Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_482.001 a. Vor meinem Fenster dämmert p1b_482.003 p1b_482.010Das trübe Mondenlicht; p1b_482.004 Auf meinem Tischlein hämmert p1b_482.005 Die Uhr und rastet nicht. p1b_482.006 Die stille Nacht durchschallet p1b_482.007 Ein einsam hast'ger Gang, p1b_482.008 Der wiederum verhallet p1b_482.009 Die leere Straß' entlang.(Franz Kugler.) b. Und das Gesindel, husch husch husch! p1b_482.011 Kam hinten nachgeprasselt, p1b_482.012 Wie Wirbelwind am Haselbusch p1b_482.013 Durch dürre Blätter rasselt. p1b_482.014 Und weiter, weiter, hop hop hop! p1b_482.015 Ging's fort in sausendem Galopp, p1b_482.016 Daß Roß und Reiter schnoben, p1b_482.017 Und Kies und Funken stoben. p1b_482.018 p1b_482.022"Graut Liebchen auch? .. Der Mond scheint hell! p1b_482.019 Hurrah! die Toten reiten schnell! p1b_482.020 Graut Liebchen auch vor Toten?" - p1b_482.021 "O weh! Laß ruh'n die Toten!" - (Bürger, Lenore.) p1b_482.023 c. Und wie ich stieg, zog von dem Fluß der Wiesen p1b_482.027 Ein Nebel sich in Streifen sacht hervor. p1b_482.028 Er wich und wechselte mich zu umfließen, p1b_482.029 Und wuchs geflügelt mir um's Haupt empor: p1b_482.030 Des schönen Blicks sollt' ich nicht mehr genießen, p1b_482.031 Die Gegend deckte mir ein trüber Flor; p1b_482.032 Bald sah ich mich von Wolken wie umgossen, p1b_482.033 Und mit mir selbst in Dämm'rung eingeschlossen. (Goethe.) p1b_482.034 p1b_482.041 d. So hab ich wirklich dich verloren? p1b_482.043 Bist du, o Schöne! mir entflohn? p1b_482.044 Noch klingt in den gewohnten Ohren p1b_482.045 Ein jedes Wort, ein jeder Ton. p1b_482.046 p1b_482.001 a. Vor meinem Fenster dämmert p1b_482.003 p1b_482.010Das trübe Mondenlicht; p1b_482.004 Auf meinem Tischlein hämmert p1b_482.005 Die Uhr und rastet nicht. p1b_482.006 Die stille Nacht durchschallet p1b_482.007 Ein einsam hast'ger Gang, p1b_482.008 Der wiederum verhallet p1b_482.009 Die leere Straß' entlang.(Franz Kugler.) b. Und das Gesindel, husch husch husch! p1b_482.011 Kam hinten nachgeprasselt, p1b_482.012 Wie Wirbelwind am Haselbusch p1b_482.013 Durch dürre Blätter rasselt. p1b_482.014 Und weiter, weiter, hop hop hop! p1b_482.015 Ging's fort in sausendem Galopp, p1b_482.016 Daß Roß und Reiter schnoben, p1b_482.017 Und Kies und Funken stoben. p1b_482.018 p1b_482.022„Graut Liebchen auch? .. Der Mond scheint hell! p1b_482.019 Hurrah! die Toten reiten schnell! p1b_482.020 Graut Liebchen auch vor Toten?“ ─ p1b_482.021 „O weh! Laß ruh'n die Toten!“ ─ (Bürger, Lenore.) p1b_482.023 c. Und wie ich stieg, zog von dem Fluß der Wiesen p1b_482.027 Ein Nebel sich in Streifen sacht hervor. p1b_482.028 Er wich und wechselte mich zu umfließen, p1b_482.029 Und wuchs geflügelt mir um's Haupt empor: p1b_482.030 Des schönen Blicks sollt' ich nicht mehr genießen, p1b_482.031 Die Gegend deckte mir ein trüber Flor; p1b_482.032 Bald sah ich mich von Wolken wie umgossen, p1b_482.033 Und mit mir selbst in Dämm'rung eingeschlossen. (Goethe.) p1b_482.034 p1b_482.041 d. So hab ich wirklich dich verloren? p1b_482.043 Bist du, o Schöne! mir entflohn? p1b_482.044 Noch klingt in den gewohnten Ohren p1b_482.045 Ein jedes Wort, ein jeder Ton. p1b_482.046 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0516" n="482"/> <p> <lb n="p1b_482.001"/> <hi rendition="#g">Weitere Beispiele:</hi> </p> <lb n="p1b_482.002"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">a</hi>.</p> <lg> <l>Vor meinem Fenster <hi rendition="#g">dämmert</hi></l> <lb n="p1b_482.003"/> <l>Das trübe Mondenlicht;</l> <lb n="p1b_482.004"/> <l>Auf meinem Tischlein <hi rendition="#g">hämmert</hi></l> <lb n="p1b_482.005"/> <l>Die Uhr und rastet nicht.