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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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der alles Schönen, zu erfreuen. Daher gehören Belehrung und Spekulation nicht p2b_019.002
in den eigentlichen Begriff der Poesie, deren Gesetz allein die Schönheit ist. p2b_019.003
Beides, das Jnstruktive wie das Spekulative, beeinträchtigt das ruhige Empfinden, p2b_019.004
die unmittelbare Aufnahme und den ungeteilten Eindruck: das Jnstruktive, p2b_019.005
weil es das Gefühl erst in zweiter Linie berücksichtigen kann; p2b_019.006
das Spekulative, weil es seinem Wesen nach nicht als fertig dargereicht p2b_019.007
wird, und somit ebenfalls nicht auf das Gefühl unmittelbar wirkt. Dante p2b_019.008
(Göttliche Komödie) und Goethe (Faust) haben allerdings das Problem der p2b_019.009
Vereinigung von Spekulation und Poesie gelöst, während andere, wie W. Jordan p2b_019.010
(Demiurgos), Mosen (Ahasver) philosophisch reflektierend blieben.

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Wenn schon eine leichte Reflexion dem Dichter zum Gedichte werden kann, p2b_019.012
und er zu seinem Gedichte die passende, schöne Form findet, soll dann nicht p2b_019.013
auch für den höchsten Gedanken, für die höchste Spekulation eine Form gefunden p2b_019.014
werden können, unter welcher das Gedankliche, Spekulative für die Poesie p2b_019.015
flüssig gemacht wird, sollte nicht eine vollendete dichterische Darstellung zu erzielen p2b_019.016
möglich sein, in welcher auch dieser tiefe Jnhalt mit einer dichterischen p2b_019.017
Form sich deckt? Da hier der Jnhalt an das Erhabene grenzt, so wird allerdings p2b_019.018
auch die Form erhaben sein müssen. Das Erhabene aber ist nur das p2b_019.019
Schöne in gewaltiger Form. (Vgl. Bd. I. S. 92 u. 93.) Die wahre p2b_019.020
ästhetische Freiheit liegt gerade in der Form, durch welche auf das Ganze p2b_019.021
des Menschen gewirkt werden kann. Wir geben zu, daß ein in Reime gebrachtes p2b_019.022
philosophisches System noch kein Gedicht sei; aber wir verlangen eben vom p2b_019.023
didaktischen Gedichte etwas anderes, vielleicht das Höchste, was durch dichterische p2b_019.024
Darstellung auszudrücken ist. Wir verlangen, daß der Dichter und der p2b_019.025
Philosoph nicht zwei Personen
seien, sondern eine einzige normale, p2b_019.026
geist- und phantasiereiche Persönlichkeit, welche ihren p2b_019.027
Platz auf dem Parnaß hat, der aber die Thäler der Weisheit p2b_019.028
nicht verschlossen seien.
Nur so finden die ernsten Harfentöne drunten p2b_019.029
im Thale ihren entzückenden Wiederhall, während oben neben der Harfe die p2b_019.030
Lyra bebt und leise harmonische Accorde mit einmischt, wenn die Schallwellen p2b_019.031
der Harfe über sie hinstreichen.

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Dies war auch Rückerts Ansicht. Er sprach sie nur mit andern Worten aus: p2b_019.033

Poetische Blumenles' und hohes Spekulieren, p2b_019.034
Von einem muß ich mich zum andern hin verlieren.
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Das eine würd' ich denn verlieren überm andern, p2b_019.036
Wenn ich von diesem weit zu jenem müßte wandern.
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Die Auskunft traf ich drum, hier beides zu vereinen, p2b_019.038
Wo Stern' und Blumen durch einander blühn im Kleinen.
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(Weisheit des Brahmanen X. 98. S. 379.)

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Jene sogenannte Didaktik, bei welcher sich das Lehrhafte als solches ausschließlich p2b_019.041
in den Vordergrund drängt, oder die das Ergebnis von Spekulationen p2b_019.042
ohne alle subjektive Durchdringung und Belebung nur in bloße Reime bringt, p2b_019.043
fällt aus aller Poesie heraus, eben weil eine, wenn auch noch so schön p2b_019.044
aufgeputzte nüchterne Lehre nur Reimerei sein kann; eine Reimerei, bei welcher

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der alles Schönen, zu erfreuen. Daher gehören Belehrung und Spekulation nicht p2b_019.002
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Wenn schon eine leichte Reflexion dem Dichter zum Gedichte werden kann, p2b_019.012
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ästhetische Freiheit liegt gerade in der Form, durch welche auf das Ganze p2b_019.021
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Nur so finden die ernsten Harfentöne drunten p2b_019.029
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Lyra bebt und leise harmonische Accorde mit einmischt, wenn die Schallwellen p2b_019.031
der Harfe über sie hinstreichen.

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Dies war auch Rückerts Ansicht. Er sprach sie nur mit andern Worten aus: p2b_019.033

Poetische Blumenles' und hohes Spekulieren, p2b_019.034
Von einem muß ich mich zum andern hin verlieren.
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Wo Stern' und Blumen durch einander blühn im Kleinen.
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(Weisheit des Brahmanen X. 98. S. 379.)

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/41>, abgerufen am 24.11.2024.