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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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Die Einsame. p2b_012.002

"Vor meinem Kämmerlein fließet p2b_012.003
Ein Wasser bei Tag und Nacht; p2b_012.004
Jch seh' ihm zu vom Fenster, p2b_012.005
Wenn einsam mein Leid erwacht.
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Mir wird so traurig zu Mute p2b_012.007
Bei seinem eiligen Lauf; p2b_012.008
Die Wellen ziehen hinunter p2b_012.009
Und kommen nimmer herauf."

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3. Dadurch unterscheidet sich der echte Lyriker vom Nachahmer, daß ihn p2b_012.011
allenthalben die Stoffe poetisch ansehen, daß sich ihm alles in Liederstoff verwandelt.

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4. "Wie Thränen, die uns plötzlich kommen, so kommen plötzlich unsre p2b_012.014
Lieder" sagt Heine und bestätigt dadurch, daß die unter der Anschauung der p2b_012.015
Dinge entstandenen lyrischen Gedichte Gelegenheitsgedichte sind.

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Diese Ansicht sprach vor allen Goethe in den Gesprächen mit Eckermann p2b_012.017
I. S. 54, aus, indem er sagte: "Die Welt ist so groß und das Reich des p2b_012.018
Lebens so mannigfaltig, daß es an Anläufen zu Gedichten nie fehlen wird. p2b_012.019
Aber es müssen alles Gelegenheitsgedichte sein, d. h. die Wirklichkeit muß p2b_012.020
die Veranlassung und den Stoff dazu hergeben. Allgemein und poetisch wird p2b_012.021
ein specieller Fall eben dadurch, daß ihn der Dichter behandelt. Alle meine p2b_012.022
Gedichte sind Gelegenheitsgedichte;
sie sind durch die Wirklichkeit angeregt p2b_012.023
und haben darin Grund und Boden."

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"Hier ist Rhodus! Tanze du Wicht, p2b_012.025
Und der Gelegenheit schaff' ein Gedicht!"
(Goethe.)

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§ 8. Eigenart des Lyrikers.

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1. Jeder echte Dichter hat seine besondere Geisteswelt, seine eigenartige p2b_012.028
Natur- und Weltanschauung, seine eigenartige Behandlungsweise.

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2. Die Ursprünglichkeit des dichterischen Jngeniums verwechselt p2b_012.030
der Nachahmer meist mit einer "surrogativen, objektiven Originalität", p2b_012.031
mit der Originalität der Stoffe, die doch - wie im vorigen Paragraphen p2b_012.032
erwähnt - in der Lyrik ewig die gleichen sind.

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3. Lediglich die Eigenart des Lyrikers in der Behandlung und p2b_012.034
seine subjektive Auffassung, nicht aber der objektive Stoff, der immerhin p2b_012.035
die Anregung und die Veranlassung zum Gedicht werden kann, p2b_012.036
sind in der Lyrik das Wesentliche.

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1. Die Art und Weise, wie die Empfindung des Dichters künstlerische p2b_012.038
Gestalt annimmt, zeigt die Eigenart des Dichters, der seinen Stoff je nach p2b_012.039
seiner Bedeutung verständnisvoll abklären und dichterisch idealisieren wird. p2b_012.040
Gleiche äußere Anlässe bei verschiedenen Lyrikern erzeugen doch nicht gleiche p2b_012.041
Lyrik (siehe § 2). Dem wahren Dichter und seiner Assimilationskraft tritt zwar p2b_012.042
der äußere Stoff als Liederstoff entgegen, aber als ein durch eigenartige p2b_012.043
Behandlungsweise individuell und subjektiv werdender.

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Diese Ansicht sprach vor allen Goethe in den Gesprächen mit Eckermann p2b_012.017
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„Hier ist Rhodus! Tanze du Wicht, p2b_012.025
Und der Gelegenheit schaff' ein Gedicht!“
(Goethe.)

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§ 8. Eigenart des Lyrikers.

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1. Jeder echte Dichter hat seine besondere Geisteswelt, seine eigenartige p2b_012.028
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/34>, abgerufen am 21.11.2024.