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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Siebentes Kapitel.
Das Volksrecht als gemeines Ständerecht.

Es giebt wenige Begriffe in unserem Rechte, deren Fest-
stellung so schwierig ist, als der eines Standes im juristisch-
politischen Sinne. Schon die Vieldeutigkeit des Wortes führt
leicht zur Verwirrung, da man ganz verschiedene Verhältnisse
damit bezeichnet. So spricht man von einem Stande der
Freiheit, der Civität, und versteht darunter eine gewisse Qua-
lification der einzelnen Individuen nach gemeinsamen Merkma-
len; in einer andern Bedeutung wird der Ausdruck unmit-
telbar auf eine bestimmte Person bezogen, welche zur Theil-
nahme an der Ausübung gewisser Hoheitsrechte befugt ist
(Reichsstand, Landstand), und in der Mehrheit bezeichnet man
damit wohl die Gesammtheit dieser Personen als ein corpora-
tives Ganze gedacht (Landstände, Stände). Außerdem denkt
man sich unter einem Stande eine gewisse Classe der Bevöl-
kerung im Gegensatz zu dem Volksganzen, indem man bei
derselben etwas Gemeinsames, besonders Charakteristisches fin-
det, welches sie von den übrigen unterscheidet. Faßt man nun
aber auch die Stände, wie es gewöhnlich geschieht, in diesem letzte-
ren Sinne auf, so kommt es doch weiter darauf an, jenes un-
terscheidende Merkmal, wodurch sie sich von der übrigen Bevöl-
kerung absondern, genau anzugeben, und das hat wieder seine
Schwierigkeiten. Denn der Sprachgebrauch des gemeinen Le-
bens, der auch auf die Jurisprudenz und die Gesetzgebung zu-
rückgewirkt hat, ist hier sehr unbestimmt und schwankend.

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Siebentes Kapitel.
Das Volksrecht als gemeines Ständerecht.

Es giebt wenige Begriffe in unſerem Rechte, deren Feſt-
ſtellung ſo ſchwierig iſt, als der eines Standes im juriſtiſch-
politiſchen Sinne. Schon die Vieldeutigkeit des Wortes fuͤhrt
leicht zur Verwirrung, da man ganz verſchiedene Verhaͤltniſſe
damit bezeichnet. So ſpricht man von einem Stande der
Freiheit, der Civitaͤt, und verſteht darunter eine gewiſſe Qua-
lification der einzelnen Individuen nach gemeinſamen Merkma-
len; in einer andern Bedeutung wird der Ausdruck unmit-
telbar auf eine beſtimmte Perſon bezogen, welche zur Theil-
nahme an der Ausuͤbung gewiſſer Hoheitsrechte befugt iſt
(Reichsſtand, Landſtand), und in der Mehrheit bezeichnet man
damit wohl die Geſammtheit dieſer Perſonen als ein corpora-
tives Ganze gedacht (Landſtaͤnde, Staͤnde). Außerdem denkt
man ſich unter einem Stande eine gewiſſe Claſſe der Bevoͤl-
kerung im Gegenſatz zu dem Volksganzen, indem man bei
derſelben etwas Gemeinſames, beſonders Charakteriſtiſches fin-
det, welches ſie von den uͤbrigen unterſcheidet. Faßt man nun
aber auch die Staͤnde, wie es gewoͤhnlich geſchieht, in dieſem letzte-
ren Sinne auf, ſo kommt es doch weiter darauf an, jenes un-
terſcheidende Merkmal, wodurch ſie ſich von der uͤbrigen Bevoͤl-
kerung abſondern, genau anzugeben, und das hat wieder ſeine
Schwierigkeiten. Denn der Sprachgebrauch des gemeinen Le-
bens, der auch auf die Jurisprudenz und die Geſetzgebung zu-
ruͤckgewirkt hat, iſt hier ſehr unbeſtimmt und ſchwankend.

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[[195]/0207] Siebentes Kapitel. Das Volksrecht als gemeines Ständerecht. Es giebt wenige Begriffe in unſerem Rechte, deren Feſt- ſtellung ſo ſchwierig iſt, als der eines Standes im juriſtiſch- politiſchen Sinne. Schon die Vieldeutigkeit des Wortes fuͤhrt leicht zur Verwirrung, da man ganz verſchiedene Verhaͤltniſſe damit bezeichnet. So ſpricht man von einem Stande der Freiheit, der Civitaͤt, und verſteht darunter eine gewiſſe Qua- lification der einzelnen Individuen nach gemeinſamen Merkma- len; in einer andern Bedeutung wird der Ausdruck unmit- telbar auf eine beſtimmte Perſon bezogen, welche zur Theil- nahme an der Ausuͤbung gewiſſer Hoheitsrechte befugt iſt (Reichsſtand, Landſtand), und in der Mehrheit bezeichnet man damit wohl die Geſammtheit dieſer Perſonen als ein corpora- tives Ganze gedacht (Landſtaͤnde, Staͤnde). Außerdem denkt man ſich unter einem Stande eine gewiſſe Claſſe der Bevoͤl- kerung im Gegenſatz zu dem Volksganzen, indem man bei derſelben etwas Gemeinſames, beſonders Charakteriſtiſches fin- det, welches ſie von den uͤbrigen unterſcheidet. Faßt man nun aber auch die Staͤnde, wie es gewoͤhnlich geſchieht, in dieſem letzte- ren Sinne auf, ſo kommt es doch weiter darauf an, jenes un- terſcheidende Merkmal, wodurch ſie ſich von der uͤbrigen Bevoͤl- kerung abſondern, genau anzugeben, und das hat wieder ſeine Schwierigkeiten. Denn der Sprachgebrauch des gemeinen Le- bens, der auch auf die Jurisprudenz und die Geſetzgebung zu- ruͤckgewirkt hat, iſt hier ſehr unbeſtimmt und ſchwankend. 13*

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. [195]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/207>, abgerufen am 23.11.2024.