Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_666.001 Noch ist die blühende, goldene Zeit, p1b_666.003 O du schöne Welt, wie bist du so weit! p1b_666.004 Und so weit ist mein Herz, und so blau, wie der Tag, p1b_666.005 Wie die Lüfte, durchjubelt von Lerchenschlag! p1b_666.006 Jhr Fröhlichen singt, weil das Leben noch mait, p1b_666.007 Noch ist die schöne, blühende Zeit, p1b_666.008 Noch sind die Tage der Rosen! p1b_666.009 p1b_666.011 Die Nacht ist kalt; es schauert der Tod,; p1b_666.012 Und blutig kommt das Morgenrot. p1b_666.013 Es nahte der finstern Männer Schwarm; p1b_666.014 Sie rissen ihn fort aus meinem Arm. p1b_666.015 Jch irre, ich suche, ich find' ihn nicht - p1b_666.016 Sie schleppen ihn fort zum Blutgericht, p1b_666.017 Mir wanken die Kniee! p1b_666.018 Heute kamen die Klanggeister p1b_666.020 Meiner persischen Sangmeister, p1b_666.021 Die mich hatten gefloh'n lange, p1b_666.022 Wie vor'm ernsteren Ton bange, p1b_666.023 Oder nur mich besucht hatten, p1b_666.024 Ähnlich streifenden Fluchtschatten p1b_666.025 Über sommernden Fruchtmatten. p1b_666.026 Weißt du, wo gelind p1b_666.028 p1b_666.034Übergeht der Wind, p1b_666.029 Lieblich ist der Schauer, p1b_666.030 Sanft des Herzens Trauer? p1b_666.031 An der Kirchhofmauer, p1b_666.032 Wo die beiden Kind' p1b_666.033 Hingelegt dir sind. B. Aufgesang a b b a. p1b_666.035 p1b_666.001 Noch ist die blühende, goldene Zeit, p1b_666.003 O du schöne Welt, wie bist du so weit! p1b_666.004 Und so weit ist mein Herz, und so blau, wie der Tag, p1b_666.005 Wie die Lüfte, durchjubelt von Lerchenschlag! p1b_666.006 Jhr Fröhlichen singt, weil das Leben noch mait, p1b_666.007 Noch ist die schöne, blühende Zeit, p1b_666.008 Noch sind die Tage der Rosen! p1b_666.009 p1b_666.011 Die Nacht ist kalt; es schauert der Tod,; p1b_666.012 Und blutig kommt das Morgenrot. p1b_666.013 Es nahte der finstern Männer Schwarm; p1b_666.014 Sie rissen ihn fort aus meinem Arm. p1b_666.015 Jch irre, ich suche, ich find' ihn nicht ─ p1b_666.016 Sie schleppen ihn fort zum Blutgericht, p1b_666.017 Mir wanken die Kniee! p1b_666.018 Heute kamen die Klanggeister p1b_666.020 Meiner persischen Sangmeister, p1b_666.021 Die mich hatten gefloh'n lange, p1b_666.022 Wie vor'm ernsteren Ton bange, p1b_666.023 Oder nur mich besucht hatten, p1b_666.024 Ähnlich streifenden Fluchtschatten p1b_666.025 Über sommernden Fruchtmatten. p1b_666.026 Weißt du, wo gelind p1b_666.028 p1b_666.034Übergeht der Wind, p1b_666.029 Lieblich ist der Schauer, p1b_666.030 Sanft des Herzens Trauer? p1b_666.031 An der Kirchhofmauer, p1b_666.032 Wo die beiden Kind' p1b_666.033 Hingelegt dir sind. 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(<hi rendition="#g">Rückerts Lenzschauerstrophe</hi>.)</p> <lb n="p1b_666.027"/> <lg> <l>Weißt du, wo gelind</l> <lb n="p1b_666.028"/> <l>Übergeht der Wind,</l> <lb n="p1b_666.029"/> <l>Lieblich ist der Schauer,</l> <lb n="p1b_666.030"/> <l>Sanft des Herzens Trauer?</l> <lb n="p1b_666.031"/> <l>An der Kirchhofmauer,</l> <lb n="p1b_666.032"/> <l>Wo die beiden Kind'</l> <lb n="p1b_666.033"/> <l>Hingelegt dir sind.</l> </lg> <lb n="p1b_666.034"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">B</hi>. <hi rendition="#g">Aufgesang</hi><hi rendition="#aq">a b b a</hi>.