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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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Jn allen Regeln der Metrik liegt zuletzt ein Geheimnis, dessen Kunde p1b_615.002
uns entgangen sein kann, während die aus ihm hervorgewachsenen Bildungen p1b_615.003
es fortdauernd in und an sich tragen. Das Gesetz der Dreiteiligkeit (d. i. p1b_615.004
Entzweiung, Zweigung in Satz und Gegensatz und Vereinigung im Schlußsatz), p1b_615.005
das in der mittelhochdeutschen Kunstpoesie wie in der Natur, in der Kunst und p1b_615.006
im Sprachbau waltet, ist ein solches Fundament. Es beweist für unsere Nation p1b_615.007
den Vorzug einer Gründlichkeit, wie wir ihn bei andern Nationen in dieser p1b_615.008
Weise nicht nachweisen können.

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Eine Art Analogon finden wir nur bei Pindar und in den Chorgesängen p1b_615.010
der griechischen Tragiker (in der chorischen Lyrik der attischen Tragödie), p1b_615.011
wo die zwei gleichartigen Bestandteile von Strophe und Antistrophe mit dem p1b_615.012
ungleichartigen der Epode zu einem größeren Gebäude verbunden wurden. Bei p1b_615.013
den neueren Völkern waren nur einzelne Formen dreiteilig. So hatte das p1b_615.014
provencalisch=italienische Sonett Dreiteilung: die beiden Stollen des Aufgesangs p1b_615.015
bestanden aus je 4 Zeilen, worauf die 6 Schlußzeilen des Abgesangs folgten. p1b_615.016
Auch die Kanzonen Petrarcas waren dreiteilig. Bei den Deutschen war die p1b_615.017
Beachtung des Gesetzes der Dreiteilung eine wesentliche Forderung, und man p1b_615.018
findet daher in der ganzen uns von den Franzosen im 30jährigen Krieg p1b_615.019
geraubten sogenannten Manesseschen Sammlung (deren Zurückforderung ich p1b_615.020
1871 in Nr. 4 der gelesenen Gartenlaube anregte) keine fünfzig Beispiele, p1b_615.021
wo es nicht nachzuweisen wäre. Wie dieses Gesetz beiläufig bemerkt schon im p1b_615.022
Pflanzenreich die Bildung eines Ganzen meist durch einen ungleichen Teil abschließt p1b_615.023
(vgl. S. 84 d. B.), so läßt es in der Poesie nach einer inneren Notwendigkeit p1b_615.024
zu zwei gleichen Sätzen oder Teilen einen dritten ungleichen hinzutreten. p1b_615.025
Sonach bestand jede einzelne Strophe - wie oben bemerkt - aus drei Gliedern, p1b_615.026
von denen die als Stollen bezeichneten beiden ersten den Aufgesang bildeten p1b_615.027
und sich gleich waren, während das den Abgesang bildende ungleiche dritte p1b_615.028
Glied besondere Messung oder besondere Reimstellung oder verschiedene Zeilenzahl p1b_615.029
hatte. Die Zeilenzahl des Aufgesangs wie des Abgesangs stand im Belieben p1b_615.030
des Dichters. Forderung war es nur, daß die folgenden Strophen genau p1b_615.031
den Bau der ersten in Bezug auf Gleichheit der Stollen und des Abgesangs p1b_615.032
wiederholten. Jn seltenen Fällen beschränkte sich jeder der 3 Teile auf je eine p1b_615.033
Zeile; häufiger fand man schon einzeilige Stollen und mehrzeiligen p1b_615.034
Abgesang (vgl. Beispiel h und i des vorigen Paragraphen). Doch tritt die p1b_615.035
beabsichtigte Dreiteiligkeit hauptsächlich in mehr als vierzeiligen Strophen zu p1b_615.036
Tage. (Vgl. Bartsch in Pfeiffers Germania II. 12. 257. 283. 286, ferner p1b_615.037
Grimm über den alten Meistergesang; letzterer nimmt Dreiteilung bei allen p1b_615.038
Dichtungen der Minnesinger an. Selbst der Titurelton sei dreiteilig, S. 59 ff., p1b_615.039
ebenfalls der Leich S. 64 ff.) Jn der Manesseschen Handschriftensammlung, p1b_615.040
wie in den Heidelberger, Leipziger, Möserschen, Weimarschen, Jenaischen Sammlungen p1b_615.041
sind die 3 Teile der Strophe in ihrem Beginn durch große Anfangsbuchstaben p1b_615.042
markiert, die ich in meinen Proben b bis l des vorigen Paragraphen p1b_615.043
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Die neueren Bearbeiter der Minnesinger - Gleim, Rückert und

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Jn allen Regeln der Metrik liegt zuletzt ein Geheimnis, dessen Kunde p1b_615.002
uns entgangen sein kann, während die aus ihm hervorgewachsenen Bildungen p1b_615.003
es fortdauernd in und an sich tragen. Das Gesetz der Dreiteiligkeit (d. i. p1b_615.004
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den Vorzug einer Gründlichkeit, wie wir ihn bei andern Nationen in dieser p1b_615.008
Weise nicht nachweisen können.

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Eine Art Analogon finden wir nur bei Pindar und in den Chorgesängen p1b_615.010
der griechischen Tragiker (in der chorischen Lyrik der attischen Tragödie), p1b_615.011
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/649>, abgerufen am 25.11.2024.