p2b_445.001 Der Zuschauer hat den Eindruck, daß Auflehnung gegen göttliche p2b_445.002 Ordnung und Sebstüberhebung die Strafe im Keime mit sich führen.
p2b_445.003 3. Die Charakteristik.
p2b_445.004 1. Wallenstein, dieser Held des vollkommensten Dramas Schillers, p2b_445.005 ist streng genommen zu wenig handelnder General und zu viel peripatetischer, p2b_445.006 phrasenhafter Philosoph. Er steht im Gegensatz zu dem groben, starrköpfigen, p2b_445.007 stierhalsigen, schnurrbärtigen, kaiserlichen Generalissimus, wie er uns durch Van p2b_445.008 Dyks Skizze und durch einen alten Stich erhalten ist. Schiller strebt kraftvoll p2b_445.009 aus dem weichen Elemente subjektiver Empfindungskämpfe heraus, und ihm p2b_445.010 gelang die Zeichnung der Soldateska, aber sein Wallenstein ist doch immerhin p2b_445.011 für seine Zeit zu ideal. Er hat zwar Kraft und Selbstgefühl; aber er ist p2b_445.012 unentschlossen. Er glaubt an die Sterne und an seine Abhängigkeit von ihnen. p2b_445.013 Wirken und schaffen möchte er, immer weiter es bringen, nur um nicht unthätig p2b_445.014 zu sein. Seine ursprüngliche Absicht war weder Verrat noch Abfall p2b_445.015 vom Kaiser. Es ist ein planloses Spiel mit seiner Kraft. Jst er sich doch p2b_445.016 bewußt, alles zu können, was er will. Jhm fehlen nicht die Bedingungen p2b_445.017 für die weitest gehenden Pläne, die er nicht beabsichtigt; es reizt ihn lediglich, p2b_445.018 mit der Möglichkeit des Überschreitens seiner Bahn, wie seiner Macht zu spielen. p2b_445.019 So schaute er sich versuchsweise um nach Freunden, so begann er mit den p2b_445.020 Schweden versuchsweise zu verhandeln. Er will nur der Mittelpunkt für alle Möglichkeiten p2b_445.021 sein, ohne ernstlich die Abirrung von der Bahn des Rechtes zu planen. Daß p2b_445.022 der Strudel sein Schiff mit fortschnellen könnte, dies kömmt ihm, dem willensstarken p2b_445.023 Steuermann, nie in den Sinn. Aus keiner Äußerung geht hervor, p2b_445.024 daß es ihm um Verrat oder Abfall zu thun sei. Jm Gegenteil: es bleibt p2b_445.025 die Vermutung nicht ausgeschlossen, daß er die besten Ziele und Zwecke im p2b_445.026 Auge hatte. Jm Dienste Österreichs hat er Deutschland lange Jahre hindurch p2b_445.027 mit Krieg verheert und überschwemmt; vielleicht weidete er sich jetzt am Gedanken, p2b_445.028 endlich für Deutschlands Ruhe und Frieden - und nicht aus Egoismus p2b_445.029 - in die Schranken treten zu können, - also für ein hohes, edelmenschliches p2b_445.030 Ziel zu wirken?!
p2b_445.031 Es ist ein Vorzug großer Naturen, daß sie das auch aussprechen, was p2b_445.032 sie denken, und daß sie selbst diejenigen Pläne offenbaren, die einer Mißdeutung p2b_445.033 fähig sind, weil sie in ihren Thaten sich des geraden Weges bewußt sind. p2b_445.034 Und konnte sich denn Wallenstein, der die ausgedehntesten Vollmachten besaß, p2b_445.035 nicht wie ein Fürst fühlen, der für seine großen Pläne niemand Rede zu p2b_445.036 stehen brauchte?
p2b_445.037 Aber es gab eine kurzsichtige Umgebung, die im Mißverständnis des p2b_445.038 Wortgeistes ihn zur Verteidigung des Wortsinnes zwang.
p2b_445.039 Von hier an beginnt Wallensteins Abhängigkeit. Der Scherz verwandelt p2b_445.040 sich in Ernst. Schrittweise wird Wallenstein zur That gedrängt, die er belächelt, p2b_445.041 weil er sie nie wollte, die ihm undenkbar erscheint, weil er sich für den einzigen p2b_445.042 Faktor der That hält, weil er die weltbewegende That ist.
p2b_445.043 So erklärt sich das Zaudern, die Unentschlossenheit dieses Schlachtenfürsten. p2b_445.044 Alle Umstände vereinigen sich, ihn zu schieben; seine Umgebung erklärt sich für
p2b_445.001 Der Zuschauer hat den Eindruck, daß Auflehnung gegen göttliche p2b_445.002 Ordnung und Sebstüberhebung die Strafe im Keime mit sich führen.
