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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Das Volksrecht und das Gerichtswesen.
daß die deutsche Gerichtsverfassung in dieser Hinsicht ihre gro-
ßen Schwächen hat. Man hat es freilich nicht an Bemü-
hungen fehlen lassen, sichere Garantien für die Unabhängigkeit
der Richter und für eine unparteiische Justiz zu begründen.
Als schon die alte volksthümliche Gerichtsverfassung gebrochen
und die Herrschaft des Juristenstandes entschieden war, zeigte
man sich doch gerade in der Aufstellung solcher Mittel sehr
thätig: die Concurrenz der Landstände bei der Besetzung der
höheren Landesgerichte, die Competenz der Reichsgerichte und
das Institut der Actenversendung sind darunter besonders her-
vorzuheben. Noch mehr aber wirkte vielleicht der eigenthüm-
liche Sinn des Juristenstandes, der, wie es häufig bei bevor-
zugten Classen der Fall ist, mit seinen Vorurtheilen und An-
maaßungen doch ein sehr ehrenhaftes Selbstgefühl und eine
hohe Meinung von der richterlichen Amtspflicht verband, und
dadurch, namentlich in den höheren Justizcollegien, angetrieben
wurde, sich eine vollkommen unabhängige Haltung zu bewah-
ren. Dessen ungeachtet aber zeigt sich, wenn man tiefer in das
Rechtsleben der letzten Jahrhunderte bildet, wie wenig oft die
Wirklichkeit den Anforderungen des positiven Rechts entsprach;
wie selbst die Reichsgerichte dem oft gegründeten Verdacht der
Parteilichkeit und einer elenden Venalität nicht entgehen konn-
ten, und wie schwach es überhaupt mit einem Rechtswesen
bestellt ist, welches ohne von dem lebendigen Geist der Frei-
heit beseelt zu seyn, sich nur in einem äußerlichen Mechanis-
mus hinschleppt. -- Mehr Beweglichkeit, Kraft und Elastici-
tät hat nun freilich, seitdem das alte Reich zu Grunde gegan-
gen ist, das Regiment in Deutschland erhalten; wie Vieles
wird jetzt auf administrativem Wege rasch abgemacht, was
früher den schwerfälligen Justizgang durchzumachen hatte. Aber

Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
daß die deutſche Gerichtsverfaſſung in dieſer Hinſicht ihre gro-
ßen Schwaͤchen hat. Man hat es freilich nicht an Bemuͤ-
hungen fehlen laſſen, ſichere Garantien fuͤr die Unabhaͤngigkeit
der Richter und fuͤr eine unparteiiſche Juſtiz zu begruͤnden.
Als ſchon die alte volksthuͤmliche Gerichtsverfaſſung gebrochen
und die Herrſchaft des Juriſtenſtandes entſchieden war, zeigte
man ſich doch gerade in der Aufſtellung ſolcher Mittel ſehr
thaͤtig: die Concurrenz der Landſtaͤnde bei der Beſetzung der
hoͤheren Landesgerichte, die Competenz der Reichsgerichte und
das Inſtitut der Actenverſendung ſind darunter beſonders her-
vorzuheben. Noch mehr aber wirkte vielleicht der eigenthuͤm-
liche Sinn des Juriſtenſtandes, der, wie es haͤufig bei bevor-
zugten Claſſen der Fall iſt, mit ſeinen Vorurtheilen und An-
maaßungen doch ein ſehr ehrenhaftes Selbſtgefuͤhl und eine
hohe Meinung von der richterlichen Amtspflicht verband, und
dadurch, namentlich in den hoͤheren Juſtizcollegien, angetrieben
wurde, ſich eine vollkommen unabhaͤngige Haltung zu bewah-
ren. Deſſen ungeachtet aber zeigt ſich, wenn man tiefer in das
Rechtsleben der letzten Jahrhunderte bildet, wie wenig oft die
Wirklichkeit den Anforderungen des poſitiven Rechts entſprach;
wie ſelbſt die Reichsgerichte dem oft gegruͤndeten Verdacht der
Parteilichkeit und einer elenden Venalitaͤt nicht entgehen konn-
ten, und wie ſchwach es uͤberhaupt mit einem Rechtsweſen
beſtellt iſt, welches ohne von dem lebendigen Geiſt der Frei-
heit beſeelt zu ſeyn, ſich nur in einem aͤußerlichen Mechanis-
mus hinſchleppt. — Mehr Beweglichkeit, Kraft und Elaſtici-
taͤt hat nun freilich, ſeitdem das alte Reich zu Grunde gegan-
gen iſt, das Regiment in Deutſchland erhalten; wie Vieles
wird jetzt auf adminiſtrativem Wege raſch abgemacht, was
fruͤher den ſchwerfaͤlligen Juſtizgang durchzumachen hatte. Aber

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[255/0267] Das Volksrecht und das Gerichtsweſen. daß die deutſche Gerichtsverfaſſung in dieſer Hinſicht ihre gro- ßen Schwaͤchen hat. Man hat es freilich nicht an Bemuͤ- hungen fehlen laſſen, ſichere Garantien fuͤr die Unabhaͤngigkeit der Richter und fuͤr eine unparteiiſche Juſtiz zu begruͤnden. Als ſchon die alte volksthuͤmliche Gerichtsverfaſſung gebrochen und die Herrſchaft des Juriſtenſtandes entſchieden war, zeigte man ſich doch gerade in der Aufſtellung ſolcher Mittel ſehr thaͤtig: die Concurrenz der Landſtaͤnde bei der Beſetzung der hoͤheren Landesgerichte, die Competenz der Reichsgerichte und das Inſtitut der Actenverſendung ſind darunter beſonders her- vorzuheben. Noch mehr aber wirkte vielleicht der eigenthuͤm- liche Sinn des Juriſtenſtandes, der, wie es haͤufig bei bevor- zugten Claſſen der Fall iſt, mit ſeinen Vorurtheilen und An- maaßungen doch ein ſehr ehrenhaftes Selbſtgefuͤhl und eine hohe Meinung von der richterlichen Amtspflicht verband, und dadurch, namentlich in den hoͤheren Juſtizcollegien, angetrieben wurde, ſich eine vollkommen unabhaͤngige Haltung zu bewah- ren. Deſſen ungeachtet aber zeigt ſich, wenn man tiefer in das Rechtsleben der letzten Jahrhunderte bildet, wie wenig oft die Wirklichkeit den Anforderungen des poſitiven Rechts entſprach; wie ſelbſt die Reichsgerichte dem oft gegruͤndeten Verdacht der Parteilichkeit und einer elenden Venalitaͤt nicht entgehen konn- ten, und wie ſchwach es uͤberhaupt mit einem Rechtsweſen beſtellt iſt, welches ohne von dem lebendigen Geiſt der Frei- heit beſeelt zu ſeyn, ſich nur in einem aͤußerlichen Mechanis- mus hinſchleppt. — Mehr Beweglichkeit, Kraft und Elaſtici- taͤt hat nun freilich, ſeitdem das alte Reich zu Grunde gegan- gen iſt, das Regiment in Deutſchland erhalten; wie Vieles wird jetzt auf adminiſtrativem Wege raſch abgemacht, was fruͤher den ſchwerfaͤlligen Juſtizgang durchzumachen hatte. Aber

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/267>, abgerufen am 22.11.2024.