Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Kapitel.
ihrer Bedeutung verloren, und werden es immer mehr thun.
Steht aber auch jetzt noch die Stadtgemeinde in einer bevor-
zugten Haltung da, so ist es doch nicht gerade der Bürgerstand
im engeren Sinne, der sich darin ausschließlich vertreten sieht.
Denn die Städte umschließen jetzt mehr wie je eine sehr ge-
mischte Bevölkerung, von der ein bedeutender Theil ohne alle
Beziehung zum städtischen Gewerbe steht, während er doch ge-
rade durch Intelligenz, Bildung und Reichthum für die Com-
mun von der größten Bedeutung ist, und namentlich wenn er
den entsprechenden Grundbesitz erworben hat, auch thätig in
das öffentliche Wesen eingreifen kann, falls hier nicht eine
veraltete Verfassung engherzige Beschränkungen macht. Die-
sem Theile der Bevölkerung sehr nahe stehen die Kaufleute,
welche bei dem größeren Handelsverkehr betheiligt sind, und
ihre Geschäfte nicht auf die Stadt und deren nächste Umge-
bung beschränken. Die Handwerker dagegen sind theils durch
die Einführung der Gewerbefreiheit unter das gemeine Recht
der Gegenwart gestellt, welche die freie Concurrenz der Arbeit
will; oder wo sie noch ihre alten Privilegien zum großen
Nachtheile des Gemeinwesens bewahrt haben, da sehen sie
sich vielfach von der Fabrikation überflügelt oder abhängig ge-
macht, und in dieser liegt jedenfalls eine Bestimmung, welche
über die früher hergebrachten Grenzen des bürgerlichen Gewer-
bes hinausragt. Zu diesem Allen kommt nun noch der Um-
stand hinzu, daß die verschiedenen Bestandtheile der Bevölke-
rung im Staate immer mehr zusammen fließen, und daß na-
mentlich die scharfe Grenze zwischen Stadt und Land immer-
mehr verwischt wird. Es giebt einmal eine große Anzahl klei-
nerer Landstädte, in denen der Ackerbau überwiegt, und ein
dürftiges Gewerbewesen nur die wenig lohnende Nebenbeschäf-

Siebentes Kapitel.
ihrer Bedeutung verloren, und werden es immer mehr thun.
Steht aber auch jetzt noch die Stadtgemeinde in einer bevor-
zugten Haltung da, ſo iſt es doch nicht gerade der Buͤrgerſtand
im engeren Sinne, der ſich darin ausſchließlich vertreten ſieht.
Denn die Staͤdte umſchließen jetzt mehr wie je eine ſehr ge-
miſchte Bevoͤlkerung, von der ein bedeutender Theil ohne alle
Beziehung zum ſtaͤdtiſchen Gewerbe ſteht, waͤhrend er doch ge-
rade durch Intelligenz, Bildung und Reichthum fuͤr die Com-
mun von der groͤßten Bedeutung iſt, und namentlich wenn er
den entſprechenden Grundbeſitz erworben hat, auch thaͤtig in
das oͤffentliche Weſen eingreifen kann, falls hier nicht eine
veraltete Verfaſſung engherzige Beſchraͤnkungen macht. Die-
ſem Theile der Bevoͤlkerung ſehr nahe ſtehen die Kaufleute,
welche bei dem groͤßeren Handelsverkehr betheiligt ſind, und
ihre Geſchaͤfte nicht auf die Stadt und deren naͤchſte Umge-
bung beſchraͤnken. Die Handwerker dagegen ſind theils durch
die Einfuͤhrung der Gewerbefreiheit unter das gemeine Recht
der Gegenwart geſtellt, welche die freie Concurrenz der Arbeit
will; oder wo ſie noch ihre alten Privilegien zum großen
Nachtheile des Gemeinweſens bewahrt haben, da ſehen ſie
ſich vielfach von der Fabrikation uͤberfluͤgelt oder abhaͤngig ge-
macht, und in dieſer liegt jedenfalls eine Beſtimmung, welche
uͤber die fruͤher hergebrachten Grenzen des buͤrgerlichen Gewer-
bes hinausragt. Zu dieſem Allen kommt nun noch der Um-
ſtand hinzu, daß die verſchiedenen Beſtandtheile der Bevoͤlke-
rung im Staate immer mehr zuſammen fließen, und daß na-
mentlich die ſcharfe Grenze zwiſchen Stadt und Land immer-
mehr verwiſcht wird. Es giebt einmal eine große Anzahl klei-
nerer Landſtaͤdte, in denen der Ackerbau uͤberwiegt, und ein
duͤrftiges Gewerbeweſen nur die wenig lohnende Nebenbeſchaͤf-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0232" n="220"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Siebentes Kapitel</hi>.</fw><lb/>
ihrer Bedeutung verloren, und werden es immer mehr thun.<lb/>
Steht aber auch jetzt noch die Stadtgemeinde in einer bevor-<lb/>
zugten Haltung da, &#x017F;o i&#x017F;t es doch nicht gerade der Bu&#x0364;rger&#x017F;tand<lb/>
im engeren Sinne, der &#x017F;ich darin aus&#x017F;chließlich vertreten &#x017F;ieht.<lb/>
Denn die Sta&#x0364;dte um&#x017F;chließen jetzt mehr wie je eine &#x017F;ehr ge-<lb/>
