Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_318.001 p2b_318.017 Und soll auch jetzt dies jugendliche Leben p2b_318.002 Mir ohne Lieb' und ohne Lust entflieh'n: - p2b_318.003 Wohl mancher Traum muß unerfüllt entschweben, p2b_318.004 Wohl manche Blum' im Keimen schon verblüh'n; - p2b_318.005 Dir hab' ich mich mit Freuden hingegeben, p2b_318.006 Und nimmer welkt, was du mir einst verlieh'n. p2b_318.007 Nur einmal kann der Lenz dem Herzen prangen; p2b_318.008 Doch bleibt sein Duft, wenn auch sein Glanz vergangen. p2b_318.009 So mag denn weit dies fromme Lied erschallen, p2b_318.010 Wo deutscher Ernst und deutsche Treue gilt! p2b_318.011 Und wie sich hell in klarer Bäche Wallen p2b_318.012 Mit nahem Licht der ferne Stern enthüllt, p2b_318.013 So leuchte jetzt, wie in des Himmels Hallen, p2b_318.014 Auf Erden auch, Cäcilie, dein Bild! p2b_318.015 Doch du nimm hold das Letzte, was ich biete! p2b_318.016 Es war auch mir des Lebens letzte Blüte. III. Ernst Schulzes Bezauberte Rose. Noch trefflicher, p2b_318.018 Probe aus der "Bezauberten Rose" von E. Schulze. p2b_318.024 Und sieh, es schwillt aus ihrem weichen Moose p2b_318.025 Stets blühender die reiche Knosp' empor, p2b_318.026 Und lieblich schaut jetzt aus der off'nen Rose p2b_318.027 Mit gold'ner Kron' ein holdes Haupt hervor, p2b_318.028 Und rings umher verwebt sich leis und lose p2b_318.029 Der Blätter Grün zum weichen, seid'nen Flor; p2b_318.030 Schon scheint der Tau, der hell am Kelch gehangen, p2b_318.031 Als Perlenschnur am weißen Hals zu prangen. p2b_318.032 Und als gemach der bunte Zauberreigen p2b_318.033 Von Duft und Klang verdämmert und verhallt, p2b_318.034 Steht zart und schlank, in ahnungsvollem Schweigen, p2b_318.035 Mit irrem Blick die blühende Gestalt. p2b_318.036 Man sieht die zarte Brust tiefatmend steigen, p2b_318.037 Vom ersten Hauch des Lebens neu durchwallt; p2b_318.038 Bang regen sich die kaum gelösten Glieder, p2b_318.039 Sie hebt den Fuß, und senkt ihn schüchtern wieder. p2b_318.040
Und wie, gelockt von hellen Frühlingstagen, p2b_318.041 Die Vögelein, verzagt zum ersten Mal p2b_318.042 Aus weichem Nest von Zweig zu Zweig sich wagen, p2b_318.043 Von Busch zu Busch mit zweifelhafter Wahl: p2b_318.044 So lenkt auch sie im Staunen und im Zagen p2b_318.045 Bald hier bald dort der Blicke lichten Strahl, p2b_318.046 Und sieht entzückt bei zarter Mondenhelle p2b_318.047 Wald, Wies' und Flur, Laub, Blüten, Wolk' und Welle. p2b_318.001 p2b_318.017 Und soll auch jetzt dies jugendliche Leben p2b_318.002 Mir ohne Lieb' und ohne Lust entflieh'n: ─ p2b_318.003 Wohl mancher Traum muß unerfüllt entschweben, p2b_318.004 Wohl manche Blum' im Keimen schon verblüh'n; ─ p2b_318.005 Dir hab' ich mich mit Freuden hingegeben, p2b_318.006 Und nimmer welkt, was du mir einst verlieh'n. p2b_318.007 Nur einmal kann der Lenz dem Herzen prangen; p2b_318.008 Doch bleibt sein Duft, wenn auch sein Glanz vergangen. p2b_318.009 So mag denn weit dies fromme Lied erschallen, p2b_318.010 Wo deutscher Ernst und deutsche Treue gilt! p2b_318.011 Und wie sich hell in klarer Bäche Wallen p2b_318.012 Mit nahem Licht der ferne Stern