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p2b_445.004 1. Wallenstein, dieser Held des vollkommensten Dramas Schillers, p2b_445.005 ist streng genommen zu wenig handelnder General und zu viel peripatetischer, p2b_445.006 phrasenhafter Philosoph. Er steht im Gegensatz zu dem groben, starrköpfigen, p2b_445.007 stierhalsigen, schnurrbärtigen, kaiserlichen Generalissimus, wie er uns durch Van p2b_445.008 Dyks Skizze und durch einen alten Stich erhalten ist. Schiller strebt kraftvoll p2b_445.009 aus dem weichen Elemente subjektiver Empfindungskämpfe heraus, und ihm p2b_445.010 gelang die Zeichnung der Soldateska, aber sein Wallenstein ist doch immerhin p2b_445.011 für seine Zeit zu ideal. Er hat zwar Kraft und Selbstgefühl; aber er ist p2b_445.012 unentschlossen. Er glaubt an die Sterne und an seine Abhängigkeit von ihnen. p2b_445.013 Wirken und schaffen möchte er, immer weiter es bringen, nur um nicht unthätig p2b_445.014 zu sein. Seine ursprüngliche Absicht war weder Verrat noch Abfall p2b_445.015 vom Kaiser. Es ist ein planloses Spiel mit seiner Kraft. Jst er sich doch p2b_445.016 bewußt, alles zu können, was er will. Jhm fehlen nicht die Bedingungen p2b_445.017 für die weitest gehenden Pläne, die er nicht beabsichtigt; es reizt ihn lediglich, p2b_445.018 mit der Möglichkeit des Überschreitens seiner Bahn, wie seiner Macht zu spielen. p2b_445.019 So schaute er sich versuchsweise um nach Freunden, so begann er mit den p2b_445.020 Schweden versuchsweise zu verhandeln. Er will nur der Mittelpunkt für alle Möglichkeiten p2b_445.021 sein, ohne ernstlich die Abirrung von der Bahn des Rechtes zu planen. Daß p2b_445.022 der Strudel sein Schiff mit fortschnellen könnte, dies kömmt ihm, dem willensstarken p2b_445.023 Steuermann, nie in den Sinn. Aus keiner Äußerung geht hervor, p2b_445.024 daß es ihm um Verrat oder Abfall zu thun sei. Jm Gegenteil: es bleibt p2b_445.025 die Vermutung nicht ausgeschlossen, daß er die besten Ziele und Zwecke im p2b_445.026 Auge hatte. Jm Dienste Österreichs hat er Deutschland lange Jahre hindurch p2b_445.027 mit Krieg verheert und überschwemmt; vielleicht weidete er sich jetzt am Gedanken, p2b_445.028 endlich für Deutschlands Ruhe und Frieden ─ und nicht aus Egoismus p2b_445.029 ─ in die Schranken treten zu können, ─ also für ein hohes, edelmenschliches p2b_445.030 Ziel zu wirken?!
p2b_445.031 Es ist ein Vorzug großer Naturen, daß sie das auch aussprechen, was p2b_445.032 sie denken, und daß sie selbst diejenigen Pläne offenbaren, die einer Mißdeutung p2b_445.033 fähig sind, weil sie in ihren Thaten sich des geraden Weges bewußt sind. p2b_445.034 Und konnte sich denn Wallenstein, der die ausgedehntesten Vollmachten besaß, p2b_445.035 nicht wie ein Fürst fühlen, der für seine großen Pläne niemand Rede zu p2b_445.036 stehen brauchte?
p2b_445.037 Aber es gab eine kurzsichtige Umgebung, die im Mißverständnis des p2b_445.038 Wortgeistes ihn zur Verteidigung des Wortsinnes zwang.
p2b_445.039 Von hier an beginnt Wallensteins Abhängigkeit. Der Scherz verwandelt p2b_445.040 sich in Ernst. Schrittweise wird Wallenstein zur That gedrängt, die er belächelt, p2b_445.041 weil er sie nie wollte, die ihm undenkbar erscheint, weil er sich für den einzigen p2b_445.042 Faktor der That hält, weil er die weltbewegende That ist.
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/467>, abgerufen am 22.11.2024.
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