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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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d. Auch vom Mythus unterscheidet sich das Märchen. Es hat p2b_257.002
nichts mit den Göttern zu thun, es liebt vielmehr kleinere Figuren: Feen, p2b_257.003
Nixen, Zwerge, Hexen, die übrigens dem Willen der Gottheit unterworfen sind.

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Wackernagel (akad. Vorlesungen S. 55) hat das Verhältnis zwischen p2b_257.005
Mythus und Märchen nachgewiesen und gezeigt, wie im Märchen die Überreste p2b_257.006
des erloschenen Götterglaubens und der alten Göttersage fortbestehen. p2b_257.007
Das 14. Märchen der Brüder Grimm von den drei Spinnerinnen zeigt z. B., p2b_257.008
wie die altgermanischen Parzen (die Nornen der skandinavischen Poesie, d. i. p2b_257.009
die das Schicksal der Menschen spinnenden Schicksalsgöttinnen) verwertet sind. p2b_257.010
- Das Märchen vom Dornröschen, das Uhland im Märchen von der deutschen p2b_257.011
Poesie nachgebildet hat, ist ein Nachklang der Erzählung in der Edda, p2b_257.012
daß Odin die Schlachtengöttin Brunhild mit einem schlafanzaubernden Dorn p2b_257.013
gestochen und die Entschlafene mit einem nur dem Sigurd (Siegfried) durchdringlichen p2b_257.014
Flammenwall umgeben habe, welche Sage bekanntlich R. Wagner p2b_257.015
in seinem Siegfried benutzt hat. "Die 2 Brüder" (Nr. 60 bei Grimm) lehnen p2b_257.016
sich an die alten Mythen von Siegfried in ihren Erzählungen vom bösen p2b_257.017
Schmied, vom Golddrachen, vom Drachenberg, Drachenkampf und Befreiung p2b_257.018
einer Jungfrau u. s. w.

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Wegen ihres Ursprungs aus dem Mythus blieben die Märchen ein mit p2b_257.020
dem Volke eng verwachsenes Gemeingut jeder Nation.

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5. Durch die Kreuzzüge wurden Märchen auch in die nordischen Länder p2b_257.022
eingebürgert, allwo durch Verschmelzung von Elfen und ähnlichen Wesen (Dryaden, p2b_257.023
Najaden, Oreaden) das Feenmärchen entstand, von dem Herder sagt: "Keine p2b_257.024
Dichtung vermag dem menschlichen Herzen so artige Dinge zu sagen, als ein p2b_257.025
Feenmärchen. Jn ihm ist die ganze Welt und ihre innere Werkstätte, das Menschenherz, p2b_257.026
als eine Zauberwelt ganz unser."

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Knüpft das Märchen sich an bestimmte Gegenden und Orte, so heißt es p2b_257.028
Volksmärchen. Enthält es eine moralische Lehre im leichten, faßlichen, p2b_257.029
romantischen Gewande, so heißt es Kinder- oder Ammenmärchen. Sonst p2b_257.030
kennt man noch das Hausmärchen, das merkwürdiger Weise den Griechen p2b_257.031
trotz vieler märchenhafter Züge ihrer Mythologie ganz fehlte. ("Die Kindlichkeit," p2b_257.032
sagt Welcker in seiner griechischen Götterlehre I. 110, "welche das Wesen p2b_257.033
des deutschen, slavischen, persischen Märchens ausmacht, war dem hellenischen p2b_257.034
Geist fremd.")

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mit Recht das Kindermärchen, da es ein Bildungsmittel geworden ist. Die p2b_257.037
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Romane auf die erwachsene Jugend, da sie nicht selten das Sinnliche oft auf p2b_257.040
unsittliche Weise mit einem duftenden, aber verschleierten Zauber verdecken. p2b_257.041
Man hat daher bei der Wahl der Märchen vorsichtig zu sein, und für Kinder p2b_257.042
nur solche zu nehmen, welche mit reinem Herzen und poetischem Sinn gebildet p2b_257.043
sind und in denen harmloser Humor mit herzerwärmender Jnnigkeit, Gemütlichkeit p2b_257.044
mit sittlichem Wesen sich vereint.

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Wackernagel (akad. Vorlesungen S. 55) hat das Verhältnis zwischen p2b_257.005
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Wegen ihres Ursprungs aus dem Mythus blieben die Märchen ein mit p2b_257.020
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/279>, abgerufen am 22.11.2024.