Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883. p2b_240.001 II. Aus der Sagenwelt (der Überlieferung) schöpfende epische p2b_240.002 p2b_240.003Gattungen. § 105. Die Sage. p2b_240.004 p2b_240.011 p2b_240.013 p2b_240.014 p2b_240.015 p2b_240.016 p2b_240.019 p2b_240.024 "Es ward von unsern Vätern mit Treuen uns vermacht p2b_240.034 Die Sage, wie die Väter sie ihnen überbracht; p2b_240.035 Wir werden unsern Kindern vererben sie auf's neu; p2b_240.036 Es wechseln die Geschlechter, die Sage bleibt sich treu." p2b_240.037 p2b_240.001 II. Aus der Sagenwelt (der Überlieferung) schöpfende epische p2b_240.002 p2b_240.003Gattungen. § 105. Die Sage. p2b_240.004 p2b_240.011 p2b_240.013 p2b_240.014 p2b_240.015 p2b_240.016 p2b_240.019 p2b_240.024 „Es ward von unsern Vätern mit Treuen uns vermacht p2b_240.034 Die Sage, wie die Väter sie ihnen überbracht; p2b_240.035 Wir werden unsern Kindern vererben sie auf's neu; p2b_240.036 Es wechseln die Geschlechter, die Sage bleibt sich treu.“ p2b_240.037 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0262" n="240"/> </div> </div> <lb n="p2b_240.001"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">II</hi>. Aus der Sagenwelt (der Überlieferung) schöpfende epische <lb n="p2b_240.002"/> Gattungen.</hi> </head> <lb n="p2b_240.003"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 105. Die Sage.</hi> </head> <p><lb n="p2b_240.004"/> 1. Sage (von sagen) ist die poetische Erzählung einer Begebenheit, <lb n="p2b_240.005"/> welche ihrem Stoffe nach von der im Volksmunde fortlebenden <lb n="p2b_240.006"/> und gefärbten Überlieferung herrührt und keinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit <lb n="p2b_240.007"/> erhebt. Sie knüpft sich an mündlich überlieferte, durch das <lb n="p2b_240.008"/> Gedächtnis aufbewahrte, gefärbte Geschichte, oder an bestimmte historische <lb n="p2b_240.009"/> Personen, an einzelne, dem Volke interessante Orte (z. B. Ruinen, <lb n="p2b_240.010"/> Berge, Felsen).</p> <p><lb n="p2b_240.011"/> 2. Die Sage unterscheidet sich von der Mythe d. i. der religiösen <lb n="p2b_240.012"/> Sage.</p> <p><lb n="p2b_240.013"/> 3. Mehrere verwandte Sagen bilden einen Sagenkreis.</p> <p><lb n="p2b_240.014"/> 4. Besonders beliebte und verbreitete Sagen werden zu Volkssagen.</p> <p><lb n="p2b_240.015"/> 5. Es giebt ernste und humoristische Sagen.</p> <p><lb n="p2b_240.016"/> 1. Polybius hat zuerst (1. 2. 8. <foreign xml:lang="grc">ὁ τῆς πραγματικῆς ἱστορίας τρόπος</foreign>) <lb n="p2b_240.017"/> den Namen pragmatische Geschichtsforschung aufgebracht und versteht darunter <lb n="p2b_240.018"/> die wirkliche Geschichte, die sich im Gegensatz zur Sage wie zum Mythus befindet.</p> <p><lb n="p2b_240.019"/><hi rendition="#g">Saga</hi> (<hi rendition="#aq">plur</hi>. Sögur) ist in der norddeutschen Mythologie eine dem Odin <lb n="p2b_240.020"/> als Gemahlin oder Tochter beigesellte Asin. Sie wohnt in der vierten Himmelsburg <lb n="p2b_240.021"/> Sökkwabeck, über welche kühle Wogen rauschen. Sie gilt als Personifikation <lb n="p2b_240.022"/> der Geschichte. Täglich trinkt sie mit Odin aus goldenen Schalen Weisheit und <lb n="p2b_240.023"/> Kunde. (Vgl. Edda 7.)</p> <p><lb n="p2b_240.024"/> Das der Dichtungsgattung Sage zu Grunde liegende Geschichtliche ist <lb n="p2b_240.025"/> durch die Phantasie so entstellt, vergrößert oder verkleinert worden, daß das <lb n="p2b_240.026"/> geschichtliche Moment nur in den seltensten Fällen herauszufinden ist. Ursache <lb n="p2b_240.027"/> und Wirkung wird nicht mehr recht begriffen; es entstehen falsche Beziehungen; <lb n="p2b_240.028"/> das Wunderbare erscheint natürlich; der Volksgeist in seiner Eigentümlichkeit <lb n="p2b_240.029"/> kommt zum Ausdruck. Die Sage, welche sich aus Sagen aus- und umbildet, <lb n="p2b_240.030"/> bis sie mundgerecht wird, hat das Volk und die Zeit zum Dichter. Sie ist <lb n="p2b_240.031"/> somit Volkspoesie und muß daher einfach, ansprechend, fesselnd sein. Chamisso <lb n="p2b_240.032"/> urteilt über die Sage:</p> <lb n="p2b_240.033"/> <lg> <l>„Es ward von unsern Vätern mit Treuen uns vermacht</l> <lb n="p2b_240.034"/> <l>Die Sage, wie die Väter sie ihnen überbracht;</l> <lb n="p2b_240.035"/> <l>Wir werden unsern Kindern vererben sie auf's neu;</l> <lb n="p2b_240.036"/> <l>Es wechseln die Geschlechter, die Sage bleibt sich treu.