</hi> </p> <p><lb n="p1b_666.035"/> Zusammensetzungen mit diesem Aufgesang sind ebenso selten als mit dem <lb n="p1b_666.036"/> vorigen. Wir finden solche in Desdemonas Lied (Herders Stimmen der <lb n="p1b_666.037"/> Völker, 16. Band S. 197), sowie in dem von Diez übersetzten Liede <lb n="p1b_666.038"/> Die Provence vom Troubadour Peire Vidal (Menzels Gesänge der Völker. <lb n="p1b_666.039"/> S. 66, Schema: <hi rendition="#aq">a b b a c c d</hi>). Von unsern Dichtern haben sich ihrer bedient: <lb n="p1b_666.040"/> Schiller (in der Bürgschaft, Schema: <hi rendition="#aq">a b b a a c c</hi>), Eichendorff (in Begegnung <lb n="p1b_666.041"/> <hi rendition="#aq">a b b a b c c</hi>), Geibel (in Wie rauscht ihr Waldesschatten, und <lb n="p1b_666.042"/> An den Genius), Rückert (in An die Dichter, im Trauerlied, in Die Blume <lb n="p1b_666.043"/> am Anger, mit dem Schema: <hi rendition="#aq">a b b a a b a</hi>, sowie in „O wie ich nun so <lb n="p1b_666.044"/> einsam bin“, mit dem Schema: <hi rendition="#aq">a b b a c c c</hi>; vgl. Kindertotenlieder, S. 172), <lb n="p1b_666.045"/> Herwegh (mit dem Schema: <hi rendition="#aq">a b b a a a b</hi> in Die deutsche Flotte, vgl. Ged. </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [666/0700]
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2. Schema: a a b b a a c. (Roquettes Rosenstrophe.)
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Noch ist die blühende, goldene Zeit, p1b_666.003
O du schöne Welt, wie bist du so weit! p1b_666.004
Und so weit ist mein Herz, und so blau, wie der Tag, p1b_666.005
Wie die Lüfte, durchjubelt von Lerchenschlag! p1b_666.006
Jhr Fröhlichen singt, weil das Leben noch mait, p1b_666.007
Noch ist die schöne, blühende Zeit, p1b_666.008
Noch sind die Tage der Rosen!
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3. Schema: a a b b │ c c d. (Rudolph v. Gottschalls Desmoulins=Strophe.)
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Die Nacht ist kalt; es schauert der Tod,; p1b_666.012
Und blutig kommt das Morgenrot. p1b_666.013
Es nahte der finstern Männer Schwarm; p1b_666.014
Sie rissen ihn fort aus meinem Arm. p1b_666.015
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Sie schleppen ihn fort zum Blutgericht, p1b_666.017
Mir wanken die Kniee!
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4. Schema: a a b b c c c. (Rückerts Klanggeisterstrophe.)
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Heute kamen die Klanggeister p1b_666.020
Meiner persischen Sangmeister, p1b_666.021
Die mich hatten gefloh'n lange, p1b_666.022
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Ähnlich streifenden Fluchtschatten p1b_666.025
Über sommernden Fruchtmatten.
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5. Schema: a a b b c d d. (Rückerts Lenzschauerstrophe.)
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Weißt du, wo gelind p1b_666.028
Übergeht der Wind, p1b_666.029
Lieblich ist der Schauer, p1b_666.030
Sanft des Herzens Trauer? p1b_666.031
An der Kirchhofmauer, p1b_666.032
Wo die beiden Kind' p1b_666.033
Hingelegt dir sind.
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B. Aufgesang a b b a.
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Zusammensetzungen mit diesem Aufgesang sind ebenso selten als mit dem p1b_666.036
vorigen. Wir finden solche in Desdemonas Lied (Herders Stimmen der p1b_666.037
Völker, 16. Band S. 197), sowie in dem von Diez übersetzten Liede p1b_666.038
Die Provence vom Troubadour Peire Vidal (Menzels Gesänge der Völker. p1b_666.039
S. 66, Schema: a b b a c c d). Von unsern Dichtern haben sich ihrer bedient: p1b_666.040
Schiller (in der Bürgschaft, Schema: a b b a a c c), Eichendorff (in Begegnung p1b_666.041
a b b a b c c), Geibel (in Wie rauscht ihr Waldesschatten, und p1b_666.042
An den Genius), Rückert (in An die Dichter, im Trauerlied, in Die Blume p1b_666.043
am Anger, mit dem Schema: a b b a a b a, sowie in „O wie ich nun so p1b_666.044
einsam bin“, mit dem Schema: a b b a c c c; vgl. Kindertotenlieder, S. 172), p1b_666.045
Herwegh (mit dem Schema: a b b a a a b in Die deutsche Flotte, vgl. Ged.
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