</l> <lb n="p1b_482.006"/> <l>Die stille Nacht <hi rendition="#g">durchschallet</hi></l> <lb n="p1b_482.007"/> <l>Ein einsam hast'ger Gang,</l> <lb n="p1b_482.008"/> <l>Der wiederum <hi rendition="#g">verhallet</hi></l> <lb n="p1b_482.009"/> <l>Die leere Straß' entlang.<hi rendition="#right">(Franz Kugler.)</hi> </l> </lg> <lb n="p1b_482.010"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">b</hi>.</p> <lg> <l>Und das Gesindel, <hi rendition="#g">husch husch husch!</hi></l> <lb n="p1b_482.011"/> <l>Kam hinten <hi rendition="#g">nachgeprasselt,</hi></l> <lb n="p1b_482.012"/> <l>Wie Wirbelwind am Haselbusch</l> <lb n="p1b_482.013"/> <l>Durch dürre Blätter <hi rendition="#g">rasselt.</hi></l> <lb n="p1b_482.014"/> <l>Und weiter, weiter, <hi rendition="#g">hop hop hop!</hi></l> <lb n="p1b_482.015"/> <l>Ging's fort in sausendem <hi rendition="#g">Galopp,</hi></l> <lb n="p1b_482.016"/> <l>Daß Roß und Reiter <hi rendition="#g">schnoben,</hi></l> <lb n="p1b_482.017"/> <l>Und Kies und Funken <hi rendition="#g">stoben.</hi> </l> </lg> <lg> <lb n="p1b_482.018"/> <l>„Graut Liebchen auch? .. Der Mond scheint hell!</l> <lb n="p1b_482.019"/> <l>Hurrah! die Toten reiten schnell!</l> <lb n="p1b_482.020"/> <l>Graut Liebchen auch vor <hi rendition="#g">Toten?</hi>“ ─</l> <lb n="p1b_482.021"/> <l>„O weh! Laß ruh'n die <hi rendition="#g">Toten!</hi>“ ─</l> </lg> <lb n="p1b_482.022"/> <p> <hi rendition="#right">(Bürger, Lenore.)</hi> </p> <p><lb n="p1b_482.023"/> Man beachte, wie im vorstehenden Beispiele das musikalische Material <lb n="p1b_482.024"/> des Reimes ebenso im Konsonanten wie namentlich in dem Vokal gefunden <lb n="p1b_482.025"/> wurde. (Jch verweise auf S. 121 d. B.)</p> <lb n="p1b_482.026"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">c</hi>.</p> <lg> <l>Und wie ich stieg, zog von dem Fluß der Wiesen</l> <lb n="p1b_482.027"/> <l>Ein Nebel sich in Streifen sacht hervor.</l> <lb n="p1b_482.028"/> <l>Er wich und wechselte mich zu umfließen,</l> <lb n="p1b_482.029"/> <l>Und wuchs geflügelt mir um's Haupt empor:</l> <lb n="p1b_482.030"/> <l>Des schönen Blicks sollt' ich nicht mehr genießen,</l> <lb n="p1b_482.031"/> <l>Die Gegend deckte mir ein trüber Flor;</l> <lb n="p1b_482.032"/> <l>Bald sah ich mich von Wolken wie umgossen,</l> <lb n="p1b_482.033"/> <l>Und mit mir selbst in Dämm'rung eingeschlossen. (Goethe.)</l> </lg> <p><lb n="p1b_482.034"/> Wie leicht und frisch, klar, sehnsuchtslos, die Lieblichkeit des Augenblicks <lb n="p1b_482.035"/> in genießendem Verweilen malend, klingt das i des Reims. Wie wonnig <lb n="p1b_482.036"/> steigernd wirkt je der folgende Reim, indem er die Fülle, das Ungemessene <lb n="p1b_482.037"/> zeigt, den Jnhalt charakterisiert. Wie ändert mit jeder leisen Wendung, mit <lb n="p1b_482.038"/> jedem neuen Gedankenbild der Reim seinen Klang und wie vereinen sich alle <lb n="p1b_482.039"/> diese milden, kosenden, kühnen, lebenden, schwebenden Klänge in dem Ganzen <lb n="p1b_482.040"/> zu wunderbarer harmonischer Wirkung.</p> <p><lb n="p1b_482.041"/> Noch trefflicher malt der o=Reim in der Goetheschen Strophe:</p> <lb n="p1b_482.042"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">d</hi>.</p> <lg> <l>So hab ich wirklich dich verloren?</l> <lb n="p1b_482.043"/> <l>Bist du, o Schöne! mir entflohn?</l> <lb n="p1b_482.044"/> <l>Noch klingt in den gewohnten Ohren</l> <lb n="p1b_482.045"/> <l>Ein jedes Wort, ein jeder Ton.</l> </lg> <p><lb n="p1b_482.046"/> Mächtig wirkend drückt hier Goethe durch den klagenden vollen Klang <lb n="p1b_482.047"/> des o die Sehnsucht aus.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [482/0516]
p1b_482.001
Weitere Beispiele:
p1b_482.002
a.
