p1b_037.001 dies besonders von seinen "fünf Sinnen" gesagt werden, welche die Verkörperung p1b_037.002 göttlicher Nacktheit und des Liebreizes weiblicher Formenschönheit sind p1b_037.003 und durch nie gehörte Farbenaccorde die glühende Phantasie des in erster Reihe p1b_037.004 durch Farbe und Licht, dann durch Kontour und Form, zuletzt durch den Stoff p1b_037.005 wirkenden wahrhaft antiken Meisters beweisen, der durch unschuldigen Formenreiz p1b_037.006 das Auge berauscht, ohne es zu - sättigen. Jst Hamerling die Konsequenz p1b_037.007 der Räuber, des Tell und des Faust, so ist Makart die Konsequenz eines p1b_037.008 Tintoretto, wie uns dieser im Eingangsbild des Dogenpalastes zu Venedig oder in p1b_037.009 der protestantischen Kapelle zu Schleißheim so überwältigend entgegentritt, so ist p1b_037.010 endlich Wagner die Konsequenz der Euryanthe, in welcher Oper die Detailmalerei p1b_037.011 bereits begonnen hat. Alle sind aber das Resultat der von ihnen p1b_037.012 vorgefundenen Kunst ihres Jahrhunderts. Mit jedem neuen Werke p1b_037.013 dieser Genies wird man sich neu beschäftigen, weil man in jedem als Signatur p1b_037.014 des fieberhaft pulsierenden Zeitgeistes der Gegenwart einen Fortschritt erblickt, p1b_037.015 weil man von ihnen doch Bahnbrechendes, nicht für die Zeit Geschriebenes, p1b_037.016 Originelles, Mustergültiges, Ewigbestehendes, Niedagewesenes, Unerhörtes erwartet p1b_037.017 und findet. Vom genialzeichnenden Hamerling ist kühn zu behaupten, daß er p1b_037.018 in seinen letzten Werken ein zweiter Goethe und zwar ein Goethe seiner Zeitp1b_037.019 geworden ist; von Makart ist bekannt, daß er die Natur korrigiert, um seinen p1b_037.020 realistischen Zweck zu erreichen, und von Wagner glaubt man, "daß er das p1b_037.021 Firmament umkomponieren möchte, da ihm die Fixsterne mit ihren ehernen p1b_037.022 Gesetzen gar zu authentisch sind", und daß er keinen Anstand nehmen würde, p1b_037.023 die Kontrabässe mitten ins Publikum zu stellen, wenn er sich für Verwirklichung p1b_037.024 seiner Jntentionen Vorteil davon verspräche, wie er ja schon im Rheingold (wo p1b_037.025 er das Orchester im symphonischen, im al fresco-Stil verwendet und durch Tieferlegung p1b_037.026 des Orchesters die Schallwirkung idealisiert und die Sänger ohne Anstrengung p1b_037.027 selbst bei instrumentalen Massen singen läßt) mit der Einteilung der p1b_037.028 Oper in Akte bricht und eine den Abend füllende Oper in einem Aufzug p1b_037.029 schreibt (vgl. L. Ehlerts bez. Abhandlung).
p1b_037.030 Natürlich kann ein reformatorisches Genie nicht die bequemen Bahnen des p1b_037.031 Herkommens wandeln. Jeder aus seiner Zeit erwachsene Reformator ist ein p1b_037.032 Usurpator, der auch im Negieren den Einfluß seiner Zeit für eine durch ihn p1b_037.033 veranlaßte neue Ära beweist.
p1b_037.034 § 14. Der Dichter und sein Jahrhundert.
