Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_756.001 p1b_756.002 Als, ich weiß nicht zum wievielsten Male, p1b_756.004 Du mein schlechtes Antlitz zeichnen wolltest, p1b_756.005 Diesmal nicht zu eigner Lust und Freude, p1b_756.006 Sondern es zur Schau zu stellen, Eingangs p1b_756.007 Dieses Buchs, dem Richterblick des Lesers - p1b_756.008 (Mög' er nur es günstig gelten lassen, p1b_756.009 Wie es Gott schuf, und du nach es schufest! p1b_756.010 Es ergänzen sich die beiden Bilder, p1b_756.011 Das von dir, und das in meinen Liedern) - p1b_756.012 Als ich regungslos nun dir genüber p1b_756.013 Mußte sitzen, und die Unterhaltung p1b_756.014 Ausging, gabst du zur Entlangeweilung, p1b_756.015 Daß sich nicht entspannte Züge dehnten, p1b_756.016 Mir in Handschrift die gesamten Werke p1b_756.017 Eines mir ganz unbekannten Dichters, p1b_756.018 Deine eignen; und ich las, und staunte. p1b_756.019 Welche Haltung soll ich dir genüber p1b_756.020 Nun behaupten? Wo ich dir, dem Maler, p1b_756.021 Kühn die Stirn als Dichter bot, erkenn' ich, p1b_756.022 Daß du selbst ein Meister meiner Kunst bist, p1b_756.023 Jch in deiner nicht einmal ein Pfuscher. p1b_756.024 Doch die Eifersucht weicht echter Liebe; p1b_756.025 Und wie ich dich selbst mir angeeignet, p1b_756.026 Eign' ich hier - du giebst mir die Erlaubnis - p1b_756.027 Auch dein Lied mir an, durch diesen Kunstgriff: p1b_756.028 Daß ich aus chaotisch hingestreuten p1b_756.029 Füllen ausscheid' einzelne Gebilde, p1b_756.030 Sichtend, ordnend und zusammenstellend, p1b_756.031 Unterdrückend, auch hinzu wohl thuend p1b_756.032 Unterscheidungszeichen, kleine Striche, p1b_756.033 Leise Sinnverdeutlichungsnachhilfen. p1b_756.034 Wenn ich, manche Härte zu verwischen, p1b_756.035 Nicht geschickt genug den Wischer brauchte, p1b_756.036 Gieb nur selbst dafür mir einen Wischer! (Rückert.) p1b_756.037 § 219. Freie Strophen von verschiedener Länge. p1b_756.038 p1b_756.046 p1b_756.047 p1b_756.048 p1b_756.001 p1b_756.002 Als, ich weiß nicht zum wievielsten Male, p1b_756.004 Du mein schlechtes Antlitz zeichnen wolltest, p1b_756.005 Diesmal nicht zu eigner Lust und Freude, p1b_756.006 Sondern es zur Schau zu stellen, Eingangs p1b_756.007 Dieses Buchs, dem Richterblick des Lesers ─ p1b_756.008 (Mög' er nur es günstig gelten lassen, p1b_756.009 Wie es Gott schuf, und du nach es schufest! p1b_756.010 Es ergänzen sich die beiden Bilder, p1b_756.011 Das von dir, und das in meinen Liedern) ─ p1b_756.012 Als ich regungslos nun dir genüber p1b_756.013 Mußte sitzen, und die Unterhaltung p1b_756.014 Ausging, gabst du zur Entlangeweilung, p1b_756.015 Daß sich nicht entspannte Züge dehnten, p1b_756.016 Mir in Handschrift die gesamten Werke p1b_756.017 Eines mir ganz unbekannten Dichters, p1b_756.018 Deine eignen; und ich las, und staunte. p1b_756.019 Welche Haltung soll ich dir genüber p1b_756.020 Nun behaupten? 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Es finden sich solche aber noch in den von uns geordneten <lb n="p1b_756.045"/> und gruppierten Materialien bei:</p> <p><lb n="p1b_756.046"/><hi rendition="#g">Tiedge</hi> (Elegie auf dem Schlachtfelde von Kunersdorf),</p> <p><lb n="p1b_756.047"/><hi rendition="#g">Denis</hi> (Abschied von der sichtbaren Welt),</p> <p><lb n="p1b_756.048"/><hi rendition="#g">Hebel</hi> (Der Wächter in der Mitternacht),</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [756/0790]
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6. 34zeilige Strophe.