Vor meinem Fenster dämmert p1b_482.003
Das trübe Mondenlicht; p1b_482.004
Auf meinem Tischlein hämmert p1b_482.005
Die Uhr und rastet nicht. p1b_482.006
Die stille Nacht durchschallet p1b_482.007
Ein einsam hast'ger Gang, p1b_482.008
Der wiederum verhallet p1b_482.009
Die leere Straß' entlang.(Franz Kugler.)
p1b_482.010
b.
Und das Gesindel, husch husch husch! p1b_482.011
Kam hinten nachgeprasselt, p1b_482.012
Wie Wirbelwind am Haselbusch p1b_482.013
Durch dürre Blätter rasselt. p1b_482.014
Und weiter, weiter, hop hop hop! p1b_482.015
Ging's fort in sausendem Galopp, p1b_482.016
Daß Roß und Reiter schnoben, p1b_482.017
Und Kies und Funken stoben.
p1b_482.018
„Graut Liebchen auch? .. Der Mond scheint hell! p1b_482.019
Hurrah! die Toten reiten schnell! p1b_482.020
Graut Liebchen auch vor Toten?“ ─ p1b_482.021
„O weh! Laß ruh'n die Toten!“ ─
p1b_482.022
(Bürger, Lenore.)
p1b_482.023
Man beachte, wie im vorstehenden Beispiele das musikalische Material p1b_482.024
des Reimes ebenso im Konsonanten wie namentlich in dem Vokal gefunden p1b_482.025
wurde. (Jch verweise auf S. 121 d. B.)
p1b_482.026
c.
Und wie ich stieg, zog von dem Fluß der Wiesen p1b_482.027
Ein Nebel sich in Streifen sacht hervor. p1b_482.028
Er wich und wechselte mich zu umfließen, p1b_482.029
Und wuchs geflügelt mir um's Haupt empor: p1b_482.030
Des schönen Blicks sollt' ich nicht mehr genießen, p1b_482.031
Die Gegend deckte mir ein trüber Flor; p1b_482.032
Bald sah ich mich von Wolken wie umgossen, p1b_482.033
Und mit mir selbst in Dämm'rung eingeschlossen. (Goethe.)
p1b_482.034
Wie leicht und frisch, klar, sehnsuchtslos, die Lieblichkeit des Augenblicks p1b_482.035
in genießendem Verweilen malend, klingt das i des Reims. Wie wonnig p1b_482.036
steigernd wirkt je der folgende Reim, indem er die Fülle, das Ungemessene p1b_482.037
zeigt, den Jnhalt charakterisiert. Wie ändert mit jeder leisen Wendung, mit p1b_482.038
jedem neuen Gedankenbild der Reim seinen Klang und wie vereinen sich alle p1b_482.039
diese milden, kosenden, kühnen, lebenden, schwebenden Klänge in dem Ganzen p1b_482.040
zu wunderbarer harmonischer Wirkung.
p1b_482.041
Noch trefflicher malt der o=Reim in der Goetheschen Strophe:
p1b_482.042
d.
So hab ich wirklich dich verloren? p1b_482.043
Bist du, o Schöne! mir entflohn? p1b_482.044
Noch klingt in den gewohnten Ohren p1b_482.045
Ein jedes Wort, ein jeder Ton.
p1b_482.046
Mächtig wirkend drückt hier Goethe durch den klagenden vollen Klang p1b_482.047
des o die Sehnsucht aus.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |