Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_174.001 § 82. Sinnbild. p2b_174.002 p2b_174.008 p2b_174.010 p2b_174.013 p2b_174.018 p2b_174.020 Was ist ein Sinnbild? Was der schöne Name meint: p2b_174.022 Ein Sinn mit einem Bild auf's innigste vereint. p2b_174.023 Ein tiefer Sinn, der in ein schönes Bild sich senkt, p2b_174.024 Ein schönes Bild, bei dem ein tiefer Sinn sich denkt. p2b_174.025 p2b_174.027Schön sei das Bild und klar, tief sei der Sinn und wahr, p2b_174.026 Und mit einander eins untrennbar sei das Paar. (Ges. Ausg. VIII. 43.) p2b_174.028 p2b_174.029 Jch zog eine Wind' am Zaune; p2b_174.031 Und was sich nicht wollte winden p2b_174.032 Von Ranken nach meiner Laune, p2b_174.033 Begann ich denn anzubinden, p2b_174.034 Und dachte, für meine Mühen p2b_174.035 Sollt' es nun fröhlich blühen. p2b_174.036 p2b_174.042Doch bald hab' ich gefunden, p2b_174.037 Daß ich umsonst mich mühte; p2b_174.038 Nicht, was ich angebunden, p2b_174.039 War was am schönsten blühte, p2b_174.040 Sondern was ich ließ ranken p2b_174.041 Nach seinen eignen Gedanken. (Sinn: Die Erziehung darf natürliche Triebe und Anlagen nicht hemmen.) p2b_174.001 § 82. Sinnbild. p2b_174.002 p2b_174.008 p2b_174.010 p2b_174.013 p2b_174.018 p2b_174.020 Was ist ein Sinnbild? Was der schöne Name meint: p2b_174.022 Ein Sinn mit einem Bild auf's innigste vereint. p2b_174.023 Ein tiefer Sinn, der in ein schönes Bild sich senkt, p2b_174.024 Ein schönes Bild, bei dem ein tiefer Sinn sich denkt. p2b_174.025 p2b_174.027Schön sei das Bild und klar, tief sei der Sinn und wahr, p2b_174.026 Und mit einander eins untrennbar sei das Paar. (Ges. Ausg. VIII. 43.) p2b_174.028 p2b_174.029 Jch zog eine Wind' am Zaune; p2b_174.031 Und was sich nicht wollte winden p2b_174.032 Von Ranken nach meiner Laune, p2b_174.033 Begann ich denn anzubinden, p2b_174.034 Und dachte, für meine Mühen p2b_174.035 Sollt' es nun fröhlich blühen. p2b_174.036 p2b_174.042Doch bald hab' ich gefunden, p2b_174.037 Daß ich umsonst mich mühte; p2b_174.038 Nicht, was ich angebunden, p2b_174.039 War was am schönsten blühte, p2b_174.040 Sondern was ich ließ ranken p2b_174.041 Nach seinen eignen Gedanken. 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Jmmer sind es <hi rendition="#g">menschliche</hi> Gefühle, Jdeen und Zustände, welche <lb n="p2b_174.011"/> im Sinnbilde gezeichnet werden. Das Sinnbild bedeutet wie die Allegorie <lb n="p2b_174.012"/> etwas anderes, als es äußerlich darstellt.</p> <p><lb n="p2b_174.013"/> 2. Doch unterscheidet es sich von der <hi rendition="#g">Allegorie</hi> dadurch, daß es immer <lb n="p2b_174.014"/> nur <hi rendition="#g">ein</hi> Symbol für einen sinnlichen Gegenstand giebt, während die Allegorie <lb n="p2b_174.015"/> eine Reihe Symbole zu einem Ganzen vereint, zu einem Sinnbild für eine <lb n="p2b_174.016"/> Jdee. (Vgl. § 83.) Die einzelnen Jdeen des Ganzen entsprechen den einzelnen <lb n="p2b_174.017"/> Eigenschaften des sinnlichen Gegenstandes.</p> <p><lb n="p2b_174.018"/> Vom Vergleich unterscheidet sich das Sinnbild dadurch, daß jener die <lb n="p2b_174.019"/> Sache nicht <hi rendition="#g">statt</hi> der andern nennt, sondern nur <hi rendition="#g">neben</hi> ihr.</p> <p><lb n="p2b_174.020"/> Rückert definiert den Begriff des Sinnbilds folgendermaßen: <lb n="p2b_174.021"/> <lg><l>Was ist ein Sinnbild? Was der schöne Name meint:</l><lb n="p2b_174.022"/><l>Ein Sinn mit einem Bild auf's innigste vereint. </l></lg><lg><lb n="p2b_174.023"/><l>Ein tiefer Sinn, der in ein schönes Bild sich senkt,</l><lb n="p2b_174.024"/><l>Ein schönes Bild, bei dem ein tiefer Sinn sich denkt. </l></lg><lg><lb n="p2b_174.025"/><l>Schön sei das Bild und klar, tief sei der Sinn und wahr,</l><lb n="p2b_174.026"/><l>Und mit einander eins untrennbar sei das Paar.</l></lg> <lb n="p2b_174.027"/> <hi rendition="#right">(Ges. 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§ 82. Sinnbild. p2b_174.002