mi&#x017F;chte Bevo&#x0364;lkerung, von der ein bedeutender Theil ohne alle<lb/>
Beziehung zum &#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;chen Gewerbe &#x017F;teht, wa&#x0364;hrend er doch ge-<lb/>
rade durch Intelligenz, Bildung und Reichthum fu&#x0364;r die Com-<lb/>
mun von der gro&#x0364;ßten Bedeutung i&#x017F;t, und namentlich wenn er<lb/>
den ent&#x017F;prechenden Grundbe&#x017F;itz erworben hat, auch tha&#x0364;tig in<lb/>
das o&#x0364;ffentliche We&#x017F;en eingreifen kann, falls hier nicht eine<lb/>
veraltete Verfa&#x017F;&#x017F;ung engherzige Be&#x017F;chra&#x0364;nkungen macht. Die-<lb/>
&#x017F;em Theile der Bevo&#x0364;lkerung &#x017F;ehr nahe &#x017F;tehen die Kaufleute,<lb/>
welche bei dem gro&#x0364;ßeren Handelsverkehr betheiligt &#x017F;ind, und<lb/>
ihre Ge&#x017F;cha&#x0364;fte nicht auf die Stadt und deren na&#x0364;ch&#x017F;te Umge-<lb/>
bung be&#x017F;chra&#x0364;nken. Die Handwerker dagegen &#x017F;ind theils durch<lb/>
die Einfu&#x0364;hrung der Gewerbefreiheit unter das gemeine Recht<lb/>
der Gegenwart ge&#x017F;tellt, welche die freie Concurrenz der Arbeit<lb/>
will; oder wo &#x017F;ie noch ihre alten Privilegien zum großen<lb/>
Nachtheile des Gemeinwe&#x017F;ens bewahrt haben, da &#x017F;ehen &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich vielfach von der Fabrikation u&#x0364;berflu&#x0364;gelt oder abha&#x0364;ngig ge-<lb/>
macht, und in die&#x017F;er liegt jedenfalls eine Be&#x017F;timmung, welche<lb/>
u&#x0364;ber die fru&#x0364;her hergebrachten Grenzen des bu&#x0364;rgerlichen Gewer-<lb/>
bes hinausragt. Zu die&#x017F;em Allen kommt nun noch der Um-<lb/>
&#x017F;tand hinzu, daß die ver&#x017F;chiedenen Be&#x017F;tandtheile der Bevo&#x0364;lke-<lb/>
rung im Staate immer mehr zu&#x017F;ammen fließen, und daß na-<lb/>
mentlich die &#x017F;charfe Grenze zwi&#x017F;chen Stadt und Land immer-<lb/>
mehr verwi&#x017F;cht wird. Es giebt einmal eine große Anzahl klei-<lb/>
nerer Land&#x017F;ta&#x0364;dte, in denen der Ackerbau u&#x0364;berwiegt, und ein<lb/>
du&#x0364;rftiges Gewerbewe&#x017F;en nur die wenig lohnende Nebenbe&#x017F;cha&#x0364;f-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0232] Siebentes Kapitel. ihrer Bedeutung verloren, und werden es immer mehr thun. Steht aber auch jetzt noch die Stadtgemeinde in einer bevor- zugten Haltung da, ſo iſt es doch nicht gerade der Buͤrgerſtand im engeren Sinne, der ſich darin ausſchließlich vertreten ſieht. Denn die Staͤdte umſchließen jetzt mehr wie je eine ſehr ge- miſchte Bevoͤlkerung, von der ein bedeutender Theil ohne alle Beziehung zum ſtaͤdtiſchen Gewerbe ſteht, waͤhrend er doch ge- rade durch Intelligenz, Bildung und Reichthum fuͤr die Com- mun von der groͤßten Bedeutung iſt, und namentlich wenn er den entſprechenden Grundbeſitz erworben hat, auch thaͤtig in das oͤffentliche Weſen eingreifen kann, falls hier nicht eine veraltete Verfaſſung engherzige Beſchraͤnkungen macht. Die- ſem Theile der Bevoͤlkerung ſehr nahe ſtehen die Kaufleute, welche bei dem groͤßeren Handelsverkehr betheiligt ſind, und ihre Geſchaͤfte nicht auf die Stadt und deren naͤchſte Umge- bung beſchraͤnken. Die Handwerker dagegen ſind theils durch die Einfuͤhrung der Gewerbefreiheit unter das gemeine Recht der Gegenwart geſtellt, welche die freie Concurrenz der Arbeit will; oder wo ſie noch ihre alten Privilegien zum großen Nachtheile des Gemeinweſens bewahrt haben, da ſehen ſie ſich vielfach von der Fabrikation uͤberfluͤgelt oder abhaͤngig ge- macht, und in dieſer liegt jedenfalls eine Beſtimmung, welche uͤber die fruͤher hergebrachten Grenzen des buͤrgerlichen Gewer- bes hinausragt. Zu dieſem Allen kommt nun noch der Um- ſtand hinzu, daß die verſchiedenen Beſtandtheile der Bevoͤlke- rung im Staate immer mehr zuſammen fließen, und daß na- mentlich die ſcharfe Grenze zwiſchen Stadt und Land immer- mehr verwiſcht wird. Es giebt einmal eine große Anzahl klei- nerer Landſtaͤdte, in denen der Ackerbau uͤberwiegt, und ein duͤrftiges Gewerbeweſen nur die wenig lohnende Nebenbeſchaͤf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/232
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/232>, abgerufen am 23.11.2024.