Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_111.001 p2b_111.013 Gar wenig taugt mir ein Gesang, p2b_111.016 Wo nicht der Klang vom Herzen dringt. p2b_111.017 Und nicht vom Herzen dringt der Klang, p2b_111.018 Wenn das nicht reine Liebe hegt. - p2b_111.019 Du Land des hohen, ernsteren Genius! p2b_111.023 Du Land der Liebe! bin ich der Deine schon, p2b_111.024 Oft zürnt' ich weinend, daß du immer p2b_111.025 Blöde die eigene Seele läugnest. p2b_111.026 p2b_111.035 Du meine Seele, du mein Herz, p2b_111.037 (Rückert)
Du meine Wonn', o du mein Schmerz, p2b_111.038 Du meine Welt, in der ich lebe, p2b_111.039 Mein Himmel du, darein ich schwebe, p2b_111.040 O du mein Grab, in das hinab p2b_111.041 Jch ewig meinen Kummer gab! p2b_111.042 Du bist die Ruh, du bist der Frieden, p2b_111.043 Du bist der Himmel mir beschieden. p2b_111.044 Daß du mich liebst, macht mich mir wert, p2b_111.045 Dein Blick hat mich vor mir verklärt, p2b_111.046 Du hebst mich liebend über mich, p2b_111.047 Mein guter Geist, mein beßres Jch! p2b_111.001 p2b_111.013 Gar wenig taugt mir ein Gesang, p2b_111.016 Wo nicht der Klang vom Herzen dringt. p2b_111.017 Und nicht vom Herzen dringt der Klang, p2b_111.018 Wenn das nicht reine Liebe hegt. ─ p2b_111.019 Du Land des hohen, ernsteren Genius! p2b_111.023 Du Land der Liebe! bin ich der Deine schon, p2b_111.024 Oft zürnt' ich weinend, daß du immer p2b_111.025 Blöde die eigene Seele läugnest. p2b_111.026 p2b_111.035 Du meine Seele, du mein Herz, p2b_111.037 (Rückert)
Du meine Wonn', o du mein Schmerz, p2b_111.038 Du meine Welt, in der ich lebe, p2b_111.039 Mein Himmel du, darein ich schwebe, p2b_111.040 O du mein Grab, in das hinab p2b_111.041 Jch ewig meinen Kummer gab! p2b_111.042 Du bist die Ruh, du bist der Frieden, p2b_111.043 Du bist der Himmel mir beschieden. p2b_111.044 Daß du mich liebst, macht mich mir wert, p2b_111.045 Dein Blick hat mich vor mir verklärt, p2b_111.046 Du hebst mich liebend über mich, p2b_111.047 Mein guter Geist, mein beßres Jch! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0133" n="111"/><lb n="p2b_111.001"/> einer gelehrten Bildung und eines geläuterten Geschmacks, daß sie bei bloßer <lb n="p2b_111.002"/> Nennung des Wortes „Lyrik“ mitleidig mit den Achseln zucken. Das darf nicht <lb n="p2b_111.003"/> befremden. Zunächst liegt das in dem herrschenden Zeitgeist, auf dessen Fahne <lb n="p2b_111.004"/> der nüchternste Materialismus steht, andererseits aber auch in dem erwähnten <lb n="p2b_111.005"/> Mißbrauch, den die Lyrik durch fade Reimschmiede seit Jahrzehnten erfahren hat <lb n="p2b_111.006"/> und leider noch täglich erfährt. Man stelle also nicht die Behauptung auf: <lb n="p2b_111.007"/> Liebeslieder mag Niemand mehr! ─ So lange es noch liebende Herzen und <lb n="p2b_111.008"/> empfindungsfähige Gemüter auf Erden giebt, so lange es dem Schachergeiste <lb n="p2b_111.009"/> unseres Zeitalters noch nicht gelingt, Eros völlig in den Dienst der Börse zu <lb n="p2b_111.010"/> zwingen, so lange wird ein wahrhaft poetisches, ein wahrhaft empfundenes und <lb n="p2b_111.011"/> künstlerisch ausgestattetes Liebeslied noch immer einen Wiederhall finden, wenn <lb n="p2b_111.012"/> auch nicht unter der feilschenden Menge des Marktes.