Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_638.001 Mach auf, mein Schatz, dein Fenster, p1b_638.002 p1b_638.004Laß mich zu dir hinein, p1b_638.003 Kann nicht lang bei dir sein. (Lenore. Wunderhorn II. S. 19.) p1b_638.005 p1b_638.006 Jch weiß nicht, wie mir's ist: p1b_638.008 Jch bin nicht krank und bin nicht gsund, p1b_638.009 Jch bin blessiert und hab kein Wund. p1b_638.010 p1b_638.013Jch weiß nicht, wie mir's ist: p1b_638.011 Jch thät gern essen und schmeckt mir nichts, p1b_638.012 Jch hab' ein Geld und gilt mir nichts &c. (Uhlands Volkslieder II.) p1b_638.014 p1b_638.015 p1b_638.017 Von des Nordes kaltem Wehen p1b_638.019 Wird der Schnee dahergetrieben, p1b_638.020 Der die dunkle Erde decket. p1b_638.021 Dunkle Wolken zieh'n am Himmel, p1b_638.022 Und es flimmern keine Sterne, p1b_638.023 Nur der Schnee im Dunkel schimmert. &c. (Chamisso.) p1b_638.024 § 201. Vierzeilige Strophen. p1b_638.025 p1b_638.033 p1b_638.001 Mach auf, mein Schatz, dein Fenster, p1b_638.002 p1b_638.004Laß mich zu dir hinein, p1b_638.003 Kann nicht lang bei dir sein. (Lenore. Wunderhorn II. S. 19.) p1b_638.005 p1b_638.006 Jch weiß nicht, wie mir's ist: p1b_638.008 Jch bin nicht krank und bin nicht gsund, p1b_638.009 Jch bin blessiert und hab kein Wund. p1b_638.010 p1b_638.013Jch weiß nicht, wie mir's ist: p1b_638.011 Jch thät gern essen und schmeckt mir nichts, p1b_638.012 Jch hab' ein Geld und gilt mir nichts &c. (Uhlands Volkslieder II.) p1b_638.014 p1b_638.015 p1b_638.017 Von des Nordes kaltem Wehen p1b_638.019 Wird der Schnee dahergetrieben, p1b_638.020 Der die dunkle Erde decket. p1b_638.021 Dunkle Wolken zieh'n am Himmel, p1b_638.022 Und es flimmern keine Sterne, p1b_638.023 Nur der Schnee im Dunkel schimmert. &c. (Chamisso.) p1b_638.024 § 201. 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Alle Dichter der Gegenwart, <lb n="p1b_638.035"/> denen die Technik wie das strophische Geheimnis eines Kürenberg, eines Walther <lb n="p1b_638.036"/> von der Vogelweide, eines Schlegel, Platen, Schiller, Goethe, Rückert, Geibel &c. <lb n="p1b_638.037"/> unenträtselt blieben, bedienen sich einiger ihrer Formen (<hi rendition="#aq">a a b b</hi>; ferner <lb n="p1b_638.038"/> <hi rendition="#aq">a b a b</hi>; endlich <hi rendition="#aq">x a x a</hi>) in so ausgedehntem Maße, daß man dieses letztere <lb n="p1b_638.039"/> Schema ─ sofern das strophische Charakteristikum fehlt ─ als Dilettantenschema <lb n="p1b_638.040"/> bezeichnen möchte. Hierbei ist freilich nicht in Abrede zu stellen, daß <lb n="p1b_638.041"/> unsere Litteratur gerade in diesen Formen wahre Perlen aufzuweisen hat, die <lb n="p1b_638.042"/> in ihrem Bau die kundigste Hand erkennen lassen.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [638/0672]
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Mach auf, mein Schatz, dein Fenster, p1b_638.002
Laß mich zu dir hinein, p1b_638.003
Kann nicht lang bei dir sein.
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(Lenore. Wunderhorn II. S. 19.)
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8. b a a, b c c, b d d. &c.
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Diese Strophen haben einen Anfangsrefrain, dem das Reimpaar folgt.
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Jch weiß nicht, wie mir's ist: p1b_638.008
Jch bin nicht krank und bin nicht gsund, p1b_638.009
Jch bin blessiert und hab kein Wund.
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Jch weiß nicht, wie mir's ist: p1b_638.011
Jch thät gern essen und schmeckt mir nichts, p1b_638.012
Jch hab' ein Geld und gilt mir nichts &c.
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(Uhlands Volkslieder II.)
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9. Assonierende dreizeilige Strophen.
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Diese finden sich bei Chamisso, der durch dieselben die alte nordische p1b_638.016
Assonanz der italienischen Terzine zu vermählen verstand.
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Beispiel:
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Von des Nordes kaltem Wehen p1b_638.019
Wird der Schnee dahergetrieben, p1b_638.020
Der die dunkle Erde decket.
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Dunkle Wolken zieh'n am Himmel, p1b_638.022
Und es flimmern keine Sterne, p1b_638.023
Nur der Schnee im Dunkel schimmert. &c.
(Chamisso.)
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§ 201. Vierzeilige Strophen. p1b_638.025
Diese unter allen Strophen am häufigsten gebrauchte Form, p1b_638.026
welche man als die Repräsentantin der symmetrischen Gliederung bezeichnen p1b_638.027
kann, entstand ebenso durch Verdoppelung der Otfriedschen p1b_638.028
Langzeilenpaare wie durch Brechung derselben (§ 188 S. 599). p1b_638.029
Schon die Kürenberger (§ 189) wie die mittelhochdeutschen epischen p1b_638.030
Nibelungen- und Gudrunstrophen (§ 190 und 192) waren vierzeilig. p1b_638.031
Jn der Lyrik wurde die vierzeilige Strophe zuerst von Kürenberg, p1b_638.032
Oswald von Wolkenstein, H. v. Veldeke &c. angewandt.
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Die spätere kirchliche wie die weltliche Poesie fand diese Strophe ebenso p1b_638.034
bequem als unsere gesamte moderne Lyrik. Alle Dichter der Gegenwart, p1b_638.035
denen die Technik wie das strophische Geheimnis eines Kürenberg, eines Walther p1b_638.036
von der Vogelweide, eines Schlegel, Platen, Schiller, Goethe, Rückert, Geibel &c. p1b_638.037
unenträtselt blieben, bedienen sich einiger ihrer Formen (a a b b; ferner p1b_638.038
a b a b; endlich x a x a) in so ausgedehntem Maße, daß man dieses letztere p1b_638.039
Schema ─ sofern das strophische Charakteristikum fehlt ─ als Dilettantenschema p1b_638.040
bezeichnen möchte. Hierbei ist freilich nicht in Abrede zu stellen, daß p1b_638.041
unsere Litteratur gerade in diesen Formen wahre Perlen aufzuweisen hat, die p1b_638.042
in ihrem Bau die kundigste Hand erkennen lassen.
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