“</l> </lg> <p><lb n="p2b_240.037"/> Das Charakteristische der Sage ist also die Überlieferung, die Tradition. <lb n="p2b_240.038"/> Der Dichter der Sage darf daher seinen unverbürgten Gegenstand nie der <lb n="p2b_240.039"/> Gegenwart entnehmen, sondern einer früheren Zeit. Nach Görres (Heldenbuch <lb n="p2b_240.040"/> von Jran <hi rendition="#aq">II</hi>. 356) ist Sage der feurige Wein, in dem die vom Lebensgeiste <lb n="p2b_240.041"/> des Volkes durchwärmte Geschichte aufgegohren. Die Sage im Wesen <hi rendition="#g">historisch </hi></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [240/0262]
p2b_240.001
II. Aus der Sagenwelt (der Überlieferung) schöpfende epische p2b_240.002
Gattungen. p2b_240.003
§ 105. Die Sage. p2b_240.004
1. Sage (von sagen) ist die poetische Erzählung einer Begebenheit, p2b_240.005
welche ihrem Stoffe nach von der im Volksmunde fortlebenden p2b_240.006
und gefärbten Überlieferung herrührt und keinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit p2b_240.007
erhebt. Sie knüpft sich an mündlich überlieferte, durch das p2b_240.008
Gedächtnis aufbewahrte, gefärbte Geschichte, oder an bestimmte historische p2b_240.009
Personen, an einzelne, dem Volke interessante Orte (z. B. Ruinen, p2b_240.010
Berge, Felsen).
p2b_240.011
2. Die Sage unterscheidet sich von der Mythe d. i. der religiösen p2b_240.012
Sage.
p2b_240.013
3. Mehrere verwandte Sagen bilden einen Sagenkreis.
p2b_240.014
4. Besonders beliebte und verbreitete Sagen werden zu Volkssagen.
p2b_240.015
5. Es giebt ernste und humoristische Sagen.
p2b_240.016
1. Polybius hat zuerst (1. 2. 8. ὁ τῆς πραγματικῆς ἱστορίας τρόπος) p2b_240.017
den Namen pragmatische Geschichtsforschung aufgebracht und versteht darunter p2b_240.018
die wirkliche Geschichte, die sich im Gegensatz zur Sage wie zum Mythus befindet.
p2b_240.019
Saga (plur. Sögur) ist in der norddeutschen Mythologie eine dem Odin p2b_240.020
als Gemahlin oder Tochter beigesellte Asin. Sie wohnt in der vierten Himmelsburg p2b_240.021
Sökkwabeck, über welche kühle Wogen rauschen. Sie gilt als Personifikation p2b_240.022
der Geschichte. Täglich trinkt sie mit Odin aus goldenen Schalen Weisheit und p2b_240.023
Kunde. (Vgl. Edda 7.)
p2b_240.024
Das der Dichtungsgattung Sage zu Grunde liegende Geschichtliche ist p2b_240.025
durch die Phantasie so entstellt, vergrößert oder verkleinert worden, daß das p2b_240.026
geschichtliche Moment nur in den seltensten Fällen herauszufinden ist. Ursache p2b_240.027
und Wirkung wird nicht mehr recht begriffen; es entstehen falsche Beziehungen; p2b_240.028
das Wunderbare erscheint natürlich; der Volksgeist in seiner Eigentümlichkeit p2b_240.029
kommt zum Ausdruck. Die Sage, welche sich aus Sagen aus- und umbildet, p2b_240.030
bis sie mundgerecht wird, hat das Volk und die Zeit zum Dichter. Sie ist p2b_240.031
somit Volkspoesie und muß daher einfach, ansprechend, fesselnd sein. Chamisso p2b_240.032
urteilt über die Sage:
p2b_240.033
„Es ward von unsern Vätern mit Treuen uns vermacht p2b_240.034
Die Sage, wie die Väter sie ihnen überbracht; p2b_240.035
Wir werden unsern Kindern vererben sie auf's neu; p2b_240.036
Es wechseln die Geschlechter, die Sage bleibt sich treu.“
p2b_240.037
Das Charakteristische der Sage ist also die Überlieferung, die Tradition. p2b_240.038
Der Dichter der Sage darf daher seinen unverbürgten Gegenstand nie der p2b_240.039
Gegenwart entnehmen, sondern einer früheren Zeit. Nach Görres (Heldenbuch p2b_240.040
von Jran II. 356) ist Sage der feurige Wein, in dem die vom Lebensgeiste p2b_240.041
des Volkes durchwärmte Geschichte aufgegohren. Die Sage im Wesen historisch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |