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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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der Völker gewesen. Man gelangte in vorgeschichtlicher Zeit durch p1b_170.002
Personifikationen von Naturerscheinungen und Kräften und deren Wirkungen p1b_170.003
bis zur Bildung von Göttern. Wer erinnerte sich nicht aus der Jliade, wie p1b_170.004
dort der Kampf zweier Völker nicht bloß auf der Erde, sondern in idealisierter p1b_170.005
Gestalt im Himmel geführt wird! - Als das Heer der Achäer von der Pest p1b_170.006
heimgesucht wird, da weiß dieses Homer nicht besser zu erklären, als durch die p1b_170.007
fernhin treffenden Pfeile Apolls. - Als der Held Achilles das Totenfeuer p1b_170.008
für den erschlagenen Freund Patroklus angezündet hatte und dasselbe nicht p1b_170.009
brennen wollte, da weiß er sich keinen bessern Rat als den, daß er die Windgeister p1b_170.010
oder Windgötter ruft, die nun in der That das Feuer anfachen. - p1b_170.011
Die Vermenschlichung Gottes, (die wir als Anthropomorphismus und Anthropopathismus p1b_170.012
bezeichnen, und die bereits in der Mitte des 6. Jahrhunderts der p1b_170.013
Urheber der eleatischen philosophischen Richtung Xenophanes ebenso beleuchtete, p1b_170.014
als in neuester Zeit Ludwig Feuerbach,) ist weiter nichts als Personifikation.

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Durch Personifikation sind alle Gestalten des Aberglaubens, der Mythologie, p1b_170.017
alle Götterdarstellungen, sowie auch alle allegorischen und symbolischen p1b_170.018
Gestalten der Kunst entstanden. Die materialistische Auffassung möchte selbst p1b_170.019
den unsterblichen Menschengeist als Personifikation erscheinen lassen: als die p1b_170.020
Personifikation des Denkprozesses.

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Jn ihrer kindlichsten und naivsten Gestalt, aber auch zugleich in erhabener p1b_170.022
poetischer Verklärung tritt die Personifikation bei Homer auf. So p1b_170.023
lange sie durch die Macht des Glaubens, oder durch die Kraft des Dichters p1b_170.024
belebt wird, ist sie herrlich und ergreifend. Gegen Pallas Athene ist der p1b_170.025
moderne, abstrakte Weisheitsbegriff ein Schatten, - und Thor mit dem p1b_170.026
zündenden Blitzhammer überragt den maßlosen Gewitterbegriff. Diese Gottheiten p1b_170.027
- wie auch der großartige Naturmythus der ganzen nordischen Mythologie p1b_170.028
- sind aus dem poetischen Volksgeiste erblüht. Uns ist leider nur der p1b_170.029
nackte, der Personifikation bare Begriff übrig geblieben, der uns weder logisch p1b_170.030
zu befriedigen, noch poetisch zu erwärmen vermag, - ein Mangel, der u. A. p1b_170.031
Schiller zu seinem berühmten Gedichte "Die Götter Griechenlands" Veranlassung p1b_170.032
bot, in welchem er als Dichter der antiken Weltanschauung den Vorzug vor p1b_170.033
der modernen einräumt.

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Diese Höhen füllten Oreaden, p1b_170.035
Eine Dryas lebt' in jenem Baum, p1b_170.036
Aus den Urnen lieblicher Najaden p1b_170.037
Sprang der Ströme Silberschaum.

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Rückerts Gedichte: Wischnu auf der Schlange, Die gefallenen Engel, p1b_170.039
Minerva und Vulkan, Griechische Tageszeiten sind nicht als Allegorien, p1b_170.040
wohl aber als mythologische Personifikationen aufzufassen. Jn Hebels "Wiese" p1b_170.041
ist der Rhein als Jüngling, die Wiese als Jungfrau aufgefaßt. Jn Tiecks p1b_170.042
"Zerbino" redet der Vogelsang und die Blume. Jn Rückerts "Napoleon" p1b_170.043
der Ruhm. Jn Lenaus "Himmelstrauer" wandelt ein Gedanke am Himmelsantlitz p1b_170.044
u. A. m. Walther von der Vogelweide redet den Almosenstock an:

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/204>, abgerufen am 21.11.2024.