Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_110.001 Sprich, wie geschiehts, daß, rastlos erneut, die Bildungen schwanken, p1b_110.002 p1b_110.003Und die Ruhe besteht in der bewegten Gestalt? Vers 20Jeder, ein Herrscher, frei, nur dem eigenen Herzen gehorchet p1b_110.004 p1b_110.008Und im eilenden Lauf findet die einzige Bahn? p1b_110.005 Willst du es wissen? Es ist des Wohllauts mächtige Gottheit, p1b_110.006 Die zum geselligen Tanz ordnet den tobenden Sprung, p1b_110.007 Die, der Nemesis gleich, an des Rhythmus goldenem Zügel Vers 25 Lenkt die brausende Lust und die verwilderte zähmt. p1b_110.009 p1b_110.013Und dir rauschen umsonst die Harmonieen des Weltalls? p1b_110.010 Dich ergreift nicht der Strom dieses erhabnen Gesangs? p1b_110.011 Nicht der begeisternde Takt, den alle Wesen dir schlagen? p1b_110.012 Nicht der wirbelnde Tanz, der durch den ewigen Raum Vers 30Leuchtende Sonnen schwingt in kühn gewundenen Bahnen? p1b_110.014 Das du im Spiele doch ehrst, fliehst du im Handeln, das Maß. p1b_110.015 p1b_110.030 p1b_110.031 p1b_110.033 p1b_110.001 Sprich, wie geschiehts, daß, rastlos erneut, die Bildungen schwanken, p1b_110.002 p1b_110.003Und die Ruhe besteht in der bewegten Gestalt? Vers 20Jeder, ein Herrscher, frei, nur dem eigenen Herzen gehorchet p1b_110.004 p1b_110.008Und im eilenden Lauf findet die einzige Bahn? p1b_110.005 Willst du es wissen? Es ist des Wohllauts mächtige Gottheit, p1b_110.006 Die zum geselligen Tanz ordnet den tobenden Sprung, p1b_110.007 Die, der Nemesis gleich, an des Rhythmus goldenem Zügel Vers 25 Lenkt die brausende Lust und die verwilderte zähmt. p1b_110.009 p1b_110.013Und dir rauschen umsonst die Harmonieen des Weltalls? p1b_110.010 Dich ergreift nicht der Strom dieses erhabnen Gesangs? p1b_110.011 Nicht der begeisternde Takt, den alle Wesen dir schlagen? p1b_110.012 Nicht der wirbelnde Tanz, der durch den ewigen Raum Vers 30Leuchtende Sonnen schwingt in kühn gewundenen Bahnen? p1b_110.014 Das du im Spiele doch ehrst, fliehst du im Handeln, das Maß. p1b_110.015 p1b_110.030 p1b_110.031 p1b_110.033 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0144" n="110"/> <lb n="p1b_110.001"/> <lg> <l>Sprich, wie geschiehts, daß, rastlos erneut, die Bildungen schwanken,</l> <lb n="p1b_110.002"/> <l> Und die Ruhe besteht in der bewegten Gestalt?</l> </lg> <lb n="p1b_110.003"/> <lg> <l n="20">Jeder, ein Herrscher, frei, nur dem eigenen Herzen gehorchet</l> <lb n="p1b_110.004"/> <l> Und im eilenden Lauf findet die einzige Bahn?</l> <lb n="p1b_110.005"/> <l>Willst du es wissen? 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Jn den Bildern, durch die eingangs der Tanz geschildert <lb n="p1b_110.018"/> wird, glaubt man das leichte, fröhliche Schweben ätherischer Gestalten <lb n="p1b_110.019"/> wahrzunehmen, und die anmutige Bewegung des Verses kommt dieser Täuschung <lb n="p1b_110.020"/> zu Hilfe. Jndem nun (v. 9─18) die Verwandlung der Ordnung in eine <lb n="p1b_110.021"/> scheinbare Verwirrung und die Rückkehr zur Ordnung geschildert wird, vollendet <lb n="p1b_110.022"/> der Dichter die Beschreibung des in das Licht eines interessanten Rätsels gestellten <lb n="p1b_110.023"/> Tanzes. Vers 23 f. giebt die Auflösung dieses Rätsels. Von hier <lb n="p1b_110.024"/> aus reißt uns der Dichter zu einer kühnen und geistreichen Anwendung fort. <lb n="p1b_110.025"/> Jn einer Erscheinung spiegelt sich die ganze moralische Welt, das unendliche All. <lb n="p1b_110.026"/> So glaubten wir uns an einem Spiel zu erfreuen und sehen uns auf einmal <lb n="p1b_110.027"/> durch eine dieses Spiel an die Welt knüpfende Gesetzmäßigkeit überrascht. <hi rendition="#g">Die <lb n="p1b_110.028"/> Einheit in der Mannigfaltigkeit ist von Anfang zu Ende gewahrt, <lb n="p1b_110.029"/> ebenso ist der Symmetrie</hi> vollste Rechnung getragen.)</p> </div> <div n="4"> <p><lb n="p1b_110.030"/> 5. Neuheit.</p> <p><lb n="p1b_110.031"/> Die Neuheit fordert ebenso nie Gesagtes und nie Gehörtes im <lb n="p1b_110.032"/> Stoff, als neue originelle Darstellung oder neue Form.</p> <p><lb n="p1b_110.033"/> Die Anwendung des Sonetts für politische Gegenstände durch Fr. Rückert <lb n="p1b_110.034"/> war für kriegerischen Jnhalt ungewöhnlich. Überraschend war die den Stil bestimmende <lb n="p1b_110.035"/> Neuheit der <hi rendition="#g">Stoffe</hi> bei Rückert und Freiligrath. <hi rendition="#g">Neu</hi> war die <lb n="p1b_110.036"/> Anwendung der deutschen Accentgesetze in den Dichtungen Simrocks, Heines, <lb n="p1b_110.037"/> W. Jordans, Rückerts, Geibels &c., welche dem Stil eine charakteristisch deutsche <lb n="p1b_110.038"/> Färbung verlieh. Eine neue Form war's, unter welcher Wilhelm Tell bei Schiller <lb n="p1b_110.039"/> erscheint im Gegensatz zur Form bei Florian von Johannes Müller u. A. Neu <lb n="p1b_110.040"/> sind viele Bilder und Worte unserer besseren Dichter. (Vgl. hierzu § 27.) <lb n="p1b_110.041"/> Freilich verlangt die Neuheit nicht, daß das vorhandene Gute auf die Seite <lb n="p1b_110.042"/> geschoben werde. Der Dichter soll nur das Gleichschöne oder das Nochschönere <lb n="p1b_110.043"/> erstreben und in der Anwendung des Vorhandenen die Nachäffung und die <lb n="p1b_110.044"/> Manier vermeiden. Dies ist besonders vom sprachlichen Ausdruck zu verstehen.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0144]
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Sprich, wie geschiehts, daß, rastlos erneut, die Bildungen schwanken, p1b_110.002
Und die Ruhe besteht in der bewegten Gestalt?
