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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Neuntes Kapitel.
so nothwendig und heilsam das in mancher Beziehung seyn
mag, -- für die Unabhängigkeit der Richtergewalt liegt darin
auch eine gefährliche Klippe. Denn weil sowohl die Admini-
stration wie die Justiz gleichmäßig von Beamten und zwar
von Juristen besorgt zu werden pflegt, so theilt sich leicht die
mehr polizeiliche Behandlung der Geschäfte und eine gewisse
diplomatische Betrachtungsweise der Rechtspflege mit, selbst
wenn sie formell in besonderen Behörden getrennt organisirt
ist. Dazu kommt, daß nur noch in wenigen Ländern eine
Concurrenz der Landstände bei der Besetzung der Richterstellen
statt findet; daß die Reichsgerichte ganz und die Competenz
der Juristenfacultäten als Spruchcollegien so gut wie ganz
beseitigt sind. Dafür finden sich freilich wieder andere Ga-
rantien: die Bundesversammlung nimmt Beschwerden wegen
Cabinetsjustiz an, und die Unabsetzbarkeit der Richter, außer
durch Urtheil und Recht, kann als ein Princip des gemeinen
deutschen Staatsrechts angesehen werden. Aber der Begriff
der Cabinetsjustiz ist in der Praxis ein sehr schwankender ge-
worden, und an dem Princip der Unabsetzbarkeit der Richter
ist schon hie und da gerüttelt. Auch ist es nicht bloß die of-
fene Gewalt, welche die Unabhängigkeit in Gefahr bringt; es
giebt auch formell untadelige Mittel der Einschüchterung und
Verführung, gegen welche nur eine nicht gewöhnliche Charak-
terfestigkeit sich gehörig zu schützen weiß. In Civilsachen wird
freilich eine Regierung es nicht leicht der Mühe werth halten,
die Unabhängigkeit der Richter auf die Probe zu stellen; aber
in Criminalsachen und namentlich in politischen Processen liegt
die Versuchung doch nahe, einen höheren Einfluß geltend zu
machen, der in den Zeiten heftiger Parteikämpfe und großer
Bewegung vielleicht selbst dem sonst gewissenhaften Staats-

Neuntes Kapitel.
ſo nothwendig und heilſam das in mancher Beziehung ſeyn
mag, — fuͤr die Unabhaͤngigkeit der Richtergewalt liegt darin
auch eine gefaͤhrliche Klippe. Denn weil ſowohl die Admini-
ſtration wie die Juſtiz gleichmaͤßig von Beamten und zwar
von Juriſten beſorgt zu werden pflegt, ſo theilt ſich leicht die
mehr polizeiliche Behandlung der Geſchaͤfte und eine gewiſſe
diplomatiſche Betrachtungsweiſe der Rechtspflege mit, ſelbſt
wenn ſie formell in beſonderen Behoͤrden getrennt organiſirt
iſt. Dazu kommt, daß nur noch in wenigen Laͤndern eine
Concurrenz der Landſtaͤnde bei der Beſetzung der Richterſtellen
ſtatt findet; daß die Reichsgerichte ganz und die Competenz
der Juriſtenfacultaͤten als Spruchcollegien ſo gut wie ganz
beſeitigt ſind. Dafuͤr finden ſich freilich wieder andere Ga-
rantien: die Bundesverſammlung nimmt Beſchwerden wegen
Cabinetsjuſtiz an, und die Unabſetzbarkeit der Richter, außer
durch Urtheil und Recht, kann als ein Princip des gemeinen
deutſchen Staatsrechts angeſehen werden. Aber der Begriff
der Cabinetsjuſtiz iſt in der Praxis ein ſehr ſchwankender ge-
worden, und an dem Princip der Unabſetzbarkeit der Richter
iſt ſchon hie und da geruͤttelt. Auch iſt es nicht bloß die of-
fene Gewalt, welche die Unabhaͤngigkeit in Gefahr bringt; es
giebt auch formell untadelige Mittel der Einſchuͤchterung und
Verfuͤhrung, gegen welche nur eine nicht gewoͤhnliche Charak-
terfeſtigkeit ſich gehoͤrig zu ſchuͤtzen weiß. In Civilſachen wird
freilich eine Regierung es nicht leicht der Muͤhe werth halten,
die Unabhaͤngigkeit der Richter auf die Probe zu ſtellen; aber
in Criminalſachen und namentlich in politiſchen Proceſſen liegt
die Verſuchung doch nahe, einen hoͤheren Einfluß geltend zu
machen, der in den Zeiten heftiger Parteikaͤmpfe und großer
Bewegung vielleicht ſelbſt dem ſonſt gewiſſenhaften Staats-

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[256/0268] Neuntes Kapitel. ſo nothwendig und heilſam das in mancher Beziehung ſeyn mag, — fuͤr die Unabhaͤngigkeit der Richtergewalt liegt darin auch eine gefaͤhrliche Klippe. Denn weil ſowohl die Admini- ſtration wie die Juſtiz gleichmaͤßig von Beamten und zwar von Juriſten beſorgt zu werden pflegt, ſo theilt ſich leicht die mehr polizeiliche Behandlung der Geſchaͤfte und eine gewiſſe diplomatiſche Betrachtungsweiſe der Rechtspflege mit, ſelbſt wenn ſie formell in beſonderen Behoͤrden getrennt organiſirt iſt. Dazu kommt, daß nur noch in wenigen Laͤndern eine Concurrenz der Landſtaͤnde bei der Beſetzung der Richterſtellen ſtatt findet; daß die Reichsgerichte ganz und die Competenz der Juriſtenfacultaͤten als Spruchcollegien ſo gut wie ganz beſeitigt ſind. Dafuͤr finden ſich freilich wieder andere Ga- rantien: die Bundesverſammlung nimmt Beſchwerden wegen Cabinetsjuſtiz an, und die Unabſetzbarkeit der Richter, außer durch Urtheil und Recht, kann als ein Princip des gemeinen deutſchen Staatsrechts angeſehen werden. Aber der Begriff der Cabinetsjuſtiz iſt in der Praxis ein ſehr ſchwankender ge- worden, und an dem Princip der Unabſetzbarkeit der Richter iſt ſchon hie und da geruͤttelt. Auch iſt es nicht bloß die of- fene Gewalt, welche die Unabhaͤngigkeit in Gefahr bringt; es giebt auch formell untadelige Mittel der Einſchuͤchterung und Verfuͤhrung, gegen welche nur eine nicht gewoͤhnliche Charak- terfeſtigkeit ſich gehoͤrig zu ſchuͤtzen weiß. In Civilſachen wird freilich eine Regierung es nicht leicht der Muͤhe werth halten, die Unabhaͤngigkeit der Richter auf die Probe zu ſtellen; aber in Criminalſachen und namentlich in politiſchen Proceſſen liegt die Verſuchung doch nahe, einen hoͤheren Einfluß geltend zu machen, der in den Zeiten heftiger Parteikaͤmpfe und großer Bewegung vielleicht ſelbſt dem ſonſt gewiſſenhaften Staats-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/268>, abgerufen am 22.11.2024.