Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_208.001 p2b_208.005 p2b_208.010 p2b_208.015 p2b_208.020 a. Wer einen Raben will baden weiß p2b_208.022 p2b_208.029Und darauf legt seinen ganzen Fleiß, p2b_208.023 Und an der Sonne Schnee will dörren, p2b_208.024 Und allen Wind in einen Kasten sperren, p2b_208.025 Und Unglück will tragen feil, p2b_208.026 Und Narren binden an ein Seil, p2b_208.027 Und einen Kahlen will beschern, p2b_208.028 Der thut auch unnütz Arbeit gern. b. Ain junge Maid ohn Lieb, p2b_208.030 p2b_208.037und ain großer Jarmarkt ohn Dieb, p2b_208.031 und ain alter Jud' ohn gut, p2b_208.032 und ain junger Mann ohn mut, p2b_208.033 und ain alte Scheur ohn meuß, p2b_208.034 und ain alter Pelz ohn leuß, p2b_208.035 und ain alter Bock ohn bart: p2b_208.036 Das ist alles widernatürlich art. c. Wer weiß, woraus das Brünnlein quillt, daraus wir trinken werden? p2b_208.038 p2b_208.045Wer weiß, wo noch das Schäflein geht, das für uns Wolle träget? p2b_208.039 Wer weiß, woraus das Körnlein wächst, das uns zur Nahrung dienet? p2b_208.040 Wer weiß, wer uns den Tisch noch deckt, der uns den Körper weidet? p2b_208.041 Wer weiß, wer uns den Weg noch zeigt, darauf wir wandern müssen? p2b_208.042 Wer weiß, wo wohl das Bettlein steht, darein mich Gott einleget? p2b_208.043 Wer weiß, wannehr der Tod wohl kommt, der uns zum Richter führet? p2b_208.044 Ach treuer Vater, das weißt du, dir ist ja nichts verborgen. (Friedr. Spee.) p2b_208.001 p2b_208.005 p2b_208.010 p2b_208.015 p2b_208.020 a. 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Wer weiß, woraus das Brünnlein quillt, daraus wir trinken werden? p2b_208.038 p2b_208.045Wer weiß, wo noch das Schäflein geht, das für uns Wolle träget? p2b_208.039 Wer weiß, woraus das Körnlein wächst, das uns zur Nahrung dienet? p2b_208.040 Wer weiß, wer uns den Tisch noch deckt, der uns den Körper weidet? p2b_208.041 Wer weiß, wer uns den Weg noch zeigt, darauf wir wandern müssen? p2b_208.042 Wer weiß, wo wohl das Bettlein steht, darein mich Gott einleget? p2b_208.043 Wer weiß, wannehr der Tod wohl kommt, der uns zum Richter führet? p2b_208.044 Ach treuer Vater, das weißt du, dir ist ja nichts verborgen. (Friedr. Spee.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0230" n="208"/> <p><lb n="p2b_208.001"/> Der Nachsatz in den Priameln, deren Verfasser häufig unbekannt blieben, <lb n="p2b_208.002"/> enthielt meist eine aus den Vordersätzen abgeleitete Lehre oder ein Urteil über <lb n="p2b_208.003"/> die in den Vordersätzen aufgestellten Behauptungen, weshalb die Priamel <lb n="p2b_208.004"/> gewissermaßen den Übergang von der Gnome (Spruch) zum Epigramm bildete.</p> <p><lb n="p2b_208.005"/> Jn einer Gerichtsordnung aus dem Jahre 1482 heißt es: „Des ersten <lb n="p2b_208.006"/> macht ein Harfner ein Priamel oder Vorlauf, daz er die luit (Leute) im uff <lb n="p2b_208.007"/> zu merken bewog.“ Die Priamel war in der That sehr geeignet, zum Aufmerken <lb n="p2b_208.008"/> anzuregen und zwar wegen des hinausgeschobenen, aufgesparten, auf die <lb n="p2b_208.009"/> ganze Reihe von Vordersätzen passenden, oft überraschenden Schlußsatzes.</p> <p><lb n="p2b_208.010"/> Schnepper nannte man die Priameln insofern, als die Reihe der Vordersätze <lb n="p2b_208.011"/> durch den präzisen Schlußsatz in ihrem Fluß gehemmt oder „abgeschneppt“ <lb n="p2b_208.012"/> wurde. Die häufig satirisch abschließende Priamel ist eine Art Epigramm oder <lb n="p2b_208.013"/> Rätsel, bei welchem der Leser die Klausel nicht erst zu suchen braucht, da sie <lb n="p2b_208.014"/> im Schlußsatz gegeben ist.</p> <p><lb n="p2b_208.015"/> Eine originelle Priamelform findet sich in der als Manuscript gedruckten <lb n="p2b_208.016"/> Gedichtsammlung des Herzogs Ernst <hi rendition="#aq">II</hi>. z. S., S. 53, bei welcher auf eine <lb n="p2b_208.017"/> Reihe von Negationen eine die Rätsel lösende abschließende Doppelverszeile folgt. <lb n="p2b_208.018"/> Als Wiederbelebung der bereits in Vergessenheit geratenen Priamel dürfte diese <lb n="p2b_208.019"/> Form bedeutungsvoll genug erscheinen, um mitgeteilt zu werden.</p> <p> <lb n="p2b_208.020"/> <hi rendition="#g">Beispiele der Priamel.</hi> </p> <lb n="p2b_208.021"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">a</hi>.</p> <lg> <l>Wer einen Raben will baden weiß</l> <lb n="p2b_208.022"/> <l>Und darauf legt seinen ganzen Fleiß,</l> <lb n="p2b_208.023"/> <l>Und an der Sonne Schnee will dörren,</l> <lb n="p2b_208.024"/> <l>Und allen Wind in einen Kasten sperren,</l> <lb n="p2b_208.025"/> <l>Und Unglück will tragen feil,</l> <lb n="p2b_208.026"/> <l>Und Narren binden an ein Seil,</l> <lb n="p2b_208.027"/> <l>Und einen Kahlen will beschern,</l> <lb n="p2b_208.028"/> <l>Der thut auch unnütz Arbeit gern. </l> </lg> <lb n="p2b_208.029"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">b</hi>.