</p> <p><lb n="p2b_111.013"/> Diese Apotheose erinnert uns an jenen Vers Bernarts von Ventadour, <lb n="p2b_111.014"/> welchen Schwenk einer Kritik vorsetzte:</p> <lb n="p2b_111.015"/> <lg> <l>Gar wenig taugt mir ein Gesang,</l> <lb n="p2b_111.016"/> <l>Wo nicht der Klang vom Herzen dringt.</l> <lb n="p2b_111.017"/> <l>Und nicht vom Herzen dringt der Klang,</l> <lb n="p2b_111.018"/> <l>Wenn das nicht reine Liebe hegt. ─</l> </lg> <p><lb n="p2b_111.019"/> sowie an das Wort Hölderlins, dessen Kraft und Tiefe, dessen Geist und Adel, <lb n="p2b_111.020"/> dessen Zartheit und Milde ihm die Anerkennung und den Ruhm eines unserer <lb n="p2b_111.021"/> größten Lyriker sichern:</p> <lb n="p2b_111.022"/> <lg> <l>Du Land des hohen, ernsteren Genius!</l> <lb n="p2b_111.023"/> <l>Du Land der Liebe! bin ich der Deine schon,</l> <lb n="p2b_111.024"/> <l> Oft zürnt' ich weinend, daß du immer</l> <lb n="p2b_111.025"/> <l> Blöde die eigene Seele läugnest.</l> </lg> <p><lb n="p2b_111.026"/> Wie herrliche Blüten die erotische Lyrik auch noch in unserer Zeit zu <lb n="p2b_111.027"/> treiben vermag, beweisen unter vielen Liebesliedern hervorragender Dichter der <lb n="p2b_111.028"/> Gegenwart z. B. die Erotika des gottbegnadeten Sängers Alexander Kaufmann, <lb n="p2b_111.029"/> die er in „Unter den Reben“ (Berlin. Lipperheide. S. 46─96) seiner <lb n="p2b_111.030"/> Amara George gesungen hat. Diese tiefempfundenen, formenschönen Gedichte <lb n="p2b_111.031"/> erscheinen wie eine Fortsetzung des Liebesfrühlings von Fr. Rückert, an den so <lb n="p2b_111.032"/> mancher süße Ton erinnert, ja, den man zu hören glaubt in den ergreifenden <lb n="p2b_111.033"/> Ghaselen: „Es führt das Schicksal Dich in weite Ferne, o bleib getreu!“, sowie <lb n="p2b_111.034"/> in „Jch liebe Dich nach Gottes ew'gem Schlusse ─ verlaß mich nicht!“</p> <p><lb n="p2b_111.035"/> Beispiele des Liebesliedes: <lb n="p2b_111.036"/> <lg><l>Du meine Seele, du mein Herz,</l><lb n="p2b_111.037"/><l>Du meine Wonn', o du mein Schmerz,</l><lb n="p2b_111.038"/><l>Du meine Welt, in der ich lebe,</l><lb n="p2b_111.039"/><l>Mein Himmel du, darein ich schwebe,</l><lb n="p2b_111.040"/><l>O du mein Grab, in das hinab</l><lb n="p2b_111.041"/><l>Jch ewig meinen Kummer gab!</l><lb n="p2b_111.042"/><l>Du bist die Ruh, du bist der Frieden,</l><lb n="p2b_111.043"/><l>Du bist der Himmel mir beschieden.</l><lb n="p2b_111.044"/><l>Daß du mich liebst, macht mich mir wert,</l><lb n="p2b_111.045"/><l>Dein Blick hat mich vor mir verklärt,</l><lb n="p2b_111.046"/><l>Du hebst mich liebend über mich,</l><lb n="p2b_111.047"/><l>Mein guter Geist, mein beßres Jch!</l></lg><hi rendition="#right">(Rückert)</hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0133]
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einer gelehrten Bildung und eines geläuterten Geschmacks, daß sie bei bloßer p2b_111.002
Nennung des Wortes „Lyrik“ mitleidig mit den Achseln zucken. Das darf nicht p2b_111.003
