Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Erstes Kapitel. gewährt hat. Denn es findet sich in diesem Werke nicht bloßdas particuläre Recht des sächsischen Volksstammes verzeich- net; der Inhalt desselben ist viel weiter und bedeutender. Es verhält sich nämlich damit also. Die nationale Einheit des deutschen Rechts, welche sich in allen wesentlichen Puncten schon für die ältere Zeit der noch gesonderten Stammes- verfassung nachweisen läßt, war während der Vereinigung der einzelnen Völkerschaften in der fränkischen Monarchie und später im deutschen Reich noch erhöht und verstärkt worden; denn das gemeinsame Staatsleben führte auch in anderen Be- ziehungen zur größeren Einheit zusammen. So stellt sich ein gemeines deutsches Recht, ein Kaiserrecht, dar, welches in sei- nen Grundprincipien übereinstimmend, zum Theil selbst auf Reichsgesetzen beruhend, für alle freien Reichssassen gleichmäßig zur Anwendung kam. Aber neben diesem gemeinen Land- und Lehenrechte machten sich von jeher eigenthümliche Grund- sätze des Rechts der einzelnen Stämme geltend, wodurch jenes modificirt ward und seine besondere Färbung erhielt. Der Sachsenspiegel giebt nun das gemeine Recht, wie es sich bei dem sächsischen Volksstamme besonders gestaltet hatte; seine wesentliche Grundlage war aber durchaus dem ganzen freien Volke gemeinsam, so daß er, auch abgesehen von den Lehren, welche das Reich als Gesammtheit betrafen, für die Bearbei- tung des Rechts der andern Stämme benutzt werden konnte. Man mußte dann nur das besondere sächsische Element des Rechts- buches mit dem Rechte des Stammes, dem es angeeignet wer- den sollte, vertauschen. Aus einer solchen Ueberarbeitung ist der sogenannte Schwabenspiegel hervorgegangen. Eine ähn- liche Operation war nöthig, wenn man das Landrecht, wel- ches sich zunächst auf die Verhältnisse der freien Grundbesitzer Erſtes Kapitel. gewaͤhrt hat. Denn es findet ſich in dieſem Werke nicht bloßdas particulaͤre Recht des ſaͤchſiſchen Volksſtammes verzeich- net; der Inhalt deſſelben iſt viel weiter und bedeutender. Es verhaͤlt ſich naͤmlich damit alſo. Die nationale Einheit des deutſchen Rechts, welche ſich in allen weſentlichen Puncten ſchon fuͤr die aͤltere Zeit der noch geſonderten Stammes- verfaſſung nachweiſen laͤßt, war waͤhrend der Vereinigung der einzelnen Voͤlkerſchaften in der fraͤnkiſchen Monarchie und ſpaͤter im deutſchen Reich noch erhoͤht und verſtaͤrkt worden; denn das gemeinſame Staatsleben fuͤhrte auch in anderen Be- ziehungen zur groͤßeren Einheit zuſammen. So ſtellt ſich ein gemeines deutſches Recht, ein Kaiſerrecht, dar, welches in ſei- nen Grundprincipien uͤbereinſtimmend, zum Theil ſelbſt auf Reichsgeſetzen beruhend, fuͤr alle freien Reichsſaſſen gleichmaͤßig zur Anwendung kam. Aber neben dieſem gemeinen Land- und Lehenrechte machten ſich von jeher eigenthuͤmliche Grund- ſaͤtze des Rechts der einzelnen Staͤmme geltend, wodurch jenes modificirt ward und ſeine beſondere Faͤrbung erhielt. Der Sachſenſpiegel giebt nun das gemeine Recht, wie es ſich bei dem ſaͤchſiſchen Volksſtamme beſonders geſtaltet hatte; ſeine weſentliche Grundlage war aber durchaus dem ganzen freien Volke gemeinſam, ſo daß er, auch abgeſehen von den Lehren, welche das Reich als Geſammtheit betrafen, fuͤr die Bearbei- tung des Rechts der andern Staͤmme benutzt werden konnte. Man mußte dann nur das beſondere ſaͤchſiſche Element des Rechts- buches mit dem Rechte des Stammes, dem es angeeignet wer- den ſollte, vertauſchen. Aus einer ſolchen Ueberarbeitung iſt der ſogenannte Schwabenſpiegel hervorgegangen. Eine aͤhn- liche Operation war noͤthig, wenn man das Landrecht, wel- ches ſich zunaͤchſt auf die Verhaͤltniſſe der freien Grundbeſitzer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0026" n="14"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſtes Kapitel</hi>.