p1b_037.035 Der Dichter ist - wie erwähnt - das Produkt seines Jahrhunderts. p1b_037.036 Er vereinigt in sich alle Elemente des Jahrhunderts, aber p1b_037.037 er überragt die Durchschnittsbildung desselben und wird dem nachfolgenden p1b_037.038 Jahrhundert ein neuer Lichtpunkt, von welchem Leben und p1b_037.039 Wärme ausströmt, zu dem es sich emporschwingt, dessen Jdeen es
p1b_037.001 dies besonders von seinen „fünf Sinnen“ gesagt werden, welche die Verkörperung p1b_037.002 göttlicher Nacktheit und des Liebreizes weiblicher Formenschönheit sind p1b_037.003 und durch nie gehörte Farbenaccorde die glühende Phantasie des in erster Reihe p1b_037.004 durch Farbe und Licht, dann durch Kontour und Form, zuletzt durch den Stoff p1b_037.005 wirkenden wahrhaft antiken Meisters beweisen, der durch unschuldigen Formenreiz p1b_037.006 das Auge berauscht, ohne es zu ─ sättigen. Jst Hamerling die Konsequenz p1b_037.007 der Räuber, des Tell und des Faust, so ist Makart die Konsequenz eines p1b_037.008 Tintoretto, wie uns dieser im Eingangsbild des Dogenpalastes zu Venedig oder in p1b_037.009 der protestantischen Kapelle zu Schleißheim so überwältigend entgegentritt, so ist p1b_037.010 endlich Wagner die Konsequenz der Euryanthe, in welcher Oper die Detailmalerei p1b_037.011 bereits begonnen hat. Alle sind aber das Resultat der von ihnen p1b_037.012 vorgefundenen Kunst ihres Jahrhunderts. Mit jedem neuen Werke p1b_037.013 dieser Genies wird man sich neu beschäftigen, weil man in jedem als Signatur p1b_037.014 des fieberhaft pulsierenden Zeitgeistes der Gegenwart einen Fortschritt erblickt, p1b_037.015 weil man von ihnen doch Bahnbrechendes, nicht für die Zeit Geschriebenes, p1b_037.016 Originelles, Mustergültiges, Ewigbestehendes, Niedagewesenes, Unerhörtes erwartet p1b_037.017 und findet. Vom genialzeichnenden Hamerling ist kühn zu behaupten, daß er p1b_037.018 in seinen letzten Werken ein zweiter Goethe und zwar ein Goethe seiner Zeitp1b_037.019 geworden ist; von Makart ist bekannt, daß er die Natur korrigiert, um seinen p1b_037.020 realistischen Zweck zu erreichen, und von Wagner glaubt man, „daß er das p1b_037.021 Firmament umkomponieren möchte, da ihm die Fixsterne mit ihren ehernen p1b_037.022 Gesetzen gar zu authentisch sind“, und daß er keinen Anstand nehmen würde, p1b_037.023 die Kontrabässe mitten ins Publikum zu stellen, wenn er sich für Verwirklichung p1b_037.024 seiner Jntentionen Vorteil davon verspräche, wie er ja schon im Rheingold (wo p1b_037.025 er das Orchester im symphonischen, im al fresco-Stil verwendet und durch Tieferlegung p1b_037.026 des Orchesters die Schallwirkung idealisiert und die Sänger ohne Anstrengung p1b_037.027 selbst bei instrumentalen Massen singen läßt) mit der Einteilung der p1b_037.028 Oper in Akte bricht und eine den Abend füllende Oper in einem Aufzug p1b_037.029 schreibt (vgl. L. Ehlerts bez. Abhandlung).
p1b_037.030 Natürlich kann ein reformatorisches Genie nicht die bequemen Bahnen des p1b_037.031 Herkommens wandeln. Jeder aus seiner Zeit erwachsene Reformator ist ein p1b_037.032 Usurpator, der auch im Negieren den Einfluß seiner Zeit für eine durch ihn p1b_037.033 veranlaßte neue Ära beweist.
p1b_037.034 § 14. Der Dichter und sein Jahrhundert.
p1b_037.035 Der Dichter ist ─ wie erwähnt ─ das Produkt seines Jahrhunderts. p1b_037.036 Er vereinigt in sich alle Elemente des Jahrhunderts, aber p1b_037.037 er überragt die Durchschnittsbildung desselben und wird dem nachfolgenden p1b_037.038 Jahrhundert ein neuer Lichtpunkt, von welchem Leben und p1b_037.039 Wärme ausströmt, zu dem es sich emporschwingt, dessen Jdeen es
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/71>, abgerufen am 23.11.2024.
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