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Beispiel: Zu den Poesien von Karl Barth von Fr. Rückert:
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Als, ich weiß nicht zum wievielsten Male, p1b_756.004
Du mein schlechtes Antlitz zeichnen wolltest, p1b_756.005
Diesmal nicht zu eigner Lust und Freude, p1b_756.006
Sondern es zur Schau zu stellen, Eingangs p1b_756.007
Dieses Buchs, dem Richterblick des Lesers ─ p1b_756.008
(Mög' er nur es günstig gelten lassen, p1b_756.009
Wie es Gott schuf, und du nach es schufest! p1b_756.010
Es ergänzen sich die beiden Bilder, p1b_756.011
Das von dir, und das in meinen Liedern) ─ p1b_756.012
Als ich regungslos nun dir genüber p1b_756.013
Mußte sitzen, und die Unterhaltung p1b_756.014
Ausging, gabst du zur Entlangeweilung, p1b_756.015
Daß sich nicht entspannte Züge dehnten, p1b_756.016
Mir in Handschrift die gesamten Werke p1b_756.017
Eines mir ganz unbekannten Dichters, p1b_756.018
Deine eignen; und ich las, und staunte. p1b_756.019
Welche Haltung soll ich dir genüber p1b_756.020
Nun behaupten? Wo ich dir, dem Maler, p1b_756.021
Kühn die Stirn als Dichter bot, erkenn' ich, p1b_756.022
Daß du selbst ein Meister meiner Kunst bist, p1b_756.023
Jch in deiner nicht einmal ein Pfuscher. p1b_756.024
Doch die Eifersucht weicht echter Liebe; p1b_756.025
Und wie ich dich selbst mir angeeignet, p1b_756.026
Eign' ich hier ─ du giebst mir die Erlaubnis ─ p1b_756.027
Auch dein Lied mir an, durch diesen Kunstgriff: p1b_756.028
Daß ich aus chaotisch hingestreuten p1b_756.029
Füllen ausscheid' einzelne Gebilde, p1b_756.030
Sichtend, ordnend und zusammenstellend, p1b_756.031
Unterdrückend, auch hinzu wohl thuend p1b_756.032
Unterscheidungszeichen, kleine Striche, p1b_756.033
Leise Sinnverdeutlichungsnachhilfen. p1b_756.034
Wenn ich, manche Härte zu verwischen, p1b_756.035
Nicht geschickt genug den Wischer brauchte, p1b_756.036
Gieb nur selbst dafür mir einen Wischer!
(Rückert.)
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§ 219. Freie Strophen von verschiedener Länge. p1b_756.038
Es giebt eine große Anzahl von Gedichten, bei welchen kürzere p1b_756.039
und längere Strophen in willkürlicher, bunter Mannigfaltigkeit mit p1b_756.040
einander wechseln. Die Länge der einzelnen Strophen ist meist durch p1b_756.041
die Ausdehnung des Gedankens bestimmt, der Hauptsache nach ─ p1b_756.042
d. h. soweit sich ihre Verse nicht an ein bestimmtes Metrum binden p1b_756.043
─ haben wir diese Gedichte mit ungleichen Strophen bereits im § 120 p1b_756.044
mitbehandelt. Es finden sich solche aber noch in den von uns geordneten p1b_756.045
und gruppierten Materialien bei:
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Tiedge (Elegie auf dem Schlachtfelde von Kunersdorf),
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Denis (Abschied von der sichtbaren Welt),
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Hebel (Der Wächter in der Mitternacht),
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