enthüllt, p2b_318.013 So leuchte jetzt, wie in des Himmels Hallen, p2b_318.014 Auf Erden auch, Cäcilie, dein Bild! p2b_318.015 Doch du nimm hold das Letzte, was ich biete! p2b_318.016 Es war auch mir des Lebens letzte Blüte. III. Ernst Schulzes Bezauberte Rose. Noch trefflicher, p2b_318.018 Probe aus der „Bezauberten Rose“ von E. Schulze. p2b_318.024 Und sieh, es schwillt aus ihrem weichen Moose p2b_318.025 Stets blühender die reiche Knosp' empor, p2b_318.026 Und lieblich schaut jetzt aus der off'nen Rose p2b_318.027 Mit gold'ner Kron' ein holdes Haupt hervor, p2b_318.028 Und rings umher verwebt sich leis und lose p2b_318.029 Der Blätter Grün zum weichen, seid'nen Flor; p2b_318.030 Schon scheint der Tau, der hell am Kelch gehangen, p2b_318.031 Als Perlenschnur am weißen Hals zu prangen. p2b_318.032 Und als gemach der bunte Zauberreigen p2b_318.033 Von Duft und Klang verdämmert und verhallt, p2b_318.034 Steht zart und schlank, in ahnungsvollem Schweigen, p2b_318.035 Mit irrem Blick die blühende Gestalt. p2b_318.036 Man sieht die zarte Brust tiefatmend steigen, p2b_318.037 Vom ersten Hauch des Lebens neu durchwallt; p2b_318.038 Bang regen sich die kaum gelösten Glieder, p2b_318.039 Sie hebt den Fuß, und senkt ihn schüchtern wieder. p2b_318.040
Und wie, gelockt von hellen Frühlingstagen, p2b_318.041 Die Vögelein, verzagt zum ersten Mal p2b_318.042 Aus weichem Nest von Zweig zu Zweig sich wagen, p2b_318.043 Von Busch zu Busch mit zweifelhafter Wahl: p2b_318.044 So lenkt auch sie im Staunen und im Zagen p2b_318.045 Bald hier bald dort der Blicke lichten Strahl, p2b_318.046 Und sieht entzückt bei zarter Mondenhelle p2b_318.047 Wald, Wies' und Flur, Laub, Blüten, Wolk' und Welle. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0340" n="318"/> <lb n="p2b_318.001"/> <lg> <l> Und soll auch jetzt dies jugendliche Leben</l> <lb n="p2b_318.002"/> <l>Mir ohne Lieb' und ohne Lust entflieh'n: ─</l> <lb n="p2b_318.003"/> <l>Wohl mancher Traum muß unerfüllt entschweben,</l> <lb n="p2b_318.004"/> <l>Wohl manche Blum' im Keimen schon verblüh'n; ─</l> <lb n="p2b_318.005"/> <l>Dir hab' ich mich mit Freuden hingegeben,</l> <lb n="p2b_318.006"/> <l>Und nimmer welkt, was du mir einst verlieh'n.</l> <lb n="p2b_318.007"/> <l>Nur einmal kann der Lenz dem Herzen prangen;</l> <lb n="p2b_318.008"/> <l>Doch bleibt sein Duft, wenn auch sein Glanz vergangen. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_318.009"/> <l> So mag denn weit dies fromme Lied erschallen,</l> <lb n="p2b_318.010"/> <l>Wo deutscher Ernst und deutsche Treue gilt!</l> <lb n="p2b_318.011"/> <l>Und wie sich hell in klarer Bäche Wallen</l> <lb n="p2b_318.012"/> <l>Mit nahem Licht der ferne Stern enthüllt,</l> <lb n="p2b_318.013"/> <l>So leuchte jetzt, wie in des Himmels Hallen,</l> <lb n="p2b_318.014"/> <l>Auf Erden auch, Cäcilie, dein Bild!</l> <lb n="p2b_318.015"/> <l>Doch du nimm hold das Letzte, was ich biete!</l> <lb n="p2b_318.016"/> <l>Es war auch mir des Lebens letzte Blüte.</l> </lg> </div> <lb n="p2b_318.017"/> <div n="5"> <head><hi rendition="#aq">III</hi>. <hi rendition="#g">Ernst Schulzes Bezauberte Rose.