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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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Ruhe, soll die Welt aus der Unruhe und Gottentfremdung zur Heimkehr in p1b_040.002
sich selbst und in Gott als ihrem Grunde und ihrem Ziele berufen werden.

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2. Man bemerke, wie z. B. die französischen Neuromantiker - voran p1b_040.004
ihr Meister Victor Hugo - durch eine Rückkehr zur nackten, grellen p1b_040.005
Wirklichkeit das Gebiet der poetischen Stoffe erweiterten; wie nach ihrem Vorbilde p1b_040.006
vorzüglich der durch seine französische Abkunft dazu berechtigte Chamisso p1b_040.007
auch die deutsche Poesie durch solche der Wirklichkeit des Lebens entnommene p1b_040.008
Stoffe bereicherte; wie Freiligrath das Verlangen nach neuen Stoffen - p1b_040.009
dem doch schon Rückert durch Einführung in den Osten und Erschließung p1b_040.010
einer Weltlyrik im großen Stil genügt hatte - in wahrhaft frappanter Weise p1b_040.011
befriedigte, indem er seine Stoffe sogar aus den Urwäldern und Savannen p1b_040.012
Amerikas, aus der glühenden Tropenwelt Afrikas, aus dem brennenden Wüstensande p1b_040.013
Arabiens und der wunderreichen Welt des Meeres holte.

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Rückert erschloß die innere Seite des morgenländischen Lebens, Freiligrath p1b_040.015
in seiner weniger didaktischen als deskriptiven Epik führt uns das Morgenland p1b_040.016
auch in seiner Phantastik, Wildheit und äußeren Energie vor. Man kann p1b_040.017
nunmehr sagen: Der Stoff des Dichters, durch die Phantasie p1b_040.018
dem Menschenleben und allen Gebieten der Natur und der p1b_040.019
Künste entstammend, ist ein unbegrenzter.

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Ein Gewitter, ein Sturm, ein Sonnenaufgang, ein Sonntagsmorgen, eine p1b_040.021
Blume &c. können Veranlassung zur Verschmelzung der dichterischen Empfindung p1b_040.022
mit dem Object geben.

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3. Alles liegt beim Dichter an der Behandlungsweise der Stoffe.

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Mit Recht sagt daher Schiller ("Über Matthissons Gedichte"): "Es ist p1b_040.025
niemals der Stoff, sondern die Behandlungsweise, was den Künstler und p1b_040.026
Dichter macht."

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Wir geben hiezu einige Beispiele: Rückert haucht z. B. in seine sterbende p1b_040.028
Blume den Gedanken des vollständigen Hingebens der Blume an ihre Schöpferin, p1b_040.029
die Sonne. Er giebt der Natur Leben und spiegelt so in ihr sein Gemüt, das p1b_040.030
ja dem Stoffe nicht eigen ist. Die Sonne schaut bei ihm der Blume ins p1b_040.031
Antlitz, bis ihr Strahl ihr das Leben gestohlen, worauf der Dichter den Gedanken p1b_040.032
inniger Ergebung, die auch im Tode noch ein Lächeln für den geliebten Gegenstand p1b_040.033
hat, Ausdruck verleiht.

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Eine Zierde deiner Welt, p1b_040.035
Wenn auch eine kleine nur, p1b_040.036
Ließest du mich blüh'n im Feld, p1b_040.037
Wie die Stern' auf höh'rer Flur. p1b_040.038
Einen Odem hauch' ich noch, p1b_040.039
Und er soll kein Seufzer sein; p1b_040.040
Einen Blick zum Himmel hoch p1b_040.041
Und zur schönen Welt hinein.

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(Vgl. auch "Das Veilchen" von Goethe.)

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Wie es eine gemeine Behandlung erhabener Gegenstände giebt, so kann p1b_040.044
umgekehrt dem niedrigsten Stoffe noch Hoheit und Würde verliehen werden.

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Mit Recht sagt daher Schiller („Über Matthissons Gedichte“): „Es ist p1b_040.025
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/74>, abgerufen am 23.11.2024.