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Jeder, ein Herrscher, frei, nur dem eigenen Herzen gehorchet p1b_110.004
Und im eilenden Lauf findet die einzige Bahn? p1b_110.005
Willst du es wissen? Es ist des Wohllauts mächtige Gottheit, p1b_110.006
Die zum geselligen Tanz ordnet den tobenden Sprung, p1b_110.007
Die, der Nemesis gleich, an des Rhythmus goldenem Zügel
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Lenkt die brausende Lust und die verwilderte zähmt. p1b_110.009
Und dir rauschen umsonst die Harmonieen des Weltalls? p1b_110.010
Dich ergreift nicht der Strom dieses erhabnen Gesangs? p1b_110.011
Nicht der begeisternde Takt, den alle Wesen dir schlagen? p1b_110.012
Nicht der wirbelnde Tanz, der durch den ewigen Raum
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Leuchtende Sonnen schwingt in kühn gewundenen Bahnen? p1b_110.014
Das du im Spiele doch ehrst, fliehst du im Handeln, das Maß.
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(Praktischer Nachweis der Beziehungen des vorstehenden p1b_110.016
Gedichts. Jn demselben werden die Gesetze der Kunst in idealer Beschreibung p1b_110.017
des Tanzes aufgestellt. Jn den Bildern, durch die eingangs der Tanz geschildert p1b_110.018
wird, glaubt man das leichte, fröhliche Schweben ätherischer Gestalten p1b_110.019
wahrzunehmen, und die anmutige Bewegung des Verses kommt dieser Täuschung p1b_110.020
zu Hilfe. Jndem nun (v. 9─18) die Verwandlung der Ordnung in eine p1b_110.021
scheinbare Verwirrung und die Rückkehr zur Ordnung geschildert wird, vollendet p1b_110.022
der Dichter die Beschreibung des in das Licht eines interessanten Rätsels gestellten p1b_110.023
Tanzes. Vers 23 f. giebt die Auflösung dieses Rätsels. Von hier p1b_110.024
aus reißt uns der Dichter zu einer kühnen und geistreichen Anwendung fort. p1b_110.025
Jn einer Erscheinung spiegelt sich die ganze moralische Welt, das unendliche All. p1b_110.026
So glaubten wir uns an einem Spiel zu erfreuen und sehen uns auf einmal p1b_110.027
durch eine dieses Spiel an die Welt knüpfende Gesetzmäßigkeit überrascht. Die p1b_110.028
Einheit in der Mannigfaltigkeit ist von Anfang zu Ende gewahrt, p1b_110.029
ebenso ist der Symmetrie vollste Rechnung getragen.)
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5. Neuheit.
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Die Neuheit fordert ebenso nie Gesagtes und nie Gehörtes im p1b_110.032
Stoff, als neue originelle Darstellung oder neue Form.
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Die Anwendung des Sonetts für politische Gegenstände durch Fr. Rückert p1b_110.034
war für kriegerischen Jnhalt ungewöhnlich. Überraschend war die den Stil bestimmende p1b_110.035
Neuheit der Stoffe bei Rückert und Freiligrath. Neu war die p1b_110.036
Anwendung der deutschen Accentgesetze in den Dichtungen Simrocks, Heines, p1b_110.037
W. Jordans, Rückerts, Geibels &c., welche dem Stil eine charakteristisch deutsche p1b_110.038
Färbung verlieh. Eine neue Form war's, unter welcher Wilhelm Tell bei Schiller p1b_110.039
erscheint im Gegensatz zur Form bei Florian von Johannes Müller u. A. Neu p1b_110.040
sind viele Bilder und Worte unserer besseren Dichter. (Vgl. hierzu § 27.) p1b_110.041
Freilich verlangt die Neuheit nicht, daß das vorhandene Gute auf die Seite p1b_110.042
geschoben werde. Der Dichter soll nur das Gleichschöne oder das Nochschönere p1b_110.043
erstreben und in der Anwendung des Vorhandenen die Nachäffung und die p1b_110.044
Manier vermeiden. Dies ist besonders vom sprachlichen Ausdruck zu verstehen.
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