Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_011.001 p2b_011.005 § 7. Stoffe der Lyrik; das lyrische Gedicht == Gelegenheitsgedicht. p2b_011.014p2b_011.015 p2b_011.018 p2b_011.021 p2b_011.024 p2b_011.026 "von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit, p2b_011.028 (Uhland.)Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit; p2b_011.029 Er singt von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt, p2b_011.030 Er singt von allem Hohen, was Menschenherz erhebt." p2b_011.031 p2b_011.001 p2b_011.005 § 7. Stoffe der Lyrik; das lyrische Gedicht == Gelegenheitsgedicht. p2b_011.014p2b_011.015 p2b_011.018 p2b_011.021 p2b_011.024 p2b_011.026 „von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit, p2b_011.028 (Uhland.)Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit; p2b_011.029 Er singt von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt, p2b_011.030 Er singt von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.“ p2b_011.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0033" n="11"/><lb n="p2b_011.001"/> Stimmung künstlerische Gestalt gewonnen, steht das Gemüt ihr nicht nur als <lb n="p2b_011.002"/> einer fremden gegenüber, sondern es sieht seine Empfindungen, der Erdschwere <lb n="p2b_011.003"/> entnommen, in den lichten Äther gehoben und dem flüchtigen Spiel eine schöne <lb n="p2b_011.004"/> Dauer gegeben.</p> <p><lb n="p2b_011.005"/> 2. Man nannte die lyrische Poesie ursprünglich die <hi rendition="#g">melische</hi> in der Absicht, <lb n="p2b_011.006"/> durch diese Benennung die lyrischen Gedichte als organisch gegliederte <lb n="p2b_011.007"/> Ganze auszuzeichnen. (<foreign xml:lang="grc">τὸ μέλος</foreign> und <foreign xml:lang="grc">τὰ μέλη</foreign>, einstrophige und mehrstrophige <lb n="p2b_011.008"/> Gesänge, ähnlich: „daz liet und diu liet.“ Die Benennung <foreign xml:lang="grc">μέλος</foreign> oder <lb n="p2b_011.009"/> <foreign xml:lang="grc">μέλη</foreign> hatte auch den Gesang (Melodie) mitbezeichnet. Aristoteles kennt den <lb n="p2b_011.010"/> Ausdruck <foreign xml:lang="grc">λυρική</foreign> noch nicht: in den Anakreontea kommt <foreign xml:lang="grc">λυρικὴ μοῦσα</foreign> vor, <lb n="p2b_011.011"/> noch bei Plutarch aber <foreign xml:lang="grc">μελικὴ ποίησις</foreign> neben <foreign xml:lang="grc">λυρική</foreign>. (Vgl. <hi rendition="#aq">Plut. Num</hi>. <lb n="p2b_011.012"/> 4 u. <hi rendition="#aq">Anth. ─ Plut. consol. ad Apoll. p. 365. ─ Schol. Ar. Av</hi>. 209.)</p> </div> <lb n="p2b_011.013"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 7. Stoffe der Lyrik; das lyrische Gedicht == Gelegenheitsgedicht.</hi> </head> <lb n="p2b_011.014"/> <p><lb n="p2b_011.015"/> 1. Die Stoffe der Lyrik sind so reich und mannigfach, als die <lb n="p2b_011.016"/> Empfindung und die subjektive Auffassung verschieden ist. (Vgl. Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. <lb n="p2b_011.017"/> § 16. S. 39.)</p> <p><lb n="p2b_011.018"/> 2. Sie erblühen der individuellen Behandlungsweise, der eigenartigen <lb n="p2b_011.019"/> Geisteswelt und Weltanschauung des Lyrikers. (Vgl. Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. <lb n="p2b_011.020"/> S. 40. 2.)</p> <p><lb n="p2b_011.021"/> 3. Da somit weniger der objektive Stoff, als die subjektive Auffassung <lb n="p2b_011.022"/> und Behandlung des Stoffs das Wesentliche ist, (vgl. Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. <lb n="p2b_011.023"/> S. 40. 3) so ist das Stoffgebiet der Lyrik unerschöpflich.</p> <p><lb n="p2b_011.024"/> 4. Das lyrische Gedicht ist seiner Veranlassung nach Gelegenheitsgedicht.</p> <lb n="p2b_011.025"/> <p><lb n="p2b_011.026"/> 1. Der Lyriker singt: <lb n="p2b_011.027"/> <lg><l> „von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit,</l><lb n="p2b_011.028"/><l>Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit;</l><lb n="p2b_011.029"/><l>Er singt von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,</l><lb n="p2b_011.030"/><l>Er singt von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.