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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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Wenn das Betonungsgesetz anderer Sprachen ein mehr oder weniger p1b_224.002
gezügeltes Eilen zum Ende der Wörter ist, so ist dagegen die deutsche p1b_224.003
Betonung
in jener Zeit ein Herabsteigen, eine gemäßigte Entwickelung p1b_224.004
zum festen Anfang.
Die Betonung der ersten Silbe p1b_224.005
jedes Wortes (der Stammsilbe) bleibt Regel in sämtlichen deutschen Sprachen, p1b_224.006
obwohl wir sie bereits erschüttert finden, wo wir die Betonung zuerst kennen p1b_224.007
lernen. Althochdeutsche Wörter, die mit den Partikeln ir, int, zi (bei Otfried) p1b_224.008
zusammengesetzt sind, haben den Hauptaccent ohne Ausnahme nicht auf der p1b_224.009
voranstehenden Partikel. Lachmann meint, es war eben das Gefühl für die p1b_224.010
Quantität nicht stark genug, um zu gestatten, daß diese Vorsilben durch nachfolgende p1b_224.011
Konsonanten verlängert eine Hebung und Senkung füllen.

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Die regelmäßigen Abweichungen von dem Hauptgesetze der deutschen p1b_224.013
Accentuation jener Zeit, daß die erste Silbe des Worts den Ton habe, beschränken p1b_224.014
sich auf wenige Zusammensetzungen und Präpositionen. Nachlässigkeit p1b_224.015
und Verwilderung schien es, daß diese Tonverschiebung auch einzeln in andere p1b_224.016
Zusammensetzungen eindrang; ebensowenig durchgeführt findet sie Lachmann in p1b_224.017
dem Fall der Enklisis zweisilbiger Personalpronomina: "Fremde Wörter, zumal p1b_224.018
Namen, bequemen sich nicht immer der deutschen Accentregel." Lachmann sagt p1b_224.019
gegen den Schluß seiner Abhandlung (S. 265): "Jn der Accentlehre anderer p1b_224.020
Sprachen pflegt man, so weit nur die einzelnen Wörter für sich zu betrachten p1b_224.021
sind, sich mit der Bestimmung des Hochtons zu begnügen. Von Beachtung des p1b_224.022
Nebenaccents werden sich bei den alten Grammatikern wenig Spuren finden, p1b_224.023
wie die Bemerkung des Nigidius Figulus, daß in dem Vokativ, der später zu p1b_224.024
Gallus Zeit Valeri gesprochen ward, der Accent von der ersten Silbe stufenweise p1b_224.025
herabsteige, also Valeri, nicht so wie wir die dritte über die zweite erhebend p1b_224.026
aussprechen, Valerie. Etwas freier gebaute italienische Verse, wie die p1b_224.027
des Pulci, scheinen oft einer der notwendigen Cäsuren zu entbehren, wenn p1b_224.028
man nicht auf den Nebenaccent achtet, wodurch die italienischen Grammatiker p1b_224.029
sich mehr auf diesen Punkt leiten lassen mußten. Jm Deutschen ist man darauf p1b_224.030
jederzeit aufmerksam gewesen, und seit dem 17. Jahrh. mußte man es, p1b_224.031
weil nicht der gewöhnlichste Vers ohne Beachtung des Tieftons der p1b_224.032
dreisilbigen Wörter
zu Stande gebracht werden konnte. Bei der Nachahmung p1b_224.033
antiker Maße ward das Ohr noch dafür geschärft, und J. H. Voß hat p1b_224.034
die Lehre ziemlich bis in's Feinste vollendet. Nur das abweichende Gesetz der p1b_224.035
alt- und mittelhochdeutschen Betonung der Nebensilben, (das zuerst aus den p1b_224.036
mittelhochdeutschen Reimen entdeckt wurde) war noch zu finden. Aus den p1b_224.037
weniger mannigfaltigen Otfried'schen Reimen wäre vielleicht die richtige p1b_224.038
Lehre schwerer abzuleiten gewesen: einmal erkannt, fand sie sich auch p1b_224.039
in diesen leicht wieder.
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Wenn das Betonungsgesetz anderer Sprachen ein mehr oder weniger p1b_224.002
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/258>, abgerufen am 21.11.2024.