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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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7. Wenn auch die meisten älteren Allitterationsverse vier Hebungen hatten, p1b_403.002
so hat man sich doch an diese metrische Form nicht gebunden. Nach Lachmann p1b_403.003
(Abhandl. d. Berl. Ac. 1833) war man geneigt, eine solche metrische p1b_403.004
Gliederung namentlich im Hildebrandslied anzunehmen, bis Vetter in seiner p1b_403.005
dankenswerten Arbeit (zum Muspilli und zur germanischen Allitterationspoesie, p1b_403.006
Wien 1872) das Gegenteil nachwies. Jordan hat die Gliederung mit 4 Hebungen p1b_403.007
in seinem Nibelunge zum Gesetz erhoben.

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§ 129. Die Allitteration als Schönheitsmittel wie als p1b_403.009
lautmalende Figur.

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1. Die Allitteration hat in ästhetischer Beziehung großen Zauber, p1b_403.011
ja, eine unwiderstehliche Gewalt.

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2. Jhre Wirkung ist der Wirkung der Musik vergleichbar.

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3. Sie wurde mit Erfolg zur Lautmalerei verwandt.

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4. Es tritt die Aufforderung an uns heran, unser teilweise p1b_403.015
abgehärtetes Ohr für Wahrnehmung der Feinheiten der früher so p1b_403.016
wirkungsvollen Allitteration neu zu bilden.

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1. Jeder musikalische Stab ist nach Jordan gewissermaßen eine freundliche p1b_403.018
Luftfigur, deren mehrmalige, in rhythmischen Pausen erfolgende Wiederkehr p1b_403.019
eine unbeschreibliche musikalische Wirkung übt und das Wohlgefallen des Ohres p1b_403.020
in ähnlicher Weise erweckt wie die gleichen Schwingungszeiten und Wellenbreiten p1b_403.021
des reinen Tones. Die unwiderstehliche Gewalt des Stabreims beruht darin p1b_403.022
(Jordan a. a. O. 39 u. 41), "daß seine sinnlich wahrnehmbaren Harmonien zugleich p1b_403.023
Harmonien der Wortseelen sind, weil die verwandten Wortseelen sich verkörpert p1b_403.024
haben zur im eigentlichen Sinn ähnlichen, d. i. dieselben Ahnen verratenden p1b_403.025
Kopfbildung gleichen Anlauts, weil daher Sinn und Musik des p1b_403.026
Anlauts auf das Vollkommenste passend einander anerschaffen sind kraft einer p1b_403.027
uranfänglichen, aus entlegenen Jahrtausenden ererbten und dennoch in unserer p1b_403.028
wunderbaren Sprache wie in keiner zweiten schöpferisch lebendig gebliebenen p1b_403.029
Symbolik der Laute. Der Stabreim vermählt die Worte nach ihren Markknochen, p1b_403.030
nach den Hirnschalen, die den seelischen Nerven einschließen. So p1b_403.031
bietet er als geheimnisvoll anregende Nebengabe einen Hinweis auf die Blutsverwandtschaft p1b_403.032
der Wortstämme, auf die tiefe Symbolik der Sprache und läßt p1b_403.033
uns Blicke thun in deren ferne Jugend."

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2. Das bereits im Kapitel über Lautmalerei (§ 28) Entwickelte läßt p1b_403.035
bezüglich der einzelnen Konsonanten und Vokale verstehen, wie die Stabmusik p1b_403.036
der Empfindung angepaßt werden kann, welche der Jnhalt hervorrufen soll. p1b_403.037
Bei verständnisvoll gebildeten Allitterationen umstrickt süße Musik das Ohr, p1b_403.038
z. B. in folgendem Wartburgspruche (aus Gottfr. v. Straßburg Tristan und Jsolt):

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Wem nie von Liebe Leid geschah, p1b_403.040
Geschah von Lieb auch Liebe nie.

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/437>, abgerufen am 22.11.2024.