Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_279.001 Die Knospe träumte vom Sonnenschein, p1b_279.006 Vom Rauschen der Blätter im grünen Hain, p1b_279.007 Von der Quelle melodischem Wogenfall, p1b_279.008 Von süßen Tönen der Nachtigall, p1b_279.009 Und von den Lüften, die kosen und schaukeln, p1b_279.010 Und von den Düften, die schmeicheln und gaukeln. p1b_279.011 Und als die Knospe zur Ros' erwacht, p1b_279.012 Da hat sie mild durch Thränen gelacht p1b_279.013 Und hat geschaut und hat gelauscht, p1b_279.014 Wie's leuchtet und klingt, wie's duftet und rauscht. p1b_279.015 Als all ihr Träumen nun wurde wahr, p1b_279.016 Da hat sie vor süßem Staunen gebebt p1b_279.017 Und leis geflüstert: Jst mir's doch gar, p1b_279.018 Als hätt' ich das Alles schon einmal erlebt. p1b_279.019 p1b_279.026 Tausend, aber tausend Stimmen p1b_279.028 Hör' ich durch die Lüfte schwimmen, p1b_279.029 Wie sie wogen, wie sie schwellen! p1b_279.030 Mich umgeben ihre Wellen, p1b_279.031 Die sich fanden, die sich einen, p1b_279.032 Sie, die ewig schönen, reinen &c. p1b_279.033 Der Jambe: p1b_279.038Wie rasche Pfeile sandte mich Archilochos, p1b_279.039
Vermischt mit fremden Zeilen, doch im reinsten Maß, p1b_279.040 Jm Rhythmenwechsel meldend seines Mutes Sturm. p1b_279.041 Hoch trat und fest auf dein Kothurngang, Äschylos; p1b_279.042 Großartgen Nachdruck schafften Doppellängen mir, p1b_279.043 Samt angeschwellten Wörterpomps Erhöhungen. p1b_279.044 Frohlicheren Festklang lehrte mich Aristophanes p1b_279.045 Labyrinthischeren: die verlarvte Schar anführend ihm, p1b_279.046 Hin gaukl' ich zierlich in der beflügelten Füßchen Eil. p1b_279.001 Die Knospe träumte vom Sonnenschein, p1b_279.006 Vom Rauschen der Blätter im grünen Hain, p1b_279.007 Von der Quelle melodischem Wogenfall, p1b_279.008 Von süßen Tönen der Nachtigall, p1b_279.009 Und von den Lüften, die kosen und schaukeln, p1b_279.010 Und von den Düften, die schmeicheln und gaukeln. p1b_279.011 Und als die Knospe zur Ros' erwacht, p1b_279.012 Da hat sie mild durch Thränen gelacht p1b_279.013 Und hat geschaut und hat gelauscht, p1b_279.014 Wie's leuchtet und klingt, wie's duftet und rauscht. p1b_279.015 Als all ihr Träumen nun wurde wahr, p1b_279.016 Da hat sie vor süßem Staunen gebebt p1b_279.017 Und leis geflüstert: Jst mir's doch gar, p1b_279.018 Als hätt' ich das Alles schon einmal erlebt. p1b_279.019 p1b_279.026 Tausend, aber tausend Stimmen p1b_279.028 Hör' ich durch die Lüfte schwimmen, p1b_279.029 Wie sie wogen, wie sie schwellen! p1b_279.030 Mich umgeben ihre Wellen, p1b_279.031 Die sich fanden, die sich einen, p1b_279.032 Sie, die ewig schönen, reinen &c. p1b_279.033 Der Jambe: p1b_279.038Wie rasche Pfeile sandte mich Archilochos, p1b_279.039
Vermischt mit fremden Zeilen, doch im reinsten Maß, p1b_279.040 Jm Rhythmenwechsel meldend seines Mutes Sturm. p1b_279.041 Hoch trat und fest auf dein Kothurngang, Äschylos; p1b_279.042 Großartgen Nachdruck schafften Doppellängen mir, p1b_279.043 Samt angeschwellten Wörterpomps Erhöhungen. p1b_279.044 Frȫhlicheren Fēstklang lēhrte mīch Aristōphanes p1b_279.045 Labyrinthischeren: die verlarvte Schar anführend ihm, p1b_279.046 Hin gaukl' ich zierlich in der beflügelten Füßchen Eil. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0313" n="279"/><lb n="p1b_279.001"/> welche Beweglichkeit, die endlich zum ruhigen Jambenfluß beim Schauen und <lb n="p1b_279.002"/> Lauschen der 9. Verszeile zurückkehrt, um wieder zu der erschauten Bewegung <lb n="p1b_279.003"/> der Anapäste zu eilen. Der Reim ohne Rhythmus konnte diese Gewalt nimmermehr <lb n="p1b_279.004"/> erringen.</p> <lb n="p1b_279.005"/> <lg> <l>Die Knospe träumte vom Sonnenschein,</l> <lb n="p1b_279.006"/> <l>Vom Rauschen der Blätter im grünen Hain,</l> <lb n="p1b_279.007"/> <l>Von der Quelle melodischem Wogenfall,</l> <lb n="p1b_279.008"/> <l>Von süßen Tönen der Nachtigall,</l> <lb n="p1b_279.009"/> <l>Und von den Lüften, die kosen und schaukeln,</l> <lb n="p1b_279.010"/> <l>Und von den Düften, die schmeicheln und gaukeln.</l> <lb n="p1b_279.011"/> <l>Und als die Knospe zur Ros' erwacht,</l> <lb n="p1b_279.012"/> <l>Da hat sie mild durch Thränen gelacht</l> <lb n="p1b_279.013"/> <l>Und hat geschaut und hat gelauscht,</l> <lb n="p1b_279.014"/> <l>Wie's leuchtet und klingt, wie's duftet und rauscht.