Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Historische Einleitung. Unternehmen, wie jene Glossirung, später von mehren Perso-nen fortgesetzt werden konnte, darf billig nicht Wunder neh- men, wenn man nur erwägt, daß die Gründe, welche die erste Veranlassung dazu gaben, auch später noch wirksam wa- ren, ja bei dem größeren Andringen des römischen Rechts noch verstärkt wurden, und daß überhaupt manche literärische Ar- beiten des späteren Mittelalters bei einer kritischen Betrachtung als rein unsinnig erscheinen. Ob noch speciell die besonderen Verhältnisse der Mark, in welcher das römische Recht früher als in manchen andern Gegenden zur Geltung kam, auf die Beschaffenheit jener Glossen einen bestimmten Einfluß ausge- übt haben, wage ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls irrt Eichhorn ganz entschieden, wenn er aus diesen fortgesetzten Versuchen, den Sachsenspiegel aus dem fremden Rechte zu er- klären, den Schluß zieht, daß das Verständniß des einheimi- schen Rechts sich während des 15. Jahrhunderts allmälig ver- loren habe. Dafür spricht außerdem keine einzige Thatsache, während umgekehrt aus den früher schon angeführten Grün- den das Gegentheil bestimmt hervorgeht. Gerade bei den sächsischen Schöffen hat sich, ungeachtet jener Glossen, noch ins 16. Jahrhundert hinein eine umfassende und lebendige Kunde des einheimischen Rechts erhalten. Wir haben aus der ersten Hälfte des genannten Jahrhunderts eine Samm- lung sächsischer Schöffenurtheile (abgedruckt im Anhange zu Zobel's Ausgabe des sächsischen Weichbildes), welche deutsch- rechtliche Institute der verschiedensten Art mit der größten Si- cherheit behandeln, und selbst da, wo einzelne römischrechtliche Grundsätze angewandt werden, wie bei der Verjährung und bei den Kaufverträgen, dieß mit entschiedener Klarheit und Mäßigung thun. Woher kämen auch wohl die Klagen der Beseler, Volksrecht. 3
Hiſtoriſche Einleitung. Unternehmen, wie jene Gloſſirung, ſpaͤter von mehren Perſo-nen fortgeſetzt werden konnte, darf billig nicht Wunder neh- men, wenn man nur erwaͤgt, daß die Gruͤnde, welche die erſte Veranlaſſung dazu gaben, auch ſpaͤter noch wirkſam wa- ren, ja bei dem groͤßeren Andringen des roͤmiſchen Rechts noch verſtaͤrkt wurden, und daß uͤberhaupt manche literaͤriſche Ar- beiten des ſpaͤteren Mittelalters bei einer kritiſchen Betrachtung als rein unſinnig erſcheinen. Ob noch ſpeciell die beſonderen Verhaͤltniſſe der Mark, in welcher das roͤmiſche Recht fruͤher als in manchen andern Gegenden zur Geltung kam, auf die Beſchaffenheit jener Gloſſen einen beſtimmten Einfluß ausge- uͤbt haben, wage ich nicht zu entſcheiden. Jedenfalls irrt Eichhorn ganz entſchieden, wenn er aus dieſen fortgeſetzten Verſuchen, den Sachſenſpiegel aus dem fremden Rechte zu er- klaͤren, den Schluß zieht, daß das Verſtaͤndniß des einheimi- ſchen Rechts ſich waͤhrend des 15. Jahrhunderts allmaͤlig ver- loren habe. Dafuͤr ſpricht außerdem keine einzige Thatſache, waͤhrend umgekehrt aus den fruͤher ſchon angefuͤhrten Gruͤn- den das Gegentheil beſtimmt hervorgeht. Gerade bei den ſaͤchſiſchen Schoͤffen hat ſich, ungeachtet jener Gloſſen, noch ins 16. Jahrhundert hinein eine umfaſſende und lebendige Kunde des einheimiſchen Rechts erhalten. Wir haben aus der erſten Haͤlfte des genannten Jahrhunderts eine Samm- lung ſaͤchſiſcher Schoͤffenurtheile (abgedruckt im Anhange zu Zobel’s Ausgabe des ſaͤchſiſchen Weichbildes), welche deutſch- rechtliche Inſtitute der verſchiedenſten Art mit der groͤßten Si- cherheit behandeln, und ſelbſt da, wo einzelne roͤmiſchrechtliche Grundſaͤtze angewandt werden, wie bei der Verjaͤhrung und bei den Kaufvertraͤgen, dieß mit entſchiedener Klarheit und Maͤßigung thun. Woher kaͤmen auch wohl die Klagen der Beſeler, Volksrecht. 3
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Hiſtoriſche Einleitung.
Unternehmen, wie jene Gloſſirung, ſpaͤter von mehren Perſo-
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men, wenn man nur erwaͤgt, daß die Gruͤnde, welche die
erſte Veranlaſſung dazu gaben, auch ſpaͤter noch wirkſam wa-
ren, ja bei dem groͤßeren Andringen des roͤmiſchen Rechts noch
verſtaͤrkt wurden, und daß uͤberhaupt manche literaͤriſche Ar-
beiten des ſpaͤteren Mittelalters bei einer kritiſchen Betrachtung
als rein unſinnig erſcheinen. Ob noch ſpeciell die beſonderen
Verhaͤltniſſe der Mark, in welcher das roͤmiſche Recht fruͤher
als in manchen andern Gegenden zur Geltung kam, auf die
Beſchaffenheit jener Gloſſen einen beſtimmten Einfluß ausge-
uͤbt haben, wage ich nicht zu entſcheiden. Jedenfalls irrt
Eichhorn ganz entſchieden, wenn er aus dieſen fortgeſetzten
Verſuchen, den Sachſenſpiegel aus dem fremden Rechte zu er-
klaͤren, den Schluß zieht, daß das Verſtaͤndniß des einheimi-
ſchen Rechts ſich waͤhrend des 15. Jahrhunderts allmaͤlig ver-
loren habe. Dafuͤr ſpricht außerdem keine einzige Thatſache,
waͤhrend umgekehrt aus den fruͤher ſchon angefuͤhrten Gruͤn-
den das Gegentheil beſtimmt hervorgeht. Gerade bei den
ſaͤchſiſchen Schoͤffen hat ſich, ungeachtet jener Gloſſen, noch
ins 16. Jahrhundert hinein eine umfaſſende und lebendige
Kunde des einheimiſchen Rechts erhalten. Wir haben aus
der erſten Haͤlfte des genannten Jahrhunderts eine Samm-
lung ſaͤchſiſcher Schoͤffenurtheile (abgedruckt im Anhange zu
Zobel’s Ausgabe des ſaͤchſiſchen Weichbildes), welche deutſch-
rechtliche Inſtitute der verſchiedenſten Art mit der groͤßten Si-
cherheit behandeln, und ſelbſt da, wo einzelne roͤmiſchrechtliche
Grundſaͤtze angewandt werden, wie bei der Verjaͤhrung und
bei den Kaufvertraͤgen, dieß mit entſchiedener Klarheit und
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