1. Sinnbilder sind symbolische Gedichte, welche keinen religiösen p2b_174.003
Charakter haben, auch nicht die Sprache der biblischen Gleichnisse p2b_174.004
nachahmen, sondern im Bilde eine allgemeine Wahrheit darstellen, ohne p2b_174.005
Lob oder Tadel (vgl. § 91 das Sinngedicht). Sie sind der Ausdruck p2b_174.006
einer übersinnlichen Wahrheit durch etwas Sichtbares, durch die Sinne p2b_174.007
Wahrnehmbares.
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2. Sie unterscheiden sich von der Allegorie und vom Gleichnis. p2b_174.009
(S. Bd. I. § 35. und § 39.)
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1. Jmmer sind es menschliche Gefühle, Jdeen und Zustände, welche p2b_174.011
im Sinnbilde gezeichnet werden. Das Sinnbild bedeutet wie die Allegorie p2b_174.012
etwas anderes, als es äußerlich darstellt.
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2. Doch unterscheidet es sich von der Allegorie dadurch, daß es immer p2b_174.014
nur ein Symbol für einen sinnlichen Gegenstand giebt, während die Allegorie p2b_174.015
eine Reihe Symbole zu einem Ganzen vereint, zu einem Sinnbild für eine p2b_174.016
Jdee. (Vgl. § 83.) Die einzelnen Jdeen des Ganzen entsprechen den einzelnen p2b_174.017
Eigenschaften des sinnlichen Gegenstandes.
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Vom Vergleich unterscheidet sich das Sinnbild dadurch, daß jener die p2b_174.019
Sache nicht statt der andern nennt, sondern nur neben ihr.
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Rückert definiert den Begriff des Sinnbilds folgendermaßen: p2b_174.021
Was ist ein Sinnbild? Was der schöne Name meint: p2b_174.022
Ein Sinn mit einem Bild auf's innigste vereint.
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Ein tiefer Sinn, der in ein schönes Bild sich senkt, p2b_174.024
Ein schönes Bild, bei dem ein tiefer Sinn sich denkt.
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Schön sei das Bild und klar, tief sei der Sinn und wahr, p2b_174.026
Und mit einander eins untrennbar sei das Paar.
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(Ges. Ausg. VIII. 43.)
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Beispiele des Sinnbildes.
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Den Gärtnern, von Rückert. p2b_174.030
Jch zog eine Wind' am Zaune; p2b_174.031
Und was sich nicht wollte winden p2b_174.032
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Begann ich denn anzubinden, p2b_174.034
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Sollt' es nun fröhlich blühen.
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Doch bald hab' ich gefunden, p2b_174.037
Daß ich umsonst mich mühte; p2b_174.038
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Nach seinen eignen Gedanken.
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(Sinn: Die Erziehung darf natürliche Triebe und Anlagen nicht hemmen.)
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