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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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Reinmar von Zweter, einer der ersten Gnomendichter in Deutschland, p2b_212.002
dichtete statt Lieder nur Sprüche, - das Wort im alten Sinn gebraucht, in p2b_212.003
welchem der Spruch eine Strophe, wenn auch oft von größerem Umfang umfaßt. p2b_212.004
Reinmar von Zweter lehrt selbst da, wo er die Liebe behandelt. (Bei p2b_212.005
ihm begegnen wir zum erstenmal der gnomischen Poesie der Griechen, die er p2b_212.006
auf deutschen Boden verpflanzte.)

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Die bedeutendste Spruchsammlung ist die zum Teil auf einem Kreuzzug p2b_212.008
etwa um 1229 verfaßte, welche nach W. Grimm und Wackernagel von Walther p2b_212.009
von der Vogelweide, dem Frydank (== Freidenkenden), nach andern vom Fahrenden p2b_212.010
Bernh. Freidank herrühren soll, und unter dem Namen Bescheidenheit (d. i. Bescheid p2b_212.011
wissen == Verständigkeit) des Freidank auf uns gekommen ist. Es kommen darin p2b_212.012
reine Sprüche, reine Sprichwörter und Verbindung beider zu sprichwörtlichen p2b_212.013
Sprüchen vor, welch letztere man als didaktische Epigramme auffassen könnte.

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Seine nach ihrer Verwandtschaft zu mehreren Hauptabschnitten verbundenen p2b_212.015
Gnomen bilden einen Weltspiegel, in welchem alle Stände vom Kaiser und p2b_212.016
Papst bis zum niedrigsten Manne, sowie öffentliche und private Verhältnisse, p2b_212.017
ferner Glaube, Tugend, Laster u. s. w. in größter Abwechslung behandelt p2b_212.018
sind. Nennenswert sind von älteren Spruchdichtern die Bd. I. S. 47, 48 p2b_212.019
und 52 erwähnten. Besonders aber Zincgref, der 1624 wie schon Agrikola p2b_212.020
(1528) und Sebast. Franck (Spruchweisheit, 1541) eine Sammlung der deutschen p2b_212.021
Sprichwörter (Apophthegmata) veranstaltete. Ferner Angelus Silesius p2b_212.022
(Joh. Scheffler Bd. I. S. 52), der zu vielen Spruchgedichten der Weisheit p2b_212.023
des Brahmanen Fr. Rückerts den Stoff liefern mußte. (Vgl. den Nachweis in p2b_212.024
"Fr. Rückert, ein biographisches Denkmal" vom Verf. S. 158.) Außerdem p2b_212.025
haben uns Gnomen hinterlassen: Gleim, Kästner, Herder, Bürger, p2b_212.026
Schiller, Lessing, Tiedge, Goethe
(Gnomen 1-17), Leopold Schefer, p2b_212.027
Haug, Rückert
(in Weisheit d. Brahmanen, in Lieder und Sprüche u. s. w.) p2b_212.028
u. a. Jnteressant sind die vielen Sprichwörtersammlungen, von denen wir p2b_212.029
nur aus der Neuzeit diejenigen von Körte (1837 und 1861), Eiselin (1838), p2b_212.030
Simrock (1846 und 1863), Wander (deutsches Sprichwörter-Lexikon, Leipzig p2b_212.031
1863-78) und Binder (Stuttgart 1874) erwähnen.

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§ 95. Epistel.

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Poetische Epistel nennt man einen Brief in Gedichtform mit p2b_212.034
didaktischer Tendenz.

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Ähnlich unseren Prosabriefen richtet sich die poetische Epistel an eine bestimmte p2b_212.036
Person und teilt Gefühle und Gedanken in poetischer Form und in p2b_212.037
lehrhafter Weise mit, so daß sie von der ganzen Menschheit mit Jnteresse gelesen p2b_212.038
werden kann, und somit nicht nur für den Einzelnen Wert hat.

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Die Griechen kannten diese Art von Epistel in der klassischen Zeit fast p2b_212.040
gar nicht, denn die Briefe des Plato, Demosthenes u. a. sind wohl großenteils p2b_212.041
unecht. Der römische Dichter Horaz, der seine Episteln, wie seine Satiren

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Reinmar von Zweter, einer der ersten Gnomendichter in Deutschland, p2b_212.002
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Die Griechen kannten diese Art von Epistel in der klassischen Zeit fast p2b_212.040
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/234>, abgerufen am 24.11.2024.