</l> <lb n="p1b_279.015"/> <l>Als all ihr Träumen nun wurde wahr,</l> <lb n="p1b_279.016"/> <l>Da hat sie vor süßem Staunen gebebt</l> <lb n="p1b_279.017"/> <l>Und leis geflüstert: Jst mir's doch gar,</l> <lb n="p1b_279.018"/> <l>Als hätt' ich das Alles schon einmal erlebt.</l> </lg> <p><lb n="p1b_279.019"/> Durch die verständnisvolle Aufeinanderfolge der Rhythmen und tönender <lb n="p1b_279.020"/> Wörter, die entweder selbst bedeutungsvoll sind oder doch als Pronomina auf <lb n="p1b_279.021"/> ein bedeutendes Wort zurückweisen, wird Anschauung und Gefühl genötigt, <lb n="p1b_279.022"/> beim Einzelnen länger zu verweilen. Die schroffen Übergänge in ihrer Härte <lb n="p1b_279.023"/> von einer Vorstellung zur andern schwächen sich ab, eine Vorstellung leitet zur <lb n="p1b_279.024"/> andern über, das Gefühl wiegt sich wie auf leisen Wellen von Stimmung zu <lb n="p1b_279.025"/> Stimmung, das ganze wird Melodie.</p> <p><lb n="p1b_279.026"/> Wir geben nur noch wenige Proben. Zunächst aus der Goetheschen Lyrik:</p> <lb n="p1b_279.027"/> <lg> <l>Tausend, aber tausend Stimmen</l> <lb n="p1b_279.028"/> <l>Hör' ich durch die Lüfte schwimmen,</l> <lb n="p1b_279.029"/> <l>Wie sie wogen, wie sie schwellen!</l> <lb n="p1b_279.030"/> <l>Mich umgeben ihre Wellen,</l> <lb n="p1b_279.031"/> <l>Die sich fanden, die sich einen,</l> <lb n="p1b_279.032"/> <l>Sie, die ewig schönen, reinen &c.</l> </lg> <p><lb n="p1b_279.033"/> Recht anschaulich wirkt die freundliche Malerei A. W. Schlegels, indem <lb n="p1b_279.034"/> er schildert, wie reine <hi rendition="#g">Jamben</hi> bei Archilochos, Spondeen besonders bei <lb n="p1b_279.035"/> Äschylos und die Auflösung in Doppellängen bei Aristophanes stattgefunden <lb n="p1b_279.036"/> haben:</p> <lb n="p1b_279.037"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Der Jambe:</hi> </hi> </p> <lb n="p1b_279.038"/> <lg> <l>Wie rasche Pfeile sandte mich <hi rendition="#g">Archilochos,</hi></l> <lb n="p1b_279.039"/> <l>Vermischt mit fremden Zeilen, doch im reinsten Maß,</l> <lb n="p1b_279.040"/> <l>Jm Rhythmenwechsel meldend seines Mutes Sturm.</l> <lb n="p1b_279.041"/> <l>Hoch trat und fest auf dein Kothurngang, Äschylos;</l> <lb n="p1b_279.042"/> <l>Großartgen Nachdruck schafften Doppellängen mir,</l> <lb n="p1b_279.043"/> <l>Samt angeschwellten Wörterpomps Erhöhungen.</l> <lb n="p1b_279.044"/> <l>Frȫhlicheren Fēstklang lēhrte mīch Aristōphanes</l> <lb n="p1b_279.045"/> <l>Labyrinthischeren: die verlarvte Schar anführend ihm,</l> <lb n="p1b_279.046"/> <l>Hin gaukl' ich zierlich in der beflügelten Füßchen Eil.</l> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [279/0313]
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welche Beweglichkeit, die endlich zum ruhigen Jambenfluß beim Schauen und p1b_279.002
Lauschen der 9. Verszeile zurückkehrt, um wieder zu der erschauten Bewegung p1b_279.003
der Anapäste zu eilen. Der Reim ohne Rhythmus konnte diese Gewalt nimmermehr p1b_279.004
erringen.
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Die Knospe träumte vom Sonnenschein, p1b_279.006
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Durch die verständnisvolle Aufeinanderfolge der Rhythmen und tönender p1b_279.020
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ein bedeutendes Wort zurückweisen, wird Anschauung und Gefühl genötigt, p1b_279.022
beim Einzelnen länger zu verweilen. Die schroffen Übergänge in ihrer Härte p1b_279.023
von einer Vorstellung zur andern schwächen sich ab, eine Vorstellung leitet zur p1b_279.024
andern über, das Gefühl wiegt sich wie auf leisen Wellen von Stimmung zu p1b_279.025
Stimmung, das ganze wird Melodie.
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Wir geben nur noch wenige Proben. Zunächst aus der Goetheschen Lyrik:
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Tausend, aber tausend Stimmen p1b_279.028
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Sie, die ewig schönen, reinen &c.
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Recht anschaulich wirkt die freundliche Malerei A. W. Schlegels, indem p1b_279.034
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Labyrinthischeren: die verlarvte Schar anführend ihm, p1b_279.046
Hin gaukl' ich zierlich in der beflügelten Füßchen Eil.
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