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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Das Volksrecht und das Gerichtswesen.
Stütze, gegen die, wenn überhaupt ein dffentlicher Geist
im Lande ist, kein ungesetzlicher Einfluß auf die Dauer et-
was vermag. Einen merkwürdigen Beleg für diese Be-
hauptung bietet die Stellung, welche die Gerichtshöfe in
Frankreich einnehmen. Man gefällt sich von einer gewissen
Seite darin, den moralischen Verfall der französischen Nation
recht hervorzuheben, und wenn es dabei auch nicht an augen-
scheinlichen Uebertreibungen fehlt, so kann die Thatsache doch
nicht in Abrede gestellt werden, daß wenigstens in gewissen
Classen Ostentation, Genußsucht und überhaupt ein gottloses,
egoistisches Treiben auf eine traurige Weise überhand genom-
men haben. Aber die Rechtspflege ist von diesem bösen We-
sen unberührt geblieben; die Gerichtshöfe stehen rein und ma-
kellos da, und in dem von Parteiungen zerrissenen Lande ha-
ben sie sich einen unangetasteten Ruf und das volle Vertrauen
der Volkes erhalten. Mögen auch manche Umstände zusam-
men kommen, um dieses glänzende Resultat hervorzurufen, und
ist selbst der tradionell fortgepflanzte Unabhängigkeitssinn der
alten Parlamente nicht ohne Einfluß darauf, -- der Haupt-
grund, worauf diese Erscheinung in ihrer Dauer beruht, ist
doch ohne Zweifel in der Oeffentlichkeit des gerichtlichen Ver-
fahrens zu suchen.

2. Bei dem schriftlichen Verfahren ist ein schneller Pro-
ceßgang nicht möglich. Das ergiebt sich schon aus formellen
Gründen, und die Erfahrung der deutschen Gerichte, welche
mit Rückständen überhäuft zu seyn pflegen, und deren Lang-
samkeit sprichwörtlich geworden ist, bezeugt es. Nun sind wir
freilich überhaupt kein feuriges und rasches Volk; aber um so
mehr ist es eben nöthig, daß wir durch die Form nicht noch
mehr zurückgehalten werden. Von welcher Bedeutung aber

Beseler, Volksrecht. 19

Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
Stuͤtze, gegen die, wenn uͤberhaupt ein dffentlicher Geiſt
im Lande iſt, kein ungeſetzlicher Einfluß auf die Dauer et-
was vermag. Einen merkwuͤrdigen Beleg fuͤr dieſe Be-
hauptung bietet die Stellung, welche die Gerichtshoͤfe in
Frankreich einnehmen. Man gefaͤllt ſich von einer gewiſſen
Seite darin, den moraliſchen Verfall der franzoͤſiſchen Nation
recht hervorzuheben, und wenn es dabei auch nicht an augen-
ſcheinlichen Uebertreibungen fehlt, ſo kann die Thatſache doch
nicht in Abrede geſtellt werden, daß wenigſtens in gewiſſen
Claſſen Oſtentation, Genußſucht und uͤberhaupt ein gottloſes,
egoiſtiſches Treiben auf eine traurige Weiſe uͤberhand genom-
men haben. Aber die Rechtspflege iſt von dieſem boͤſen We-
ſen unberuͤhrt geblieben; die Gerichtshoͤfe ſtehen rein und ma-
kellos da, und in dem von Parteiungen zerriſſenen Lande ha-
ben ſie ſich einen unangetaſteten Ruf und das volle Vertrauen
der Volkes erhalten. Moͤgen auch manche Umſtaͤnde zuſam-
men kommen, um dieſes glaͤnzende Reſultat hervorzurufen, und
iſt ſelbſt der tradionell fortgepflanzte Unabhaͤngigkeitsſinn der
alten Parlamente nicht ohne Einfluß darauf, — der Haupt-
grund, worauf dieſe Erſcheinung in ihrer Dauer beruht, iſt
doch ohne Zweifel in der Oeffentlichkeit des gerichtlichen Ver-
fahrens zu ſuchen.

2. Bei dem ſchriftlichen Verfahren iſt ein ſchneller Pro-
ceßgang nicht moͤglich. Das ergiebt ſich ſchon aus formellen
Gruͤnden, und die Erfahrung der deutſchen Gerichte, welche
mit Ruͤckſtaͤnden uͤberhaͤuft zu ſeyn pflegen, und deren Lang-
ſamkeit ſprichwoͤrtlich geworden iſt, bezeugt es. Nun ſind wir
freilich uͤberhaupt kein feuriges und raſches Volk; aber um ſo
mehr iſt es eben noͤthig, daß wir durch die Form nicht noch
mehr zuruͤckgehalten werden. Von welcher Bedeutung aber

Beſeler, Volksrecht. 19
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[289/0301] Das Volksrecht und das Gerichtsweſen. Stuͤtze, gegen die, wenn uͤberhaupt ein dffentlicher Geiſt im Lande iſt, kein ungeſetzlicher Einfluß auf die Dauer et- was vermag. Einen merkwuͤrdigen Beleg fuͤr dieſe Be- hauptung bietet die Stellung, welche die Gerichtshoͤfe in Frankreich einnehmen. Man gefaͤllt ſich von einer gewiſſen Seite darin, den moraliſchen Verfall der franzoͤſiſchen Nation recht hervorzuheben, und wenn es dabei auch nicht an augen- ſcheinlichen Uebertreibungen fehlt, ſo kann die Thatſache doch nicht in Abrede geſtellt werden, daß wenigſtens in gewiſſen Claſſen Oſtentation, Genußſucht und uͤberhaupt ein gottloſes, egoiſtiſches Treiben auf eine traurige Weiſe uͤberhand genom- men haben. Aber die Rechtspflege iſt von dieſem boͤſen We- ſen unberuͤhrt geblieben; die Gerichtshoͤfe ſtehen rein und ma- kellos da, und in dem von Parteiungen zerriſſenen Lande ha- ben ſie ſich einen unangetaſteten Ruf und das volle Vertrauen der Volkes erhalten. Moͤgen auch manche Umſtaͤnde zuſam- men kommen, um dieſes glaͤnzende Reſultat hervorzurufen, und iſt ſelbſt der tradionell fortgepflanzte Unabhaͤngigkeitsſinn der alten Parlamente nicht ohne Einfluß darauf, — der Haupt- grund, worauf dieſe Erſcheinung in ihrer Dauer beruht, iſt doch ohne Zweifel in der Oeffentlichkeit des gerichtlichen Ver- fahrens zu ſuchen. 2. Bei dem ſchriftlichen Verfahren iſt ein ſchneller Pro- ceßgang nicht moͤglich. Das ergiebt ſich ſchon aus formellen Gruͤnden, und die Erfahrung der deutſchen Gerichte, welche mit Ruͤckſtaͤnden uͤberhaͤuft zu ſeyn pflegen, und deren Lang- ſamkeit ſprichwoͤrtlich geworden iſt, bezeugt es. Nun ſind wir freilich uͤberhaupt kein feuriges und raſches Volk; aber um ſo mehr iſt es eben noͤthig, daß wir durch die Form nicht noch mehr zuruͤckgehalten werden. Von welcher Bedeutung aber Beſeler, Volksrecht. 19

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/301>, abgerufen am 22.11.2024.