Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_618.001 Aurora. p1b_618.006Schon glüht der erste Purpursaum p1b_618.007 Jm Ost, der Tag kehrt wieder, p1b_618.008 Der Vögel Chor in Strauch und Baum p1b_618.009 Singt frohe Morgenlieder. p1b_618.010 Ein neues Leben ist erwacht p1b_618.011 Und die Natur in goldner Pracht p1b_618.012 Kredenzt den Freudenbecher. p1b_618.013 Provence. p1b_618.015 Heiliges Dichterland, p1b_618.016 Heimat von Lied und Lieb'! p1b_618.017 Deinem gepriesenen Strand p1b_618.018 Jch auch entgegen trieb: p1b_618.019 Jch sah dich ruhen in Südens Glut, p1b_618.020 Zaub'rin, am Spiegel der tiefblauen Flut. p1b_618.021 Ersatz für die Dreiteilung. p1b_618.025 p1b_618.029 Jch bin mit meiner Liebe p1b_618.031 Vor Gott gestanden, p1b_618.032 Jch stellte diese Triebe p1b_618.033 Zu seinen Handen. p1b_618.034 Jch bin von diesen Trieben p1b_618.035 Nun unbetreten: p1b_618.036 Jch kann dich, Liebster, lieben p1b_618.037 Zugleich und beten. (Rückert.) p1b_618.038 p1b_618.040 p1b_618.001 Aurora. p1b_618.006Schon glüht der erste Purpursaum p1b_618.007 Jm Ost, der Tag kehrt wieder, p1b_618.008 Der Vögel Chor in Strauch und Baum p1b_618.009 Singt frohe Morgenlieder. p1b_618.010 Ein neues Leben ist erwacht p1b_618.011 Und die Natur in goldner Pracht p1b_618.012 Kredenzt den Freudenbecher. p1b_618.013 Provence. p1b_618.015 Heiliges Dichterland, p1b_618.016 Heimat von Lied und Lieb'! p1b_618.017 Deinem gepriesenen Strand p1b_618.018 Jch auch entgegen trieb: p1b_618.019 Jch sah dich ruhen in Südens Glut, p1b_618.020 Zaub'rin, am Spiegel der tīefblāuen Flut. p1b_618.021 Ersatz für die Dreiteilung. p1b_618.025 p1b_618.029 Jch bin mit meiner Liebe p1b_618.031 Vor Gott gestanden, p1b_618.032 Jch stellte diese Triebe p1b_618.033 Zu seinen Handen. p1b_618.034 Jch bin von diesen Trieben p1b_618.035 Nun unbetreten: p1b_618.036 Jch kann dich, Liebster, lieben p1b_618.037 Zugleich und beten. 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Einen einzeiligen <lb n="p1b_618.003"/> Abgesang haben die Strophen noch in <hi rendition="#g">Erinnerungs-Runen</hi> mit dem Reimschema: <lb n="p1b_618.004"/> <hi rendition="#aq">a b a b a</hi>.</p> <lb n="p1b_618.005"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Aurora.</hi> </hi> </p> <lb n="p1b_618.006"/> <lg> <l>Schon glüht der erste Purpursaum</l> <lb n="p1b_618.007"/> <l> Jm Ost, der Tag kehrt wieder,</l> <lb n="p1b_618.008"/> <l>Der Vögel Chor in Strauch und Baum</l> <lb n="p1b_618.009"/> <l> Singt frohe Morgenlieder.</l> <lb n="p1b_618.010"/> <l> Ein neues Leben ist erwacht</l> <lb n="p1b_618.011"/> <l> Und die Natur in goldner Pracht</l> <lb n="p1b_618.012"/> <l> Kredenzt den Freudenbecher.</l> </lg> <p><lb n="p1b_618.013"/> Ähnlich ist <hi rendition="#g">Die erste Lerche</hi> gebaut. 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Reimschema: <hi rendition="#aq">a b a b c c</hi>.</p> <lb n="p1b_618.024"/> <p> <hi rendition="#c">Ersatz für die Dreiteilung.</hi> </p> <p><lb n="p1b_618.025"/> Nur wenige Dichter der Neuzeit kennen in ihrer Lyrik das Gesetz der <lb n="p1b_618.026"/> dreiteiligen Strophen. <hi rendition="#g">Einen Ersatz bietet die zweiteilige Gliederung <lb n="p1b_618.027"/> in Haupt- und Gegenstrophe,</hi> die dem Dichter leichter wird als die Dreiteilung, <lb n="p1b_618.028"/> da er den zweiten Stollen nicht zu bilden braucht.</p> <p> <lb n="p1b_618.029"/> <hi rendition="#g">Beispiel der zweigeteilten Strophe:</hi> </p> <lb n="p1b_618.030"/> <lg> <l>Jch bin mit meiner Liebe</l> <lb n="p1b_618.031"/> <l>Vor Gott gestanden,</l> <lb n="p1b_618.032"/> <l>Jch stellte diese Triebe</l> <lb n="p1b_618.033"/> <l>Zu seinen Handen.