befremden. Zunächst liegt das in dem herrschenden Zeitgeist, auf dessen Fahne p2b_111.004
der nüchternste Materialismus steht, andererseits aber auch in dem erwähnten p2b_111.005
Mißbrauch, den die Lyrik durch fade Reimschmiede seit Jahrzehnten erfahren hat p2b_111.006
und leider noch täglich erfährt. Man stelle also nicht die Behauptung auf: p2b_111.007
Liebeslieder mag Niemand mehr! ─ So lange es noch liebende Herzen und p2b_111.008
empfindungsfähige Gemüter auf Erden giebt, so lange es dem Schachergeiste p2b_111.009
unseres Zeitalters noch nicht gelingt, Eros völlig in den Dienst der Börse zu p2b_111.010
zwingen, so lange wird ein wahrhaft poetisches, ein wahrhaft empfundenes und p2b_111.011
künstlerisch ausgestattetes Liebeslied noch immer einen Wiederhall finden, wenn p2b_111.012
auch nicht unter der feilschenden Menge des Marktes.
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Diese Apotheose erinnert uns an jenen Vers Bernarts von Ventadour, p2b_111.014
welchen Schwenk einer Kritik vorsetzte:
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Gar wenig taugt mir ein Gesang, p2b_111.016
Wo nicht der Klang vom Herzen dringt. p2b_111.017
Und nicht vom Herzen dringt der Klang, p2b_111.018
Wenn das nicht reine Liebe hegt. ─
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sowie an das Wort Hölderlins, dessen Kraft und Tiefe, dessen Geist und Adel, p2b_111.020
dessen Zartheit und Milde ihm die Anerkennung und den Ruhm eines unserer p2b_111.021
größten Lyriker sichern:
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Du Land des hohen, ernsteren Genius! p2b_111.023
Du Land der Liebe! bin ich der Deine schon, p2b_111.024
Oft zürnt' ich weinend, daß du immer p2b_111.025
Blöde die eigene Seele läugnest.
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Wie herrliche Blüten die erotische Lyrik auch noch in unserer Zeit zu p2b_111.027
treiben vermag, beweisen unter vielen Liebesliedern hervorragender Dichter der p2b_111.028
Gegenwart z. B. die Erotika des gottbegnadeten Sängers Alexander Kaufmann, p2b_111.029
die er in „Unter den Reben“ (Berlin. Lipperheide. S. 46─96) seiner p2b_111.030
Amara George gesungen hat. Diese tiefempfundenen, formenschönen Gedichte p2b_111.031
erscheinen wie eine Fortsetzung des Liebesfrühlings von Fr. Rückert, an den so p2b_111.032
mancher süße Ton erinnert, ja, den man zu hören glaubt in den ergreifenden p2b_111.033
Ghaselen: „Es führt das Schicksal Dich in weite Ferne, o bleib getreu!“, sowie p2b_111.034
in „Jch liebe Dich nach Gottes ew'gem Schlusse ─ verlaß mich nicht!“
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Beispiele des Liebesliedes: p2b_111.036
Du meine Seele, du mein Herz, p2b_111.037
Du meine Wonn', o du mein Schmerz, p2b_111.038
Du meine Welt, in der ich lebe, p2b_111.039
Mein Himmel du, darein ich schwebe, p2b_111.040
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Du hebst mich liebend über mich, p2b_111.047
Mein guter Geist, mein beßres Jch!
(Rückert)
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