</fw><lb/> gewaͤhrt hat. Denn es findet ſich in dieſem Werke nicht bloß<lb/> das particulaͤre Recht des ſaͤchſiſchen Volksſtammes verzeich-<lb/> net; der Inhalt deſſelben iſt viel weiter und bedeutender. Es<lb/> verhaͤlt ſich naͤmlich damit alſo. Die nationale Einheit des<lb/> deutſchen Rechts, welche ſich in allen weſentlichen Puncten<lb/> ſchon fuͤr die aͤltere Zeit der noch geſonderten Stammes-<lb/> verfaſſung nachweiſen laͤßt, war waͤhrend der Vereinigung<lb/> der einzelnen Voͤlkerſchaften in der fraͤnkiſchen Monarchie und<lb/> ſpaͤter im deutſchen Reich noch erhoͤht und verſtaͤrkt worden;<lb/> denn das gemeinſame Staatsleben fuͤhrte auch in anderen Be-<lb/> ziehungen zur groͤßeren Einheit zuſammen. So ſtellt ſich ein<lb/> gemeines deutſches Recht, ein Kaiſerrecht, dar, welches in ſei-<lb/> nen Grundprincipien uͤbereinſtimmend, zum Theil ſelbſt auf<lb/> Reichsgeſetzen beruhend, fuͤr alle freien Reichsſaſſen gleichmaͤßig<lb/> zur Anwendung kam. Aber neben dieſem gemeinen Land-<lb/> und Lehenrechte machten ſich von jeher eigenthuͤmliche Grund-<lb/> ſaͤtze des Rechts der einzelnen Staͤmme geltend, wodurch jenes<lb/> modificirt ward und ſeine beſondere Faͤrbung erhielt. Der<lb/> Sachſenſpiegel giebt nun das gemeine Recht, wie es ſich<lb/> bei dem ſaͤchſiſchen Volksſtamme beſonders geſtaltet hatte; ſeine<lb/> weſentliche Grundlage war aber durchaus dem ganzen freien<lb/> Volke gemeinſam, ſo daß er, auch abgeſehen von den Lehren,<lb/> welche das Reich als Geſammtheit betrafen, fuͤr die Bearbei-<lb/> tung des Rechts der andern Staͤmme benutzt werden konnte.<lb/> Man mußte dann nur das beſondere ſaͤchſiſche Element des Rechts-<lb/> buches mit dem Rechte des Stammes, dem es angeeignet wer-<lb/> den ſollte, vertauſchen. Aus einer ſolchen Ueberarbeitung iſt<lb/> der ſogenannte Schwabenſpiegel hervorgegangen. Eine aͤhn-<lb/> liche Operation war noͤthig, wenn man das Landrecht, wel-<lb/> ches ſich zunaͤchſt auf die Verhaͤltniſſe der freien Grundbeſitzer<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [14/0026]
Erſtes Kapitel.
gewaͤhrt hat. Denn es findet ſich in dieſem Werke nicht bloß
das particulaͤre Recht des ſaͤchſiſchen Volksſtammes verzeich-
net; der Inhalt deſſelben iſt viel weiter und bedeutender. Es
verhaͤlt ſich naͤmlich damit alſo. Die nationale Einheit des
deutſchen Rechts, welche ſich in allen weſentlichen Puncten
ſchon fuͤr die aͤltere Zeit der noch geſonderten Stammes-
verfaſſung nachweiſen laͤßt, war waͤhrend der Vereinigung
der einzelnen Voͤlkerſchaften in der fraͤnkiſchen Monarchie und
ſpaͤter im deutſchen Reich noch erhoͤht und verſtaͤrkt worden;
denn das gemeinſame Staatsleben fuͤhrte auch in anderen Be-
ziehungen zur groͤßeren Einheit zuſammen. So ſtellt ſich ein
gemeines deutſches Recht, ein Kaiſerrecht, dar, welches in ſei-
nen Grundprincipien uͤbereinſtimmend, zum Theil ſelbſt auf
Reichsgeſetzen beruhend, fuͤr alle freien Reichsſaſſen gleichmaͤßig
zur Anwendung kam. Aber neben dieſem gemeinen Land-
und Lehenrechte machten ſich von jeher eigenthuͤmliche Grund-
ſaͤtze des Rechts der einzelnen Staͤmme geltend, wodurch jenes
modificirt ward und ſeine beſondere Faͤrbung erhielt. Der
Sachſenſpiegel giebt nun das gemeine Recht, wie es ſich
bei dem ſaͤchſiſchen Volksſtamme beſonders geſtaltet hatte; ſeine
weſentliche Grundlage war aber durchaus dem ganzen freien
Volke gemeinſam, ſo daß er, auch abgeſehen von den Lehren,
welche das Reich als Geſammtheit betrafen, fuͤr die Bearbei-
tung des Rechts der andern Staͤmme benutzt werden konnte.
Man mußte dann nur das beſondere ſaͤchſiſche Element des Rechts-
buches mit dem Rechte des Stammes, dem es angeeignet wer-
den ſollte, vertauſchen. Aus einer ſolchen Ueberarbeitung iſt
der ſogenannte Schwabenſpiegel hervorgegangen. Eine aͤhn-
liche Operation war noͤthig, wenn man das Landrecht, wel-
ches ſich zunaͤchſt auf die Verhaͤltniſſe der freien Grundbeſitzer
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |