p1b_591.001 Zur Kritik der Rückertschen Makamen. Die Makamen erinnern p1b_591.002 der Anlage des Helden und dem Humor der Erzählung nach häufig an Don p1b_591.003 Quixote de la Mancha. Der Dichter der Makamen steht frei über dem p1b_591.004 von ihm behandelten Stoff, und es sind ihm daher auch die häufigen "Schnörkel" p1b_591.005 seiner Makamen ebenso für beabsichtigte und zweckmäßige Charakteristik anzurechnen p1b_591.006 wie die des Don Quixote dem Humoristen Cervantes. Die Handlung p1b_591.007 schreitet in den Makamen nicht fort, sondern jede einzelne Makame ist eine p1b_591.008 besondere Epopöe und enthält je eines von den vielen Abenteuern des Helden p1b_591.009 ganz. Das nächstfolgende Abenteuer jeder nächsten Makame entspringt nicht p1b_591.010 aus dem vorhergehenden, sondern mit diesem zugleich aus dem gemeinschaftlichen p1b_591.011 Mittelpunkte: dem Charakter des Helden, der sodann im vollen Kreis der p1b_591.012 Makamen seine volle Entwickelung gefunden hat.
p1b_591.013 Rückerts Arbeit ist keine bloße Übersetzung, sondern eine Um= p1b_591.014 und Nachdichtung, die besondere Rücksicht auf deutsche Leser nimmt p1b_591.015 und einer Originalarbeit an Wert gleichkommen dürfte. Sein Werk p1b_591.016 verdient für uns den hohen Vorzug, welchen der Orient dem Werke Hariris p1b_591.017 gab: durch die äußere Form, durch den prächtigen Redeschmuck, der dem p1b_591.018 arabischen nicht nachsteht, durch den Reiz feiner Anspielungen und unerwarteter p1b_591.019 Reimperlen, die unser Ohr entzücken und durch Wortspiele überraschen, ferner p1b_591.020 durch den schönen Wechsel von Poesie und gereimter Prosa, indem zwar die p1b_591.021 Prosa schon künstlich bilderreich, voll von Wortspielen und Reimen ist, die p1b_591.022 metrische Poesie aber sich außer dem Metrum noch durch die höchste Steigerung p1b_591.023 des übrigen Redeschmuckes über die poetische Prosa erhebt. Nichts Kühneres p1b_591.024 in Reim und Rhythmus kann es geben, als was Rückert hier nach arabischem p1b_591.025 Muster geliefert hat. Gereimte Unterhaltung oder rhythmisch ungebundene p1b_591.026 Rede, gereimte Prosa, gereimtes Gespräch ohne allen Zwang mit eingeflochtenen p1b_591.027 Gedichten, - namentlich Ghaselen von beliebiger Zeilenlänge! Diese Zeilen p1b_591.028 sind jambisch, trochäisch, daktylisch, - wie es dem Dichter eben paßt. Der p1b_591.029 Text der Makamen gaukelt im seltensten, zierlichsten, buntesten Reimgeklingel p1b_591.030 mit den überraschendsten Wort- und Klangspielen aller Art, mit den gewähltesten p1b_591.031 und übertriebensten Bildern und Gleichnissen, mit spitzfindigem, überkünstlichem p1b_591.032 Ausdruck an unserm Ohr vorüber. Nirgends drängt sich wohl der geistreiche p1b_591.033 Reim mit seinen scherzhaften, witzigen, naiven, wunderlichen, schalkhaften p1b_591.034 Spielereien oder seiner berechneten Wirkung so in den Vordergrund als hier; p1b_591.035 die buntesten Gauklerkunststückchen und Taschenspielereien, die geschulteste Technik p1b_591.036 stehen neben der ergreifendsten Poesie!
p1b_591.037 Was der Rückertschen Nachbildung an Treue fehlt, das ersetzte des Dichters p1b_591.038 Talent; und die des Arabischen unkundigen Leser werden immerhin ein ziemlich p1b_591.039 getreues Bild des Originals auffassen können. Den Dichter Hariri konnte nur p1b_591.040 ein Dichter trefflich nachbilden, der sich erlauben durfte, Ausdrücke, Bilder und p1b_591.041 sogar einige Makamen wegzulassen, weil sie wegen des sittlich Anstößigen oder p1b_591.042 der Form halber eine Nachbildung nicht gut vertrugen. Rückert hat oft 2 arabische p1b_591.043 Reimsätze durch 4 oder mehrere im Deutschen umschrieben. Die Nachbildung p1b_591.044 der Gedichte ist bei ihm mitunter so frei, daß vom Originale kaum einige
p1b_591.001 Zur Kritik der Rückertschen Makamen. Die Makamen erinnern p1b_591.002 der Anlage des Helden und dem Humor der Erzählung nach häufig an Don p1b_591.003 Quixote de la Mancha. Der Dichter der Makamen steht frei über dem p1b_591.004 von ihm behandelten Stoff, und es sind ihm daher auch die häufigen „Schnörkel“ p1b_591.005 seiner Makamen ebenso für beabsichtigte und zweckmäßige Charakteristik anzurechnen p1b_591.006 wie die des Don Quixote dem Humoristen Cervantes. Die Handlung p1b_591.007 schreitet in den Makamen nicht fort, sondern jede einzelne Makame ist eine p1b_591.008 besondere Epopöe und enthält je eines von den vielen Abenteuern des Helden p1b_591.009 ganz. Das nächstfolgende Abenteuer jeder nächsten Makame entspringt nicht p1b_591.010 aus dem vorhergehenden, sondern mit diesem zugleich aus dem gemeinschaftlichen p1b_591.011 Mittelpunkte: dem Charakter des Helden, der sodann im vollen Kreis der p1b_591.012 Makamen seine volle Entwickelung gefunden hat.
p1b_591.013 Rückerts Arbeit ist keine bloße Übersetzung, sondern eine Um= p1b_591.014 und Nachdichtung, die besondere Rücksicht auf deutsche Leser nimmt p1b_591.015 und einer Originalarbeit an Wert gleichkommen dürfte. Sein Werk p1b_591.016 verdient für uns den hohen Vorzug, welchen der Orient dem Werke Hariris p1b_591.017 gab: durch die äußere Form, durch den prächtigen Redeschmuck, der dem p1b_591.018 arabischen nicht nachsteht, durch den Reiz feiner Anspielungen und unerwarteter p1b_591.019 Reimperlen, die unser Ohr entzücken und durch Wortspiele überraschen, ferner p1b_591.020 durch den schönen Wechsel von Poesie und gereimter Prosa, indem zwar die p1b_591.021 Prosa schon künstlich bilderreich, voll von Wortspielen und Reimen ist, die p1b_591.022 metrische Poesie aber sich außer dem Metrum noch durch die höchste Steigerung p1b_591.023 des übrigen Redeschmuckes über die poetische Prosa erhebt. Nichts Kühneres p1b_591.024 in Reim und Rhythmus kann es geben, als was Rückert hier nach arabischem p1b_591.025 Muster geliefert hat. Gereimte Unterhaltung oder rhythmisch ungebundene p1b_591.026 Rede, gereimte Prosa, gereimtes Gespräch ohne allen Zwang mit eingeflochtenen p1b_591.027 Gedichten, ─ namentlich Ghaselen von beliebiger Zeilenlänge! Diese Zeilen p1b_591.028 sind jambisch, trochäisch, daktylisch, ─ wie es dem Dichter eben paßt. Der p1b_591.029 Text der Makamen gaukelt im seltensten, zierlichsten, buntesten Reimgeklingel p1b_591.030 mit den überraschendsten Wort- und Klangspielen aller Art, mit den gewähltesten p1b_591.031 und übertriebensten Bildern und Gleichnissen, mit spitzfindigem, überkünstlichem p1b_591.032 Ausdruck an unserm Ohr vorüber. Nirgends drängt sich wohl der geistreiche p1b_591.033 Reim mit seinen scherzhaften, witzigen, naiven, wunderlichen, schalkhaften p1b_591.034 Spielereien oder seiner berechneten Wirkung so in den Vordergrund als hier; p1b_591.035 die buntesten Gauklerkunststückchen und Taschenspielereien, die geschulteste Technik p1b_591.036 stehen neben der ergreifendsten Poesie!
p1b_591.037 Was der Rückertschen Nachbildung an Treue fehlt, das ersetzte des Dichters p1b_591.038 Talent; und die des Arabischen unkundigen Leser werden immerhin ein ziemlich p1b_591.039 getreues Bild des Originals auffassen können. Den Dichter Hariri konnte nur p1b_591.040 ein Dichter trefflich nachbilden, der sich erlauben durfte, Ausdrücke, Bilder und p1b_591.041 sogar einige Makamen wegzulassen, weil sie wegen des sittlich Anstößigen oder p1b_591.042 der Form halber eine Nachbildung nicht gut vertrugen. Rückert hat oft 2 arabische p1b_591.043 Reimsätze durch 4 oder mehrere im Deutschen umschrieben. Die Nachbildung p1b_591.044 der Gedichte ist bei ihm mitunter so frei, daß vom Originale kaum einige
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Rückerts Arbeit ist keine bloße Übersetzung, sondern eine Um= p1b_591.014
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Was der Rückertschen Nachbildung an Treue fehlt, das ersetzte des Dichters p1b_591.038
Talent; und die des Arabischen unkundigen Leser werden immerhin ein ziemlich p1b_591.039
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/625>, abgerufen am 22.11.2024.
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