</l> <lb n="p1b_618.034"/> <l> Jch bin von diesen Trieben</l> <lb n="p1b_618.035"/> <l> Nun unbetreten:</l> <lb n="p1b_618.036"/> <l> Jch kann dich, Liebster, lieben</l> <lb n="p1b_618.037"/> <l> Zugleich und beten.</l> </lg> <p> <hi rendition="#right">(Rückert.)</hi> </p> <p><lb n="p1b_618.038"/> (Die erste Hälfte bildet hier den Aufgesang, die zweite den Abgesang. <lb n="p1b_618.039"/> Vgl. noch „Ganz verdumpft“ von Rückert.)</p> <p><lb n="p1b_618.040"/> Ein gründliches Studium der Minnesinger dürfte unseren jüngeren Lyrikern <lb n="p1b_618.041"/> dringend zu raten sein, wenn ihre meist armselige, aus nur wenigen abgenützten <lb n="p1b_618.042"/> Tönen bestehende Strophik mannigfaltiger, reicher, schöner und kunstvoller <lb n="p1b_618.043"/> werden soll.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [618/0652]
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Man beachte das durch das ganze Gedicht durchgeführte schöne strophische p1b_618.002
Charakteristikum des um 1 Jambus verlängerten Abgesangs. Einen einzeiligen p1b_618.003
Abgesang haben die Strophen noch in Erinnerungs-Runen mit dem Reimschema: p1b_618.004
a b a b a.
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Aurora.
p1b_618.006
Schon glüht der erste Purpursaum p1b_618.007
Jm Ost, der Tag kehrt wieder, p1b_618.008
Der Vögel Chor in Strauch und Baum p1b_618.009
Singt frohe Morgenlieder. p1b_618.010
Ein neues Leben ist erwacht p1b_618.011
Und die Natur in goldner Pracht p1b_618.012
Kredenzt den Freudenbecher.
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Ähnlich ist Die erste Lerche gebaut. Reimschema: a b a b c c b.
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Provence.
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Heiliges Dichterland, p1b_618.016
Heimat von Lied und Lieb'! p1b_618.017
Deinem gepriesenen Strand p1b_618.018
Jch auch entgegen trieb: p1b_618.019
Jch sah dich ruhen in Südens Glut, p1b_618.020
Zaub'rin, am Spiegel der tīefblāuen Flut.
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Man beachte den wirksamen Rhythmuswechsel im Abgesang. Ähnlich p1b_618.022
gebildet ist „Tasso“: Vorwort zur Übersetzung von Goethes Tasso durch den p1b_618.023
königlichen Dichter. Reimschema: a b a b c c.
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Ersatz für die Dreiteilung.
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Nur wenige Dichter der Neuzeit kennen in ihrer Lyrik das Gesetz der p1b_618.026
dreiteiligen Strophen. Einen Ersatz bietet die zweiteilige Gliederung p1b_618.027
in Haupt- und Gegenstrophe, die dem Dichter leichter wird als die Dreiteilung, p1b_618.028
da er den zweiten Stollen nicht zu bilden braucht.
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Beispiel der zweigeteilten Strophe:
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Jch bin mit meiner Liebe p1b_618.031
Vor Gott gestanden, p1b_618.032
Jch stellte diese Triebe p1b_618.033
Zu seinen Handen. p1b_618.034
Jch bin von diesen Trieben p1b_618.035
Nun unbetreten: p1b_618.036
Jch kann dich, Liebster, lieben p1b_618.037
Zugleich und beten.
(Rückert.)
p1b_618.038
(Die erste Hälfte bildet hier den Aufgesang, die zweite den Abgesang. p1b_618.039
Vgl. noch „Ganz verdumpft“ von Rückert.)
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Ein gründliches Studium der Minnesinger dürfte unseren jüngeren Lyrikern p1b_618.041
dringend zu raten sein, wenn ihre meist armselige, aus nur wenigen abgenützten p1b_618.042
Tönen bestehende Strophik mannigfaltiger, reicher, schöner und kunstvoller p1b_618.043
werden soll.
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