</p> <lg> <l>Ain junge Maid ohn Lieb,</l> <lb n="p2b_208.030"/> <l>und ain großer Jarmarkt ohn Dieb,</l> <lb n="p2b_208.031"/> <l>und ain alter Jud' ohn gut,</l> <lb n="p2b_208.032"/> <l>und ain junger Mann ohn mut,</l> <lb n="p2b_208.033"/> <l>und ain alte Scheur ohn meuß,</l> <lb n="p2b_208.034"/> <l>und ain alter Pelz ohn leuß,</l> <lb n="p2b_208.035"/> <l>und ain alter Bock ohn bart:</l> <lb n="p2b_208.036"/> <l>Das ist alles widernatürlich art. </l> </lg> <lb n="p2b_208.037"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">c</hi>.</p> <lg> <l>Wer weiß, woraus das Brünnlein quillt, daraus wir trinken werden?</l> <lb n="p2b_208.038"/> <l>Wer weiß, wo noch das Schäflein geht, das für uns Wolle träget?</l> <lb n="p2b_208.039"/> <l>Wer weiß, woraus das Körnlein wächst, das uns zur Nahrung dienet?</l> <lb n="p2b_208.040"/> <l>Wer weiß, wer uns den Tisch noch deckt, der uns den Körper weidet?</l> <lb n="p2b_208.041"/> <l>Wer weiß, wer uns den Weg noch zeigt, darauf wir wandern müssen?</l> <lb n="p2b_208.042"/> <l>Wer weiß, wo wohl das Bettlein steht, darein mich Gott einleget?</l> <lb n="p2b_208.043"/> <l>Wer weiß, wannehr der Tod wohl kommt, der uns zum Richter führet?</l> <lb n="p2b_208.044"/> <l>Ach treuer Vater, das weißt du, dir ist ja nichts verborgen.</l> </lg> <lb n="p2b_208.045"/> <p> <hi rendition="#right">(Friedr. Spee.)</hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [208/0230]
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Der Nachsatz in den Priameln, deren Verfasser häufig unbekannt blieben, p2b_208.002
enthielt meist eine aus den Vordersätzen abgeleitete Lehre oder ein Urteil über p2b_208.003
die in den Vordersätzen aufgestellten Behauptungen, weshalb die Priamel p2b_208.004
gewissermaßen den Übergang von der Gnome (Spruch) zum Epigramm bildete.
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Jn einer Gerichtsordnung aus dem Jahre 1482 heißt es: „Des ersten p2b_208.006
macht ein Harfner ein Priamel oder Vorlauf, daz er die luit (Leute) im uff p2b_208.007
zu merken bewog.“ Die Priamel war in der That sehr geeignet, zum Aufmerken p2b_208.008
anzuregen und zwar wegen des hinausgeschobenen, aufgesparten, auf die p2b_208.009
ganze Reihe von Vordersätzen passenden, oft überraschenden Schlußsatzes.
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Schnepper nannte man die Priameln insofern, als die Reihe der Vordersätze p2b_208.011
durch den präzisen Schlußsatz in ihrem Fluß gehemmt oder „abgeschneppt“ p2b_208.012
wurde. Die häufig satirisch abschließende Priamel ist eine Art Epigramm oder p2b_208.013
Rätsel, bei welchem der Leser die Klausel nicht erst zu suchen braucht, da sie p2b_208.014
im Schlußsatz gegeben ist.
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Eine originelle Priamelform findet sich in der als Manuscript gedruckten p2b_208.016
Gedichtsammlung des Herzogs Ernst II. z. S., S. 53, bei welcher auf eine p2b_208.017
Reihe von Negationen eine die Rätsel lösende abschließende Doppelverszeile folgt. p2b_208.018
Als Wiederbelebung der bereits in Vergessenheit geratenen Priamel dürfte diese p2b_208.019
Form bedeutungsvoll genug erscheinen, um mitgeteilt zu werden.
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Beispiele der Priamel.
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a.
Wer einen Raben will baden weiß p2b_208.022
Und darauf legt seinen ganzen Fleiß, p2b_208.023
Und an der Sonne Schnee will dörren, p2b_208.024
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Und einen Kahlen will beschern, p2b_208.028
Der thut auch unnütz Arbeit gern.
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b.
Ain junge Maid ohn Lieb, p2b_208.030
und ain großer Jarmarkt ohn Dieb, p2b_208.031
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c.
Wer weiß, woraus das Brünnlein quillt, daraus wir trinken werden? p2b_208.038
Wer weiß, wo noch das Schäflein geht, das für uns Wolle träget? p2b_208.039
Wer weiß, woraus das Körnlein wächst, das uns zur Nahrung dienet? p2b_208.040
Wer weiß, wer uns den Tisch noch deckt, der uns den Körper weidet? p2b_208.041
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Ach treuer Vater, das weißt du, dir ist ja nichts verborgen.
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(Friedr. Spee.)
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