</hi></head> <p> Noch trefflicher, <lb n="p2b_318.018"/> sinniger und poetischer als Cäcilie ist die infolge einer Preisausschreibung <lb n="p2b_318.019"/> von Brockhaus (1816) entstandene Bezauberte Rose in <lb n="p2b_318.020"/> 3 Gesängen, welche die Verwandlung der Königstochter Clotilde in <lb n="p2b_318.021"/> eine Rose durch beschützende Feengewalt, sowie die Rückbildung durch <lb n="p2b_318.022"/> Alpins liebende Dichtergewalt schildert.</p> <lb n="p2b_318.023"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Probe aus der</hi> „<hi rendition="#g">Bezauberten Rose</hi>“ <hi rendition="#g">von</hi> E. <hi rendition="#g">Schulze.</hi></hi> </p> <lb n="p2b_318.024"/> <lg> <l> Und sieh, es schwillt aus ihrem weichen Moose</l> <lb n="p2b_318.025"/> <l>Stets blühender die reiche Knosp' empor,</l> <lb n="p2b_318.026"/> <l>Und lieblich schaut jetzt aus der off'nen Rose</l> <lb n="p2b_318.027"/> <l>Mit gold'ner Kron' ein holdes Haupt hervor,</l> <lb n="p2b_318.028"/> <l>Und rings umher verwebt sich leis und lose</l> <lb n="p2b_318.029"/> <l>Der Blätter Grün zum weichen, seid'nen Flor;</l> <lb n="p2b_318.030"/> <l>Schon scheint der Tau, der hell am Kelch gehangen,</l> <lb n="p2b_318.031"/> <l>Als Perlenschnur am weißen Hals zu prangen. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_318.032"/> <l> Und als gemach der bunte Zauberreigen</l> <lb n="p2b_318.033"/> <l>Von Duft und Klang verdämmert und verhallt,</l> <lb n="p2b_318.034"/> <l>Steht zart und schlank, in ahnungsvollem Schweigen,</l> <lb n="p2b_318.035"/> <l>Mit irrem Blick die blühende Gestalt.</l> <lb n="p2b_318.036"/> <l>Man sieht die zarte Brust tiefatmend steigen,</l> <lb n="p2b_318.037"/> <l>Vom ersten Hauch des Lebens neu durchwallt;</l> <lb n="p2b_318.038"/> <l>Bang regen sich die kaum gelösten Glieder,</l> <lb n="p2b_318.039"/> <l>Sie hebt den Fuß, und senkt ihn schüchtern wieder. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_318.040"/> <l> Und wie, gelockt von hellen Frühlingstagen,</l> <lb n="p2b_318.041"/> <l>Die Vögelein, verzagt zum ersten Mal</l> <lb n="p2b_318.042"/> <l>Aus weichem Nest von Zweig zu Zweig sich wagen,</l> <lb n="p2b_318.043"/> <l>Von Busch zu Busch mit zweifelhafter Wahl:</l> <lb n="p2b_318.044"/> <l>So lenkt auch sie im Staunen und im Zagen</l> <lb n="p2b_318.045"/> <l>Bald hier bald dort der Blicke lichten Strahl,</l> <lb n="p2b_318.046"/> <l>Und sieht entzückt bei zarter Mondenhelle</l> <lb n="p2b_318.047"/> <l>Wald, Wies' und Flur, Laub, Blüten, Wolk' und Welle.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [318/0340]
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III. Ernst Schulzes Bezauberte Rose. Noch trefflicher, p2b_318.018
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eine Rose durch beschützende Feengewalt, sowie die Rückbildung durch p2b_318.022
Alpins liebende Dichtergewalt schildert.
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Probe aus der „Bezauberten Rose“ von E. Schulze.
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Sie hebt den Fuß, und senkt ihn schüchtern wieder.
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/340>, abgerufen am 17.07.2024. |