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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Methode des Juristenrechts.
umgekehrt das Wort in seiner engeren Bedeutung genommen
fast nur für eine historische oder philosophische Behandlung
des Rechts paßte. Allein jene weitere Auffassung scheint die
richtigere und auch insofern angemessener zu seyn, als dadurch
der Ansicht, daß die Rechtswissenschaft ein selbständiges, vom
Leben unabhängiges Ziel in sich trage, bestimmt entgegen ge-
treten wird. Damit soll aber natürlich nicht gesagt seyn, daß
die historische Forschung und die Philosophie für das Juristen-
recht keine Bedeutung haben; denn da es einen Theil des po-
sitiven Rechts bildet, so bietet es der wissenschaftlichen Behand-
lung alle Seiten dar, welche nur an diesem überhaupt zu
finden sind.

2. Verschieden nun von der Theorie ist diejenige Thä-
tigkeit der Juristen, welche in der Anwendung des Rechts auf
einzelne Rechtsverhältnisse und Geschäfte besteht, und also zu-
nächst die Erledigung eines bestimmten practischen Falls zu
ihrer Aufgabe hat. Der Umstand, daß sich auch in dieser
Hinsicht der Einfluß der Juristen zu einer fast ausschließlichen
Herrschaft erhoben hat, ist gerade die Veranlassung gewesen,
daß sie ihre theoretischen Ueberzeugungen in das Rechtsleben
einführen und zur positiven Geltung bringen konnten. Jene
practische Thätigkeit zeigt sich nun vor Allem als die Rechts-
anwendung in den Gerichten, hauptsächlich natürlich in den
richterlichen Urtheilen, aber auch in den Vorträgen der Advo-
caten und in den ausgestellten Gutachten, welche, wenn sie
von angesehenen Juristen ausgingen, oft von großem Einfluß
auf die Rechtsbildung geworden sind. Man thut daher jeden-
falls Unrecht, wenn man sich die juristische Praxis allein in
der richterlichen Amtsführung concentrirt denkt; noch größer
aber ist der Irrthum, wenn man annimmt, daß das Juristen-

Methode des Juriſtenrechts.
umgekehrt das Wort in ſeiner engeren Bedeutung genommen
faſt nur fuͤr eine hiſtoriſche oder philoſophiſche Behandlung
des Rechts paßte. Allein jene weitere Auffaſſung ſcheint die
richtigere und auch inſofern angemeſſener zu ſeyn, als dadurch
der Anſicht, daß die Rechtswiſſenſchaft ein ſelbſtaͤndiges, vom
Leben unabhaͤngiges Ziel in ſich trage, beſtimmt entgegen ge-
treten wird. Damit ſoll aber natuͤrlich nicht geſagt ſeyn, daß
die hiſtoriſche Forſchung und die Philoſophie fuͤr das Juriſten-
recht keine Bedeutung haben; denn da es einen Theil des po-
ſitiven Rechts bildet, ſo bietet es der wiſſenſchaftlichen Behand-
lung alle Seiten dar, welche nur an dieſem uͤberhaupt zu
finden ſind.

2. Verſchieden nun von der Theorie iſt diejenige Thaͤ-
tigkeit der Juriſten, welche in der Anwendung des Rechts auf
einzelne Rechtsverhaͤltniſſe und Geſchaͤfte beſteht, und alſo zu-
naͤchſt die Erledigung eines beſtimmten practiſchen Falls zu
ihrer Aufgabe hat. Der Umſtand, daß ſich auch in dieſer
Hinſicht der Einfluß der Juriſten zu einer faſt ausſchließlichen
Herrſchaft erhoben hat, iſt gerade die Veranlaſſung geweſen,
daß ſie ihre theoretiſchen Ueberzeugungen in das Rechtsleben
einfuͤhren und zur poſitiven Geltung bringen konnten. Jene
practiſche Thaͤtigkeit zeigt ſich nun vor Allem als die Rechts-
anwendung in den Gerichten, hauptſaͤchlich natuͤrlich in den
richterlichen Urtheilen, aber auch in den Vortraͤgen der Advo-
caten und in den ausgeſtellten Gutachten, welche, wenn ſie
von angeſehenen Juriſten ausgingen, oft von großem Einfluß
auf die Rechtsbildung geworden ſind. Man thut daher jeden-
falls Unrecht, wenn man ſich die juriſtiſche Praxis allein in
der richterlichen Amtsfuͤhrung concentrirt denkt; noch groͤßer
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[309/0321] Methode des Juriſtenrechts. umgekehrt das Wort in ſeiner engeren Bedeutung genommen faſt nur fuͤr eine hiſtoriſche oder philoſophiſche Behandlung des Rechts paßte. Allein jene weitere Auffaſſung ſcheint die richtigere und auch inſofern angemeſſener zu ſeyn, als dadurch der Anſicht, daß die Rechtswiſſenſchaft ein ſelbſtaͤndiges, vom Leben unabhaͤngiges Ziel in ſich trage, beſtimmt entgegen ge- treten wird. Damit ſoll aber natuͤrlich nicht geſagt ſeyn, daß die hiſtoriſche Forſchung und die Philoſophie fuͤr das Juriſten- recht keine Bedeutung haben; denn da es einen Theil des po- ſitiven Rechts bildet, ſo bietet es der wiſſenſchaftlichen Behand- lung alle Seiten dar, welche nur an dieſem uͤberhaupt zu finden ſind. 2. Verſchieden nun von der Theorie iſt diejenige Thaͤ- tigkeit der Juriſten, welche in der Anwendung des Rechts auf einzelne Rechtsverhaͤltniſſe und Geſchaͤfte beſteht, und alſo zu- naͤchſt die Erledigung eines beſtimmten practiſchen Falls zu ihrer Aufgabe hat. Der Umſtand, daß ſich auch in dieſer Hinſicht der Einfluß der Juriſten zu einer faſt ausſchließlichen Herrſchaft erhoben hat, iſt gerade die Veranlaſſung geweſen, daß ſie ihre theoretiſchen Ueberzeugungen in das Rechtsleben einfuͤhren und zur poſitiven Geltung bringen konnten. Jene practiſche Thaͤtigkeit zeigt ſich nun vor Allem als die Rechts- anwendung in den Gerichten, hauptſaͤchlich natuͤrlich in den richterlichen Urtheilen, aber auch in den Vortraͤgen der Advo- caten und in den ausgeſtellten Gutachten, welche, wenn ſie von angeſehenen Juriſten ausgingen, oft von großem Einfluß auf die Rechtsbildung geworden ſind. Man thut daher jeden- falls Unrecht, wenn man ſich die juriſtiſche Praxis allein in der richterlichen Amtsfuͤhrung concentrirt denkt; noch groͤßer aber iſt der Irrthum, wenn man annimmt, daß das Juriſten-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/321>, abgerufen am 24.11.2024.