohne politiſche Berechtigung. Jene aber treten im Thing zuſammen, und verhandeln hier ihre Angelegenhei- ten, — bald nach kleineren Bezirken, wie das Intereſſe der Familie, der Mark, des Gaus es erheiſcht; bald in groͤßeren Verſammlungen, welche in wichtigen Faͤllen den ganzen Stamm darſtellen koͤnnen. Doch iſt auch unter den Freien keine voͤl- lige Gleichheit: das Anſehen des Hausvaters, des Hofbeſitzers mit einer ſelbſtaͤndigen Berechtigung am Gemeindeland mußte ſich unter natuͤrlichen Verhaͤltniſſen von ſelbſt geltend machen; fuͤr gemeinſchaftliche Opfer und andere religioͤſe Handlungen konnten Prieſter nicht entbehrt werden; es zeigen ſich fruͤh einzelne hervorragende Geſchlechter mit einer bevorzugten Stel- lung in der Gemeinde und bei den Verſammlungen, ja ſelbſt das Koͤnigthum, wie man die beſchraͤnkte Macht der Stam- meshaͤuptlinge zu nennen pflegt, iſt ſchon zu Tacitus Zeiten bei den meiſten Voͤlkerſchaften hergebracht. Aber wenigſtens bei denen, welche fruͤhe zu feſten Sitzen gekommen waren und ſich unvermiſcht mit den Roͤmern erhielten, blieb die ge- meine Freiheit doch der eigentliche Mittelpunct und Kern der Verfaſſung. So war auch die Handhabung des Rechts bei der Gemeinde, welche den Volksfrieden zu ſchuͤtzen hatte; nur

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/18>, abgerufen am 21.11.2024.