“</l></lg><hi rendition="#right">(Uhland.)</hi></p> <p><lb n="p2b_011.031"/> 2. Der Stoff der Lyrik ändert sich nicht, aber „der stets sich erneuernde <lb n="p2b_011.032"/> Blumenflor“, wie Hegel die Lyrik nennt, treibt immer wieder neue Blumen <lb n="p2b_011.033"/> hervor, je nach der Originalität des Dichters. Von den Naturlauten der <lb n="p2b_011.034"/> Volkspoesie bis zu den gedankenreichen malerischen lyrischen Dichtungen der <lb n="p2b_011.035"/> Kunstpoesie unserer Zeit ist die reichste Stufenleiter der Stoffe nachweisbar, die <lb n="p2b_011.036"/> lediglich durch die eigenartige Behandlung, d. h. durch den Zusatz von Subjektivität <lb n="p2b_011.037"/> seitens des Dichters Stoffe der Lyrik werden. Je einfacher, geringfügiger, <lb n="p2b_011.038"/> unscheinbarer der Stoff, desto mehr wird die Subjektivität des Dichters <lb n="p2b_011.039"/> hinzuthun. Zum Beleg beachte man das folgende Gedicht M. Greifs, dessen <lb n="p2b_011.040"/> winziger Stoff ein Mädchen ist, das in den Bach hineinblickt:</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0033]
p2b_011.001
Stimmung künstlerische Gestalt gewonnen, steht das Gemüt ihr nicht nur als p2b_011.002
einer fremden gegenüber, sondern es sieht seine Empfindungen, der Erdschwere p2b_011.003
entnommen, in den lichten Äther gehoben und dem flüchtigen Spiel eine schöne p2b_011.004
Dauer gegeben.
p2b_011.005
2. Man nannte die lyrische Poesie ursprünglich die melische in der Absicht, p2b_011.006
durch diese Benennung die lyrischen Gedichte als organisch gegliederte p2b_011.007
Ganze auszuzeichnen. (τὸ μέλος und τὰ μέλη, einstrophige und mehrstrophige p2b_011.008
Gesänge, ähnlich: „daz liet und diu liet.“ Die Benennung μέλος oder p2b_011.009
μέλη hatte auch den Gesang (Melodie) mitbezeichnet. Aristoteles kennt den p2b_011.010
Ausdruck λυρική noch nicht: in den Anakreontea kommt λυρικὴ μοῦσα vor, p2b_011.011
noch bei Plutarch aber μελικὴ ποίησις neben λυρική. (Vgl. Plut. Num. p2b_011.012
4 u. Anth. ─ Plut. consol. ad Apoll. p. 365. ─ Schol. Ar. Av. 209.)
p2b_011.013
§ 7. Stoffe der Lyrik; das lyrische Gedicht == Gelegenheitsgedicht. p2b_011.014
p2b_011.015
1. Die Stoffe der Lyrik sind so reich und mannigfach, als die p2b_011.016
Empfindung und die subjektive Auffassung verschieden ist. (Vgl. Bd. I. p2b_011.017
§ 16. S. 39.)
p2b_011.018
2. Sie erblühen der individuellen Behandlungsweise, der eigenartigen p2b_011.019
Geisteswelt und Weltanschauung des Lyrikers. (Vgl. Bd. I. p2b_011.020
S. 40. 2.)
p2b_011.021
3. Da somit weniger der objektive Stoff, als die subjektive Auffassung p2b_011.022
und Behandlung des Stoffs das Wesentliche ist, (vgl. Bd. I. p2b_011.023
S. 40. 3) so ist das Stoffgebiet der Lyrik unerschöpflich.
p2b_011.024
4. Das lyrische Gedicht ist seiner Veranlassung nach Gelegenheitsgedicht.
p2b_011.025
p2b_011.026
1. Der Lyriker singt: p2b_011.027
„von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit, p2b_011.028
Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit; p2b_011.029
Er singt von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt, p2b_011.030
Er singt von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.“
(Uhland.)
p2b_011.031
2. Der Stoff der Lyrik ändert sich nicht, aber „der stets sich erneuernde p2b_011.032
Blumenflor“, wie Hegel die Lyrik nennt, treibt immer wieder neue Blumen p2b_011.033
hervor, je nach der Originalität des Dichters. Von den Naturlauten der p2b_011.034
Volkspoesie bis zu den gedankenreichen malerischen lyrischen Dichtungen der p2b_011.035
Kunstpoesie unserer Zeit ist die reichste Stufenleiter der Stoffe nachweisbar, die p2b_011.036
lediglich durch die eigenartige Behandlung, d. h. durch den Zusatz von Subjektivität p2b_011.037
seitens des Dichters Stoffe der Lyrik werden. Je einfacher, geringfügiger, p2b_011.038
unscheinbarer der Stoff, desto mehr wird die Subjektivität des Dichters p2b_011.039
hinzuthun. Zum Beleg beachte man das folgende Gedicht M. Greifs, dessen p2b_011.040
winziger Stoff ein Mädchen ist, das in den Bach hineinblickt:
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |