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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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dieses zweigliedrigen Gleichklangs der Parallelismus der Gedanken bei uns weit p1b_013.002
vorherrschender ist, als bei den Alten. (Die hebräische Poesie kannte kaum p1b_013.003
eine rhythmische Gliederung der poetischen Rede, wohl aber den auf Tautologien p1b_013.004
und Antithesen beruhenden Parallelismus der Gedanken. Den Reim übt p1b_013.005
sie nur als Wortspiel. Vgl. hiefür Gesenius-Rödigers hebr. Grammatik § 15.)

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Poesie (lat. poesis, franz. poesie, engl. poetry) stammt vom griechischen p1b_013.007
poiesis == Bilden, Schaffen des Dichters, ferner Dichtwerk, Dichtkunst. Daher p1b_013.008
Poet, Poetin == Dichter, Dichterin. Poeta laureatus == lorbeergekrönter p1b_013.009
Dichter. Poetaster == schlechter Dichter. Poeterei bei Opitz soviel als Poetik, p1b_013.010
sonst auch Fertigkeit im Versebilden.

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§ 8. Die Schwesterkünste der Poesie im Verhältnis p1b_013.012
zur Poesie.

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Mit der Baukunst hat die Poesie architektonische Gliederung gemein, p1b_013.014
(man spricht von Bau und Architektonik der Dichtungen), mit der p1b_013.015
Skulptur festumgrenzte plastische Gestalten (Homers poetische Gestalten p1b_013.016
nennt Schlegel Skulpturbilder), mit der Malerei aber farbenvolle p1b_013.017
Behandlung des gesammten Stoffes und Beachtung des anschaulichen p1b_013.018
Prinzips; endlich mit der Musik, die wie die Poesie dem Gefühle sinnlichen p1b_013.019
Ausdruck verleiht, rhythmische Bewegung und Wohlklang. Nach p1b_013.020
diesem ist die Poesie der Malerei und der Tonkunst am nächsten verwandt.

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Was zunächst die Musik anbetrifft, so ist zwar der Zauber und der Reichtum p1b_013.022
der Töne für des Dichters Absicht und Zweck nicht da; aber ihm tönt p1b_013.023
musikalisch die Anmut der Form, der Wohlklang des Reims, die bestimmte p1b_013.024
Abwechslung betonter und unbetonter Silben, die Mannigfaltigkeit des symmetrischen p1b_013.025
Accents, der Artikulation, der Modulation, der taktmäßige Rhythmus. p1b_013.026
Wenn sich die Musik mit der Dichtkunst verbindet, wie das z. B. beim p1b_013.027
Gesang der Fall ist, erreicht sie durch unendliche Steigerung und Modulation p1b_013.028
die größte Wirkung; durch Töne erhöht sich die Macht der dichterischen Worte, p1b_013.029
durch Töne erhält die dichterische Empfindung einen kräftigeren, herzinnigeren p1b_013.030
Ausdruck. Ein Lied, ein Hymnus zwar bedarf scheinbar keiner Musik; aber p1b_013.031
doch ist die Musik nur für denjenigen unnötig, der beim Lesen in seinem p1b_013.032
Jnnern die Musik der Worte ertönen hört, der sich seine eigene Melodie macht, p1b_013.033
ohne es zu beabsichtigen. Für die Übrigen ist die Musik etwas recht Wesentliches, p1b_013.034
- ein Mittel des verstärkten Ausdrucks.

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Eine noch höhere, den Eindruck vermehrende Aufgabe hat die Malerei, p1b_013.036
wenn sie sich mit der Poesie vermählt. Sie macht den Gegenstand so anschaulich=plastisch, p1b_013.037
daß er unserer Jllusion in einem Grade nahegebracht wird, p1b_013.038
dessen nur das materielle Gemälde fähig ist, oder aber auch, dessen das p1b_013.039
materielle Gemälde nicht fähig ist.

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Als selbständige Kunst stellt sich nämlich die räumliche Malerei der zeitlichen p1b_013.041
Dichtkunst insofern entgegen, als sie eben nicht im Stande ist, das Nacheinander

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vorherrschender ist, als bei den Alten. (Die hebräische Poesie kannte kaum p1b_013.003
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sie nur als Wortspiel. Vgl. hiefür Gesenius-Rödigers hebr. Grammatik § 15.)

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§ 8. Die Schwesterkünste der Poesie im Verhältnis p1b_013.012
zur Poesie.

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Mit der Baukunst hat die Poesie architektonische Gliederung gemein, p1b_013.014
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diesem ist die Poesie der Malerei und der Tonkunst am nächsten verwandt.

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[13/0047] p1b_013.001 dieses zweigliedrigen Gleichklangs der Parallelismus der Gedanken bei uns weit p1b_013.002 vorherrschender ist, als bei den Alten. (Die hebräische Poesie kannte kaum p1b_013.003 eine rhythmische Gliederung der poetischen Rede, wohl aber den auf Tautologien p1b_013.004 und Antithesen beruhenden Parallelismus der Gedanken. Den Reim übt p1b_013.005 sie nur als Wortspiel. Vgl. hiefür Gesenius-Rödigers hebr. Grammatik § 15.) p1b_013.006 Poesie (lat. poësis, franz. poésie, engl. poetry) stammt vom griechischen p1b_013.007 ποίησις == Bilden, Schaffen des Dichters, ferner Dichtwerk, Dichtkunst. Daher p1b_013.008 Poet, Poetin == Dichter, Dichterin. Poeta laureatus == lorbeergekrönter p1b_013.009 Dichter. Poetaster == schlechter Dichter. Poeterei bei Opitz soviel als Poetik, p1b_013.010 sonst auch Fertigkeit im Versebilden. p1b_013.011 § 8. Die Schwesterkünste der Poesie im Verhältnis p1b_013.012 zur Poesie. p1b_013.013 Mit der Baukunst hat die Poesie architektonische Gliederung gemein, p1b_013.014 (man spricht von Bau und Architektonik der Dichtungen), mit der p1b_013.015 Skulptur festumgrenzte plastische Gestalten (Homers poetische Gestalten p1b_013.016 nennt Schlegel Skulpturbilder), mit der Malerei aber farbenvolle p1b_013.017 Behandlung des gesammten Stoffes und Beachtung des anschaulichen p1b_013.018 Prinzips; endlich mit der Musik, die wie die Poesie dem Gefühle sinnlichen p1b_013.019 Ausdruck verleiht, rhythmische Bewegung und Wohlklang. Nach p1b_013.020 diesem ist die Poesie der Malerei und der Tonkunst am nächsten verwandt. p1b_013.021 Was zunächst die Musik anbetrifft, so ist zwar der Zauber und der Reichtum p1b_013.022 der Töne für des Dichters Absicht und Zweck nicht da; aber ihm tönt p1b_013.023 musikalisch die Anmut der Form, der Wohlklang des Reims, die bestimmte p1b_013.024 Abwechslung betonter und unbetonter Silben, die Mannigfaltigkeit des symmetrischen p1b_013.025 Accents, der Artikulation, der Modulation, der taktmäßige Rhythmus. p1b_013.026 Wenn sich die Musik mit der Dichtkunst verbindet, wie das z. B. beim p1b_013.027 Gesang der Fall ist, erreicht sie durch unendliche Steigerung und Modulation p1b_013.028 die größte Wirkung; durch Töne erhöht sich die Macht der dichterischen Worte, p1b_013.029 durch Töne erhält die dichterische Empfindung einen kräftigeren, herzinnigeren p1b_013.030 Ausdruck. Ein Lied, ein Hymnus zwar bedarf scheinbar keiner Musik; aber p1b_013.031 doch ist die Musik nur für denjenigen unnötig, der beim Lesen in seinem p1b_013.032 Jnnern die Musik der Worte ertönen hört, der sich seine eigene Melodie macht, p1b_013.033 ohne es zu beabsichtigen. Für die Übrigen ist die Musik etwas recht Wesentliches, p1b_013.034 ─ ein Mittel des verstärkten Ausdrucks. p1b_013.035 Eine noch höhere, den Eindruck vermehrende Aufgabe hat die Malerei, p1b_013.036 wenn sie sich mit der Poesie vermählt. Sie macht den Gegenstand so anschaulich=plastisch, p1b_013.037 daß er unserer Jllusion in einem Grade nahegebracht wird, p1b_013.038 dessen nur das materielle Gemälde fähig ist, oder aber auch, dessen das p1b_013.039 materielle Gemälde nicht fähig ist. p1b_013.040 Als selbständige Kunst stellt sich nämlich die räumliche Malerei der zeitlichen p1b_013.041 Dichtkunst insofern entgegen, als sie eben nicht im Stande ist, das Nacheinander

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/47>, abgerufen am 03.12.2024.